Editorial

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Pflegeheime  

Als unsere Kollegin Julia Herrnböck 2023 zu DOSSIER zurückkehrte, hatte sie einen Vorschlag mit im Gepäck: eine Recherche zur Altenpflege. Anstoß dafür war ein Pflegeskandal, der zuvor in Julias Heimatstadt Salzburg publik geworden war. Bei einer Kontrolle hatte die Volksanwaltschaft gravierende Missstände in einem Pflegeheim festgestellt.

Bewohner·innen waren unterernährt, wundgelegen und erhielten zum Teil keine Schmerzbehandlung. Unvorstellbar eigentlich. Wie konnte es dazu kommen? Und wer trägt die Verantwortung? Diese Fragen blieben ungeklärt. »Wie groß wäre der Aufschrei, wenn das in einem Kinderheim passiert wäre?«, fragte Julia – und überzeugte die Redaktion, sich dem Thema zu widmen.

Ein Jahr lang haben wir zu Pflegeheimen recherchiert. Zum einen, weil im Bereich der Altenpflege, ähnlich wie bei den Spitälern im Gesundheitswesen, das meiste (öffentliche) Geld in die stationäre Betreuung fließt. Zum anderen, weil Heime auch so etwas wie »Institutionen« sind: eher verschlossen, mit stark ausgeprägtem Machtgefälle zwischen Bewohner·innen und jenen, die sie versorgen.

»Ab ins Heim« ­lautete also die Devise. Gemeinsam mit Georg Eckelsberger ­besuchte Julia Pflegeheime, sprach mit Menschen, die dort arbeiten oder sich beruflich mit ihnen beschäftigen. Und wir riefen unsere Leser·innen dazu auf, uns Hinweise zu mutmaßlichen Missständen zu melden.

Die Personalnot betrifft alle Bereiche des Pflegesektors – und Engpässe beim Personal gehen wiederum mit Mängeln bei der Pflegequalität einher. Dazu kommt eine Verwaltung, die vielerorts bei der Kontrolle der Heime versagt oder schlichtweg wegsieht, weil man keine Heime schließen will – es gibt ja ohnehin schon zu wenige Plätze.

Und noch etwas kristallisierte sich heraus: Manches Problem dürfte dort, wo die Pflege ein Geschäft ist, noch gravierender sein. Wo ­profitorientierte Träger in den Markt vorstoßen – mitunter um öffentliche Versorgungslücken zu schließen –, kommt das Systemversagen besonders deutlich zum Vorschein. So auch bei Österreichs größtem privaten Träger von Pflegeheimen, der Senecura-Gruppe.

Bis Ende Februar 2024 betrieb Senecura das eingangs erwähnte Skandalheim in Salzburg, aber auch jene in den niederösterreichischen Gemeinden Sitzenberg-Reidling und Kirchberg am Wechsel. In allen drei Heimen gab es, gelinde gesagt, eklatante Mängel. Und so widmen wir uns in diesem Heft allen voran Senecura. Einem Unternehmen, das zu einem börsennotierten Konzern gehört, der in mehreren Ländern Europas mit Vorwürfen von Betrug bis hin zu Körperverletzung konfrontiert ist – und dessen Beispiel einen schonungslosen Einblick in das Milliardengeschäft mit der Altenpflege bietet.