Prolog

Ab ins Heim

In der jüngeren Vergangenheit erschütterten mehrere Pflegeskandale das Land. Wenn die Fassade im Altenheim bröckelt, liest man von Vernachlässigung, Pflegemängeln bis hin zu Gewalt. Eine Recherche zur stationären Altenpflege.

Pflegeheime9.4.2024 

Text: Georg Eckelsberger, Julia Herrnböck,
Florian Skrabal
Illustrationen: Ūla Šveikauskaitė
Infografiken: Jakob Listabarth

»Wen wollen Sie abschieben?«, fragt die Frau im Rollstuhl. Seit unserer Ankunft in einem Pflegeheim am Grazer Stadtrand hat sie uns im Auge behalten. Nun ist sie näher gekommen, um die Frage aller Fragen zu stellen: »Vater oder Mutter? Wen wollen Sie abschieben?« Sie ist nicht gern im Heim, das stellt sich im Gespräch schnell heraus. So wie die meisten anderen Bewohner·innen lebt sie hier, weil es nicht mehr anders geht.

Auch wenn der Aufenthalt im Heim per Gesetz freiwillig ist, wird die Antwort auf die Frage, ob jemand »ins Heim gehört«, selten den Betroffenen selbst überlassen: Meist treffen Angehörige die Entscheidung – oder wie im Fall der Frau im Rollstuhl die Erwachsenenvertretung. Sachwalterschaft nannte man das früher. Seit die gesprächige Frau einen Schlaganfall erlitten hat, lebt sie im Heim. Dort gehört sie als ­Mittsechzigerin zu den Jüngeren.

Die Fragen, die auftauchen, wenn es um ein selbstbestimmtes, sicheres und würdiges ­Leben im Alter geht, sind komplex und heikel. Es geht dabei vor allem auch darum, welche Umgebung für die letzten Lebens­jahre am besten geeignet ist. Die eigenen vier Wände, betreutes Wohnen, ein klassisches Senior·innenheim oder doch ein Pflegeheim? Altenpflege hat viele Facetten.

Am häufigsten werden alternde Menschen in Österreich noch immer daheim von ihren Angehörigen gepflegt, und zwar meist von Frauen. Im Fachjargon heißt das ­informelle Pflege. Oft erhalten sie Unterstützung von mobilen Pflege- oder Betreuungsdiensten, die Menschen in den eigenen vier Wänden pflegen beziehungsweise ihre Einkäufe erledigen oder im Haushalt helfen.

Eine stationäre Aufnahme in einem Pflegeheim ist meist die letzte Option – und eine, die immer öfter in Anspruch genommen werden muss, weil unsere Gesellschaft älter und die Menschen pflegebedürftiger werden. Es ist eine Entscheidung, die nicht nur unmittelbar den Betroffenen und den Angehörigen überlassen ist: Im Regelfall ist eine Aufnahme in ein Heim erst ab Pflegestufe 4 möglich – weil die Plätze begrenzt sind.

In der Praxis heißt Pflegestufe 4: Es müssen mehr als 160 Stunden Pflegebedarf im Monat anfallen – das sind etwa fünf Stunden und zwanzig Minuten pro Tag. Ermittelt wird der Pflegebedarf von einem Arzt, einer Ärztin oder einer diplomierten Pflegekraft. Die Entscheidung, welche Pflegestufe tatsächlich gebührt, trifft dann der Sozialversicherungs­träger und in Streitfällen das Gericht.

Anders als noch vor dreißig Jahren gibt es in Österreichs Pflegeheimen heute mehr schwere Pflegefälle; auch in dem privaten Heim im Grazer Speckgürtel, das wir im Sommer 2023 besucht haben. Es ist ein unscheinbares, mehrstöckiges Haus mit einem sorgfältig gepflegten Garten. Davor eine Durchzugsstraße, auf der das Leben vorbeibraust. Hinter den Mauern liegt eine völlig andere Welt.

Vieles erinnert an ein Krankenhaus: die Rollstühle, die Krankenbetten, die Pflegekräfte in ihrer Dienstkleidung, der Speiseplan, der an der Glastür klebt. ­­­­­Es riecht nach Desinfektionsmittel. Auch im steril eingerichteten Aufenthaltsraum mit den schlichten Holzmöbeln. Ist das hier ­ein gutes Heim?

