Der Gerichtstermin steht bei einigen ORF-Managern wohl mit Rotstift im Kalender: Es ist keine angenehme Angelegenheit, die derzeit vor dem Arbeits- und Sozialgericht im neunten Wiener Gemeindebezirk verhandelt wird. Eine langjährige und hochrangige Mitarbeiterin klagt den ORF wegen Diskriminierung. Der Vorwurf wiegt schwer: Es geht um jahrelange sexuelle Belästigung, Mobbing und den fragwürdigen Umgang des ORF mit dem Fall. Nicht zuletzt geht es um den Vorwurf, der Verursacher werde geschützt, die betroffene Frau eingeschüchtert und benachteiligt. Die Zeugenliste ist lang und prominent besetzt: ORF-Spitzenmanager bis hin zu Generaldirektor Roland Weißmann sind geladen. Denn bei der Verhandlung steht nicht ein einzelner Diskriminierungsfall auf dem Prüfstand – es geht um die Frage, wie der ORF in der Praxis mit einem Thema umgeht, das ihm vorgeblich wichtig ist: die Gleichstellung von Frauen.
Roland Weißmann widmete der Gleichstellung stolze sieben Seiten seiner Bewerbung für die ORF-Generaldirektion. Auf dem Papier hat Gleichstellung im ORF einen hohen Stellenwert. Doch nicht nur der aktuelle Fall vor dem Arbeits- und Sozialgericht wirft die Frage auf, was das im beruflichen Alltag wert ist. »Wir sind Trainingsweltmeister, aber was fehlt, sind Sanktionen, wenn man sich nicht an die Pläne hält«, sagt Christiana Jankovics, Zentralbetriebsrätin, Stiftungsrätin und Vorsitzende der internen Gleichstellungskommission. Bei unserer Recherche berichteten mehrere ORF-Frauen, dass sie es trotz aller Vorkehrungen bei der Jobvergabe schwerer hätten als ihre männlichen Kollegen. Dass Sexismus weit verbreitet sei, ob im Übertragungswagen oder in der Redaktion. Sogar körperliche sexuelle Belästigung haben viele Mitarbeiterinnen erlebt.
Das zeigt auch eine Umfrage, die der Zentralbetriebsrat alle zehn Jahre unter Mitarbeiterinnen durchführt, zuletzt 2019: 32 Prozent der Befragten erlebten demnach sexuelle Belästigung (mündlich oder schriftlich), 29 Prozent herablassende oder entwürdigende Bemerkungen von Vorgesetzten oder Kollegen. 14 Prozent berichteten von körperlicher Belästigung im Arbeitsumfeld. Ein Satz in dem Bericht ist besonders alarmierend: »Die Werte entsprechen – wo vergleichbar erhoben wurde – jenen von 2009.« Damals hatten die offengelegten Missstände zu einem Aufschrei geführt: »Frauenfalle ORF« titelte das Magazin News im Juli 2009. Und schon damals hatte ZiB-Chronik-Chefin Brigitte Handlos kritisiert, dass sich »in zehn Jahren so gut wie nichts verändert« habe. Das scheint sich zu wiederholen.
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