Orientalische Spezialitäten fürs Hohe Haus

Der Borealis-Kauf durch die OMV beschäftigt das Parlament im neuen Jahr. Ein aktiver und ein früherer OMV-Aufsichtsrat sollen im parlamentarischen Ibiza-Untersuchungsausschuss zum Milliardendeal befragt werden.

Von Ashwien Sankholkar

OMV14.1.2021 

Aufmacher: Helmut Fohringer / APA / picturedesk.com

Es begann im Corona-Jahr, und 2021 geht es weiter. Zwei Nationalratsabgeordnete knöpfen sich die börsennotierte OMV AG vor. Stephanie Krisper (Neos) und Thomas Drozda (SPÖ) durchleuchten die milliardenschwere Übernahme der Borealis AG. Zwar wurde der Kaufvertrag mit dem Verkäufer Mubadala – dem Staatsfonds von Abu Dhabi – bereits am 12. März unterzeichnet und am 29. Oktober offiziell abgeschlossen. Doch für die Opposition ist noch lange nicht das letzte Wort gesprochen. Dafür ziehen die Parlamentarier alle Register: von der parlamentarischen Anfrage bis zur Ladung in den Ibiza-Untersuchungsausschuss.

Ihre Anfragen an Bundeskanzler Sebastian Kurz sowie an Finanzminister Gernot Blümel (beide ÖVP) und Justizministerin Alma Zadić (Grüne) wurden vor Weihnachten beantwortet. Zudem wollen sie den ehemaligen OMV-Aufsichtsratsvorsitzenden Wolfgang Berndt und den OMV-Aufsichtsratsvizepräsidenten Thomas Schmid als Zeugen im Ibiza-U-Ausschuss befragen.

Berndt und Schmid stimmten im OMV-Aufsichtsrat für den Borealis-Deal. Das taten sie im Namen der Öbag, der staatlichen Beteiligungsholding, die 31,5 Prozent an der OMV AG verwaltet. Das erklärt das Interesse der Volksvertreter.

Großer Medienwirbel

Bereits im Herbst 2020 sorgten Drozda und Krisper für medialen Wirbel. Über ihre parlamentarischen Anfragen zum Borealis-Deal berichtete etwa der Kurier und die Presseagentur APA. Auch DOSSIER schrieb darüber und enthüllte eine brisante E-Mail: Die Borealis-Controller hatten vor Kaufvertragsabschluss am 12. März 2020 einen Rückgang der Borealis-Ergebnisse wegen Covid-19-Pandemie und Ölpreissturzes prognostiziert. Trotzdem blieb der Borealis-Kaufpreis unverändert. In der Aufsichtsratssitzung am 11. März, wo der Borealis-Kauf genehmigt wurde, war die revidierte Borealis-Ergebnisvorschau kein Thema. Denn die heiße Info wurde erst nach Sitzungsende von Borealis an OMV bzw. Mubadala verschickt.

Konkret interessierten sich Drozda und Krisper in ihren Anfragen für eine Material-Adverse-Change-Klausel, die im Borealis-Kaufvertrag gefehlt haben soll, sowie für eine ominöse Borealis-„Tischvorlage“, die in der OMV-Aufsichtsratssitzung im Februar 2020 verteilt worden sein soll. Als Tischvorlage wird eine Unterlage bezeichnet, die am Sitzungstag oder kurz vorher präsentiert wird. Zudem zitierten sie eine anonyme Whistleblower-Anzeige bei der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA), die einen Schaden von einer Milliarde Euro in den Raum gestellt hatte.

Die OMV ist seither konsequent auf Tauchstation. OMV-Pressesprecher Andreas Rinofner wollte im Oktober die Inhalte der Anfragen gegenüber DOSSIER nicht kommentieren. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Zu den Anfragebeantwortungen, die nun vorliegen, will OMV-Mann Rinofner auch keine Stellungnahme abgeben.

Die inhaltliche Bandbreite der parlamentarischen Anfragen reichte von der Anbahnung des Borealis-Deals über den Preisfindungsprozess bis hin zu Kaufvertragsdetails. Aus Sicht der OMV sind die Politattacken unbegründet. OMV-Vorstand Rainer Seele hat in der Vergangenheit gebetsmühlenartig betont, dass der Borealis-Kauf eine „faire Transaktion“ sei und der Kaufpreis korrekt.