Es macht jedenfalls einen guten Eindruck. Die Räume wirken gepflegt. An den Wänden hängen Dekostücke und Fotos. Wellensittiche zwitschern fröhlich in ihrem Käfig. Es gibt ein »großes Panoramafenster«, und jedes Zimmer hat einen Balkon, wie es auf der Website des Heimbetreibers heißt. Pfleger·innen grüßen freundlich, haben ein Lächeln auf den Lippen, wenn sie die Menschen auf dem Gang ermutigen, ein paar Meter ohne Rollator zurückzulegen. Doch was hat all das zu sagen? Wie geht es den Bewohner·innen? Wie gut werden sie gepflegt? Nicht einfach zu beantwortende Fragen.

Und es wird nicht einfacher, wenn man Heimbewohner·innen danach fragt. Etwa 85 Prozent leiden laut ­einer 2018 veröffentlichten Studie der Donau-­Universität Krems an Demenz, können sich nicht oder nur noch schwer daran erinnern, was am Vortag geschehen ist, können aggressiv oder ängstlich reagieren. Andere beschweren sich vielleicht, aber werden von ihren Ange­hörigen nicht ernst genommen oder gar ignoriert.

Menschen in Pflegeheimen sind schutzbedürftig und auf ihre Pflegekräfte angewiesen. Für Lai·innen – also die meisten Angehörigen – ist es schwierig, die Qualität eines Pflegeheims einzuschätzen. Nicht weniger schwierig ist es übrigens für die Behörden – trotz offiziell teils engmaschiger ­Kontrollen. In der jüngeren Vergangenheit erschütterten mehrere Pflegeskandale das Land.

Wenn die Fassade im Altenheim bröckelt, liest man von Vernachlässigung, Pflegemängeln bis hin zu Gewalt. Die Vorwürfe werden aber nur selten restlos aufgeklärt. Noch seltener werden die Verantwortlichen dahinter – die Betreiber·innen der Heime – zur Rechenschaft gezogen. Und am Ende ziehen sich oft alle aus der Verantwortung, Heimträger wie Behörden.

Nach dem ersten Schock bleiben meist zwei Fragen: Wie kann so etwas passieren? Und warum bekommen Verwandte und Behörden oft lange nichts davon mit? Die Gründe liegen in der komplexen Ausgangssituation. Bei der Pflege alter Menschen können rasch einmal Blutergüsse oder kleinere Verletzungen entstehen. Unabsichtlich. Manchmal sind sie gar auf Medikamente zurückzuführen.

Selbst ein Bruch des Oberarmknochens kann die Folge sein, wenn jemand vor einem Sturz, etwa in der Dusche, bewahrt werden sollte. Hinzu kommt, dass Betroffene oft selbst nicht mehr berichten können, wie es zu einer Verletzung gekommen ist. Im Altersheim, vor allem auf Demenzstationen, gibt es kaum Zeug·innen.

Für Pflegeexpert·innen gibt es dennoch ­Anzeichen, auf die sie bei einer Kontrolle achten, etwa Geschwüre, die sich entwickeln, wenn Menschen zu lange in nasser Unter­wäsche liegen. Auch auffälliger Uringeruch, ungepflegte Nägel, Abendessen, das bereits um 16 Uhr für alle Bewohner·innen ausgegeben wird, oder versperrte Türen sind für Expert·innen Indikatoren dafür, genauer hinzuschauen.

So können immer wieder Missstände entdeckt werden und an die Öffentlichkeit gelangen. Und hier begannen unsere Recherchen vor einem Jahr.

Die Krise ist da

Wir wollten herausfinden, wie es zu Missständen kommen kann, und sind daher in die Welt der Langzeitpflege eingetaucht. ­­­»Ab ins Heim« lautete das Motto. Es war nicht das erste Mal, dass wir uns mit dem Thema ­Pflege befassten. Für unser Gesundheitsheft recherchierten wir zu einer anderen Form der Pflege: der Akutpflege in den Spitälern.

Im vorliegenden Magazin steht die Altenpflege im Fokus, genau genommen die »stationären Betreuungs- und Pflegedienste«, kurz Pflegeheime. Mehr als ein Drittel der Pflegebedürftigen, etwa 85.000 Menschen, werden hier betreut, in derzeit rund 1.000 stationären Pflegeheimen. Tendenz steigend.

Die Pflege älterer Menschen stellt uns vor eine immense gesellschaftliche Herausforderung. Bis zum Jahr 2050 werden rund 2,6 Millionen Menschen in Österreich älter als 65 sein. Das heißt: Der Pflegebedarf wächst. Dabei fehlen schon heute zehntausende Pflegekräfte: 76.000 sind es laut Sozialministerium, die man bis zum Jahr 2030 zusätzlich brauchen würde.

Zudem ist der Pflegeberuf extrem fordernd. Rund 57 Prozent der Pfleger·innen empfinden ihre Arbeit als »psychisch belastend und aufreibend«, erhob die Arbeiterkammer Oberösterreich im Jahr 2022. Weniger als die Hälfte der Befragten kann sich vorstellen, den Beruf bis zur Pension auszuüben. Öffentlich debattiert wird meist – auch zu Recht – über die Arbeitsbedingungen der Pflegekräfte.

Die Schwächsten und jene, die am meisten unter Missständen leiden, sind jedoch die Pflegebedürftigen: gebrechliche und demente Patient·innen, die darauf angewiesen sind, dass sich jemand um sie kümmert.

Eine Folge der Überlastung von Pflegekräften ist, dass in Heimen immer häufiger Beruhigungs- und Schlaftabletten verabreicht werden. Oder man greift auf andere Maßnahmen zurück. Etwa hochgeklappte Seitenteile am Bett oder versperrte Türen. So soll verhindert werden, dass Bewohner·innen unkontrolliert durch die ­Gänge wandern.

Dem Vertretungsnetz, einem Verein, der sich für den Schutz von Grundrechten hilfsbedürftiger Menschen einsetzt, wurde für das Jahr 2022 ein Rekordwert an solchen Freiheitsbeschränkungen gemeldet. Jede zweite der mehr als 27.000 erfassten Beschränkungen betraf den Einsatz sedierender Medikamente.

»Diese alarmierend hohe Zahl steht vermutlich in Zusammenhang mit der Pflegekrise«, heißt es im Jahresbericht des Vertretungsnetzes. Dort geht man übrigens von einer wesentlich höheren Dunkelziffer an tatsächlichen Freiheitsbeschränk­ungen aus. Doch das ist nur die eine Seite ­der Geschichte.

Denn die Freiheit und der Schutz der Bewohner·innen stehen in der Praxis nicht selten im Widerspruch zueinander, wie uns Pfleger·innen berichten. Es ist eines der Spannungsfelder in der Altenpflege: Ist es besser, die Tür unversperrt zu lassen und zu riskieren, dass ein·e verwirrte·r Bewohner·in das Heim verlässt und nicht mehr zurückfindet? Würde man nicht wiederum die Pflegekräfte in so einem Fall verantwortlich machen?

Auch die Sedierung sei im Alltag mitunter notwendig – und im Sinne der Bewohner·innen: Demente Menschen können einen großen Bewegungsdrang entwickeln und damit beginnen, unablässig auf und ab zu gehen – bis zur völligen Erschöpfung. In solchen Fällen ermöglichen mitunter erst Medikamente die dringend notwendige körperliche Erholung.

In derart schwierigen Situationen fühlen sich Pflegekräfte oft unverstanden, alleingelassen und zu Unrecht unter Generalverdacht gestellt. Umso wichtiger ist es, genau hinzusehen. Doch das ist nicht so einfach.

Föderales Dickicht

Denn Pflege ist in Österreich Ländersache – mit allem, was dazugehört: So unterscheiden sich Heimtarife, Personalschlüssel und auch die Aufsichtspflicht der Behörden je nach Bundesland. In der Steiermark sind etwa die Bezirkshauptmannschaften auf Anweisung des Landes zuständig, in Graz kontrolliert hingegen die Stadt – allerdings nur die privaten Pflegeheime. Die städtischen Heime werden vom Land kontrolliert.