Mit der Anzeige des Whistleblowers bei der Justiz wurde die Übernahme in ein schiefes Licht gerückt. Darauf bezieht sich Justizministerin Alma Zadić in ihrer Anfragebeantwortung vom 27. November 2020: „Die in der Anfrage relevierte Anzeige langte am 27. August 2020 im Wege des BKMS-Hinweisgebersystems bei der Zentralen Staatsanwaltschaft zur Verfolgung von Wirtschaftsstrafsachen und Korruption (WKStA) ein. Nachdem am 1. September 2020 durch den zuständigen BKMS-Sachbearbeiter der WKStA an den Hinweisgeber eine (Rück-)Fragenliste übermittelt wurde, langte am 30. September 2020 ein ergänzender Hinweis des Hinweisgebers ein. In Ansehung der vorliegenden Eingaben wird derzeit von der WKStA eine Anfangsverdachtsprüfung (§ 1 Abs 3 StPO) vorgenommen, die bislang noch nicht abgeschlossen ist.“

Seltsam: Elf Tage vor Zadićs Antwort auf die Neos-Anfrage bestätigte die WKStA dem Kurier: „Mangels Anfangsverdachts wird kein Ermittlungsverfahren eingeleitet.“ Was stimmt nun? WKStA-Sprecher René Ruprecht gegenüber DOSSIER: „Die Anfangsverdachtsprüfung wurde 2020 abgeschlossen, und es gibt keine Ermittlungen zum Thema Borealis.“

Die Neos fragten neben Zadić  auch bei Finanzminister Gernot Blümel nach. Von ihm wollten sie mehr über „Thomas Schmids Rolle in Planung und Ausverhandlung der Borealis-Übernahme“ erfahren. Schmid ist hauptberuflich Alleinvorstand der Öbag, die dem Finanzministerium untergeordnet ist.

In der vorjährigen Talfahrt der OMV-Aktie sehen die Neos ihre Kritik bestätigt. „Ein Teil des Kursverlustes ist wohl durchaus auf die Folgen der Corona-Pandemie und Wirren um den Ölpreis im ersten Halbjahr zurückzuführen“, heißt es in der Neos-Anfrage: „Die Borealis-Übernahme wurde allerdings als Diversifizierung der OMV weg vom reinen Erdölkonzern gepriesen, durch welche die Marktkapitalisierung des teilstaatlichen Mineralölkonzerns in Krisenzeiten stabilisiert werden sollte.“

Für Neos-Abgeordnete Krisper war das ein leeres Versprechen.

Eine Stabilisierung sei nicht erkennbar. „Angesichts dieser düsteren Entwicklung muss im Interesse der Steuerzahler_innen aufgeklärt werden, wer die im Eiltempo abgewickelte Übernahme mit welchen Motiven vorangetrieben hat“, heißt es in der Anfrage. „Zudem stellt sich die Frage, warum zwischen ‚Signing‘ und ‚Closing‘ des Vier-Milliarden-Geschäfts keine Preisanpassung vorgenommen wurde, obwohl am Ölmarkt markante Schwankungen zu verzeichnen waren – und in weiterer Folge, ob der vereinbarte Kaufpreis für 39 Prozent der Anteile angemessen ist.“

Unklar sei laut Anfrage, warum die OMV auf 75 Prozent aufstocken musste: „Weitere 15 Prozent hätten gereicht, um vorerst die Mehrheitseigentümerschaft zu übernehmen – ohne zusätzliche Risiken, die am Ende auf Kosten des Staatshaushalts und der Steuerzahler_innen gehen könnten.“

Krispers Fazit: Die OMV hätte sich viel Geld ersparen können – und das wäre auch im Sinne die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler gewesen.

„Von öffentlicher Seite kann diese Fragen neben dem BMF (Bundesministerium für Finanzen, Anm.) nur Öbag-Vorstand Thomas Schmid ausführlich beantworten. Als stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender der OMV hat er die Tischvorlage begutachtet und die Übernahme im Namen der Republik mitgetragen“, heißt es in der Neos-Anfrage: „Hat Thomas Schmid Inhalte der Tischvorlage mit dem Finanzminister, seinem Kabinett oder anderen Mitarbeiter_innen des BMF geteilt? Sind nach Sichtung der Tischvorlage seitens der Öbag oder des BMF Abänderungen gefordert worden?“

Anfragen und Antworten

Am 27. November 2020 antwortete Finanzminister Blümel auf die Neos-Anfrage: „Im Interesse der Republik wird ein strategischer Dialog sowohl mit Vertretern der Öbag als auch mit Vertretern der zugehörigen Beteiligungsunternehmen laufend geführt. Die Aufgabe des Bundesministeriums für Finanzen besteht allerdings nicht darin, in einzelne Geschäftsfälle oder unternehmerische Entscheidungen der Beteiligungsunternehmen, wie hier der OMV AG, einzugreifen.“

Und zur Tischvorlage? Blümel: „Ein in der Anfrage in den Fragen 10 und 11 als ‚Tischvorlage‘ benanntes Dokument ist nicht hinreichend konkretisiert, um den Gegenstand der Fragen zweifelsfrei und präzise einzugrenzen. Daher kann – mangels Konkretisierung des gemeinten Dokuments und im Interesse einer wahrheitsgemäßen Beantwortung der Anfrage – auch keine Stellungnahme zu diesen Fragen erfolgen.“

Viele Fragen an den Kanzler

„Wie hoch ist der Schaden des Borealis-Deals für die Steuerzahlerin?“ lautet der Titel der Anfrage von SPÖ-Mann Thomas Drozda. Auch er wollte mehr über die ominöse Tischvorlage und andere Transaktionsdetails erfahren. Seine Liste umfasst mehr als 60 Fragen.