Doch nicht nur wer in Österreich kontrolliert, hängt vom Bundesland ab, sondern auch, wie oft das geschieht. Die Unterschiede könnten nicht gewaltiger sein: In dem Zeitraum, in dem ein Heim in Tirol einmal kontrolliert wurde, schaute die Heimaufsicht in der Steiermark gleich zwölfmal zur Kontrolle vorbei. So steht es in einem Rechnungshof-­Bericht von 2018.

Auch bei den Kosten liegen Welten zwischen den Bundesländern: Die Stadt Wien gibt pro Tag und Pflegeheimbewohner·in etwa doppelt so viel aus wie das Land Salzburg. Ob die höheren Ausgaben, das zusätzliche Personal oder die häufigeren Kon­trollen Auswirkungen auf die Qualität haben, ist gleichzeitig völlig offen: Eine bundesweite Qualitätsmessung ist in Österreich nicht vorgesehen, nicht einmal Ziele oder eine angestrebte Pflegequalität sind definiert.

Seit dem Frühjahr 2023 wühlen wir uns durch dieses föderale Dickicht. Wir besuchten Pflegeheime in der Steiermark, in Kärnten, in Wien und in Salzburg. Wir haben mit dutzenden Pflegekräften in ganz Österreich gesprochen und Menschen getroffen, die für Kontrolle und Aufsicht zuständig sind. Wir haben Expert·innen interviewt und Studien gelesen, Protokolle durchforstet und mit Angehörigen gesprochen.

Pflegepersonal fehlt in allen Bereichen, der sogenannte Langzeitbereich – die stationäre Pflege in Altenheimen – ist allerdings besonders unter Druck. Im Vergleich zum Akutbereich, also der Arbeit im Krankenhaus, sind die Löhne hier meist niedriger, das Image schlechter und die Arbeit – zumindest in der breiten Wahrnehmung – belastender: Schließlich pflegt man alte, kranke und oft auch sterbende Menschen.

Genau hier, wo herausfordernde Arbeit, Personalnot und besonders verletzliche Menschen aufeinandertreffen, häufen sich Missstände. Und genau hier, wo das System unter Personal- und Geldnot leidet, machen immer mehr Private ihre Geschäfte.

Profite mit Pflege

Längst haben Investor·innen aus dem In- wie aus dem Ausland den österreichischen Pflegemarkt für sich entdeckt. Die Aussichten sind vielversprechend: Die Überalterung schreitet schnell voran, die Nachfrage wächst, gleichzeitig ist die betroffene Klientel zahlungskräftig. Und falls das nicht der Fall ist, springt in Österreich ohnehin der Staat ein.

Unternehmen bewerben diesen ­»attraktiven« Markt in Anleger·innenbroschüren und versprechen vergleichsweise hohe Renditen – in einem sensiblen Bereich, der sich um das Wohl hilfsbedürftiger Menschen dreht und chronisch unterfinanziert ist.

In so mancher Region schießen gewinnorientierte Pflegeheime wie Pilze aus dem Boden. In der Steiermark werden derzeit knapp 61 Prozent der Heime privat betrieben, wie wir auf Basis von Daten des Landes ausgewertet haben. Das ist der höchste Anteil an profitorientierten Heimen in Österreich. Warum? »Die öffentliche Hand wollte den notwendigen Ausbau nicht finanzieren«, erklärte uns Christian Schwarz, Leiter der Abteilung Pflegemanagement beim Land Steiermark, im Interview.

Um einen Versorgungsengpass zu verhindern, seien deswegen auch private Pflegeheime verstärkt zugelassen worden. In Österreich ist die Senecura-Gruppe Marktführerin bei den profitorientierten Pflegeheimen. 1998 gründete Rudolf Öhlinger die Senecura Kliniken- und Heimebetriebsgesellschaft und baute sie rasch zu einem Pflegeimperium aus.

Mittels sogenannter Public-Private-Partnerships errichtete und betrieb er im Auftrag von Gemeinden Pflegeheime – finanziert unter anderem aus öffentlichen Mitteln. 2006 begann Senecura zu expandieren, übernahm neue Standorte, steigerte die Anzahl der Pflegebetten und den Umsatz. So ging es weiter bis 2015, als die französische Orpea-Gruppe das Unternehmen kaufte – und das Expansionstempo noch weiter erhöhte.