Die Drozda-Anfrage vom 1. Oktober 2020 ist direkt an den Kanzler gerichtet: „War die Aufstockung der Borealis-Anteile Gegenstand einer ihrer Besprechungen im Rahmen des zweitägigen Besuchs in den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) und Kuwait? Wurde dem Aufsichtsrat im Februar eine Tischvorlage vorgelegt, in der die Unternehmensbewertung auf Basis Dezember 2019 erfolgte? (...) Wurden Sie über die aktuellen wirtschaftlichen Entwicklungen und möglicherweise notwendigen Anpassungen des Kaufpreises informiert? Wurde die Unternehmensbewertung (und darauf basierend der Kaufpreis) im Laufe der Verhandlungen auf Basis der aktuellen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen überarbeitet? Wann wurde der Kaufpreis der Borealis-Anteile (...) ermittelt? Ist dieser angesichts der wirtschaftlichen Entwicklungen zu hoch? (...) Stimmt es, dass dadurch ein Schaden von rund einer Milliarde Euro entstanden ist?“

Auf Beteiligungshöhe, Kaufpreissumme, Bewertungsthemen oder Schadenssumme geht der Kanzler in seiner Anfragebeantwortung vom 1. Dezember 2020 nicht ein: „Soweit ich mich erinnern kann, habe ich während meines Aufenthalts in den Vereinigten Arabischen Emiraten und Kuwait im März 2019 an keiner Besprechung mit dem Inhalt der Aufstockung der Borealis-Anteile durch die OMV teilgenommen. Darüber hinaus ersuche ich um Verständnis, dass diese Fragen nach den Bestimmungen des Bundesministeriengesetzes 1986 in der nunmehr geltenden Fassung, BGBl. I Nr. 8/2020, nicht Gegenstand meines Vollzugsbereiches sind und daher von mir nicht beantwortet werden können.“

Zum Reizthema MAC wollten sich Kanzler Kurz auch nicht äußern.

„Durch die Material-Adverse-Change-Klausel (kurz MAC-Klausel) werden die Käufer in die Lage versetzt, sich vom Vertrag zu lösen, wenn zwischen dessen Abschluss und Vollzug eine wesentliche nachteilige Änderung beim Zielunternehmen oder in seinem Marktumfeld eintritt“, schreibt Drozda laut Anfrage: „Wurde eine solche Klausel für die Aufstockung der Anteile vereinbart? Wenn nein, warum nicht? Wenn nein, welche Konsequenzen drohen? Wenn nein, wie hoch ist der damit verursachte Schaden aus Sicht des/der Steuerzahlerin?“

Laut OMV steht keine MAC-Klausel im Borealis-Kaufvertrag.

Für den Staatsfonds Mubadala war der Borealis-Deal ein sensationelles Geschäft. Trotz Risikos betreffend Corona und Ölpreis wurde der Deal vom Aufsichtsrat anstandslos beschlossen. Vielleicht liegt das auch daran, dass Mubadala mit einem Anteil von 24,9 Prozent der zweitgrößte Aktionär der OMV AG ist und über einen Syndikatsvertrag mit der Öbag die mehrheitliche Kontrolle über die OMV ausübt? OMV-Chef Rainer Seele weist jede Kritik am Deal zurück. Die Borealis sei eine Jahrhundertchance für die OMV.

Die orientalische Spezialität wird das Hohe Haus noch länger beschäftigen. Stephanie Krisper und Kai Jan Krainer (SPÖ) sind Fraktionsführer im Ibiza-Untersuchungsausschuss. Dort stehen sowohl Thomas Schmid als auch Wolfgang Berndt auf der Zeugenliste. Berndt fungierte bis Herbst 2020 als Aufsichtsratsvorsitzender der OMV AG und wurde überraschend durch Mark Garrett ersetzt. Garrett war früher Vorstandsvorsitzender der Borealis AG. Krisper will Berndt und Schmid zu ihrer Rolle beim Borealis-Deal befragen. Berndt wurde für den 10. Februar vorgeladen, doch der 78-Jährige möchte aus gesundheitlichen Gründen verschieben. Auch der Schmid-Termin steht noch nicht fest.

Fix ist die ordentliche Hauptversammlung der OMV AG. Das alljährliche Aktionärstreffen findet am 2. Juni statt. Dort müssen Vorstand und Aufsichtsrat Rede und Antwort stehen. Vom aggressiven Hedgefondsmanager über den biederen Pensionskassenverwalter bis hin zum Kleinaktionär: Jeder OMV-Investor darf so viele Fragen stellen, wie er will. Gut möglich, dass die sich an den Spitzenpolitikern Thomas Drozda und Stephanie Krisper orientieren.