Wie unsere Recherchen zeigen, häufen sich seit der Übernahme durch Orpea aber auch die Schwierigkeiten in den Heimen von ­Senecura. Da in Österreich die Heimtarife von den Bundesländern vorgegeben werden, lassen sich die Profite mit Heimen am ehesten durch Einsparungen bei den Ausgaben steigern. Bei Mahlzeiten und bei der Wäsche zum Beispiel.

Der größte Spielraum findet sich jedoch beim Personal, sowohl in Bezug auf Quantität als auch hinsichtlich der Qualität. Senecuras Mutterkonzern, ein börsennotiertes Multi-Milliarden-Unternehmen, kommt dabei selbst seit 2022 nicht mehr aus den negativen Schlagzeilen heraus: Orpea ist in mehreren Ländern mit Skandalen konfrontiert.

Den Stein ins Rollen brachte der französische Journalist Victor Castanet mit seinem Enthüllungsbuch Les fossoyeurs, auf Deutsch »Die Totengräber«. Es handelt von mutmaßlichen Misshandlungen in den Einrichtungen von Orpea: Bewohner·innen in Luxusheimen waren halb verhungert, während das Unternehmen Milliardenumsätze schrieb.

Nach Razzien und Ermittlungen durch die französischen Behörden brach die Aktie des Konzerns so massiv ein, dass der französische Staat einspringen musste. Im Dezember 2023 wurde Orpea teilverstaatlicht. Anfang 2024 ließ die Justiz in mehreren EU-Ländern Firmensitze der Orpea-Gruppe durchsuchen. Senecura in Österreich blieb davon verschont.

Aber es scheint ­Parallelen zu geben: Misshandlungen, mangelhafte ­Pflege, Einschüchterung der Mitarbeiter·innen – und auch wirtschaftliche Praktiken, die in diesem sozial sensiblen und mit öffentlichen Mitteln finanzierten Bereich besonders fragwürdig sind.

Missständen auf der Spur

Natürlich gab und gibt es auch in öffentlichen und gemeinnützigen Einrichtungen Missstände. Das Krankenhaus Lainz in Wien-Hietzing kommt einem da in den Sinn. In den 1980er-Jahren ­ermordeten vier Pflegerinnen dort 42 Menschen. Die Faktoren, die damals zu dieser Tragödie führten, erinnern an die aktuellen Probleme im Pflegebereich: Personalknappheit, Kompetenzüberschreitungen, mangelhafte Kontrollen.

Ebenfalls noch in vielen Köpfen präsent ist der Pflegeskandal im katholischen Pflegeheim Clementinum in Kirchstetten in Niederösterreich. 2016 wurde bekannt, dass vier Pflegekräfte schwer demente Bewohner·innen brutal gequält und misshandelt hatten. Wir konnten mit ihrem Vorgesetzten sprechen, einem damaligen Wohnbereichsleiter des Heims. Wie hat er diese Zeit erlebt, und welche Lehren zieht er daraus?

Natürlich kommen auch innerhalb von ­Familien und in der mobilen Pflege Gewalt und Vernachlässigung vor. Oftmals passiert das aus denselben Gründen: Menschen sind mit der Arbeit überfordert oder schlicht nicht dafür geeignet. In den vergangenen 20 Jahren wurde Pflege aber eben immer mehr zum Geschäft.

Private Unternehmen wie Senecura schließen zunehmend eine staatliche Versorgungslücke und profitieren von der Überlastung – darauf legen wir in diesem Magazin den Fokus. Die Forschung lieferte jüngst erste Indizien dafür, dass Profitorientierung in diesem Bereich Missstände begünstigt: »In Bezug auf die Qualität der Dienstleistung haben wir Hinweise gefunden, die darauf hindeuten, dass Gewinnorientierung beim Betrieb von Alten- und Pflegeheimen zulasten der Pflegequalität geht«, heißt es in einer 2023 erschienenen Studie, die von der Arbeiterkammer Wien in Auftrag gegeben wurde.

»Allerdings«, so die Autoren weiter, »liegen kaum wissenschaftlich belastbare Daten vor, die eine Verallgemeinerung dieser Einzelbefunde erlauben.« Auch deswegen haben wir den profitorientierten Träger Senecura im Detail unter die Lupe genommen – und dabei vieles über das System der Altenpflege herausgefunden.