Wissen Sie, das DOSSIER – ich würde mir wünschen, dass sich die Parlamentarier mehr aus Qualitätsmedien informieren und nicht aus dem DOSSIER, denn da kann ich Ihnen nach Strich und Faden erzählen, was da an Unwahrheiten verbreitet wird.
Wolfgang Berndt, Ex-OMV-Aufsichtsratsvorsitzender
Als der pensionierte Industriemanager Wolfgang Berndt am 7. September 2022 vor den ÖVP-Korruptions-Untersuchungsausschuss geladen war, waren die Erwartungen hinsichtlich neuer Erkenntnisse nicht allzu hoch. Das Interesse der Abgeordneten galt unter anderem Berndts Parteispenden und mutmaßlichem Postenschacher in der Amtszeit von Sebastian Kurz (ÖVP). 2017 hatte Berndt der Jungen ÖVP 25.000 Euro, 2019 der ÖVP 40.000 Euro an Spenden zukommen lassen.
»Da immer wieder Behauptungen im Raum stehen, dass ich meine Mandate im Aufsichtsrat hier bei der OMV irgendwelchen Seilschaften oder Spenden verdanken würde, fühle ich mich veranlasst, kurz darauf einzugehen«, erklärte Berndt in seinem Eingangsstatement.
Natürlich habe seine Bestellung zum Vorsitzenden des Aufsichtsrats der OMV AG, an der die Republik Österreich über die Öbag 31,5 Prozent der Aktien hält, nichts mit seinen Spenden zu tun gehabt. Bevor er im Mai 2019 den Vorsitz übernahm, gehörte Berndt dem OMV-Aufsichtsrat schon seit 2010 an.
Gerade in seine Zeit an der Spitze des obersten Kontrollgremium des börsennotierten Öl- und Gaskonzerns fällt ein dunkles Kapitel in der Unternehmensgeschichte: die unerbittliche Suche nach dem Maulwurf, der ab dem Jahr 2020 Informationen über dubiose Vorgänge innerhalb der OMV an Medien gespielt hatte.
Zur Erinnerung: Die OMV hat eine höchst fragwürdige Historie betreffend den Umgang mit Kritiker·innen, von der Observation von Umweltaktivist·innen in Österreich und Neuseeland über das Scannen von Mails und Diensthandys von Mitarbeiter·innen bis hin zur Einschüchterungsklage gegen DOSSIER.
Unmittelbar nach Berndts Befragung im U-Ausschuss, die unter Wahrheitspflicht stattfand, konzentrierte sich das mediale Interesse auf dessen Aussagen zu den Gaslieferverträgen der OMV mit Russland.
Dabei hatte der ehemalige OMV-Präsident sehr viel mehr zu erzählen.
So sprach Berndt in der rund vierstündigen Befragung auch über die Maulwurfjagd der OMV, die mit mutmaßlich gesetzwidrigen Methoden durchgeführt wurde und überraschte mit einer neuen Geschichte zum skandalumwitterten Sideletter des früheren Revisionschefs.
Das 71 Seiten lange »Protokoll über die öffentliche Befragung der Auskunftsperson Wolfgang Berndt« sowie ein DOSSIER exklusiv vorliegender Bericht der Anwaltskanzlei Wolf Theiss dokumentieren, wie die OMV von Mai bis September 2020 Betriebsrät·innen unter Druck setzte, deren private E-Mails las – unter anderem jene mit einem SPÖ-Politiker –, und sie zeigen, wie Journalist·innen intensiv beobachtet wurden. Letzteres hat der OMV ein neues Verfahren vor der Datenschutzbehörde eingebracht.
Auf Tauchstation befinden sich der amtierende OMV-Vorstandsboss Alfred Stern und OMV-Aufsichtsratsvorsitzender Mark Garrett. Eine DOSSIER-Fragenliste zu Berndt-Protokoll, Wolf-Theiss-Papier und Sideletter blieb bis Redaktionsschluss unbeantwortet. OMV-Kommunikationschefin Sylvia Shin wollte trotz mehrfacher Nachfrage keine Stellungnahme abgegeben.
Wolfgang Berndt, Ex-Aufsichtsratsvorsitzender der OMV AG
Die Vorgeschichte
Im Frühjahr 2020 machten zunächst die Zeitungen Kurier und Standard heikle Vorgänge rund um die Dienstwägen und den Borealis-Deal in der OMV publik. Im Mai 2020 berichtete DOSSIER erstmals über das »Luxusleben eines Ölprinzen«, die opulenten Firmenpartys und Privatjetreisen des OMV-Chefs Rainer Seele und den geheimnisvollen »Zenit-Deal«, ein Sponsoring von Wladimir Putins Lieblingsfußballklub Zenit St. Petersburg.
Daraufhin wurde die Belegschaftsvertretung im OMV-Aufsichtsrat – bestehend aus Christine Asperger, Herbert Lindner, Alfred Redlich, Angela Schorna und Gerhard Singer – verdächtigt, die undichte Stelle, das Leak, zu sein. Die Maulwurfsuche begann. Intern wurde die Sache von Konzernrevisionschef Robert Eichler koordiniert, extern von der renommierten Anwaltskanzlei Wolf Theiss begleitet.
Ganz oben auf der Liste stand Christine Asperger, die erste Frau an der Spitze des OMV-Konzernbetriebsrats. Über den Wirbel rund um die Betriebsratschefin, die auch SPÖ-Mitglied ist, berichtete der Kurier im Oktober 2020: Berndt habe Wolf Theiss beauftragt, den »Aufsichtsräten auf den Zahn zu fühlen«.
»Es war nicht anzunehmen, dass Kapitalvertreter (im OMV-Aufsichtsrat, Anmerkung DOSSIER) ihre Handys und Laptops durchwühlen lassen würden«, schreibt der Kurier weiter. Die Prüfung endete, »ohne Verdächtige identifiziert zu haben« – auch nicht unter den Betriebsrät·innen. Doch Berndt und Eichler gaben nicht auf.
Stöbern im Postfach
Wie Wolfgang Berndt im U-Ausschuss freimütig erzählte, wurden die privaten E-Mails der Betriebsratsvorsitzenden trotzdem gefilzt:
Frau A. (Asperger, Anmerkung DOSSIER) hat auch am Tag nach der Veröffentlichung im DOSSIER um ein Gespräch bei Herrn Drozda gebeten – mit angehängt diesen Artikel. Es ist dann einige Zeit später an Frau A. – die hat das an andere weitergeleitet – ein Entwurf für eine parlamentarische Anfrage gekommen. Da hätte Frau A. die Pflicht gehabt, entweder den Aufsichtsrat oder den Vorstand zu informieren – Loyalitätspflicht –, um Schaden vom Unternehmen abzuwenden – das wurde nicht gemacht.
»Dass meine E-Mails von Dritten gelesen wurden, ist ein Skandal«, sagt Thomas Drozda heute zu DOSSIER. »An die parlamentarische Anfrage zu Saus und Braus des OMV-Vorstands kann ich mich gut erinnern«, so der Ex-SPÖ-Nationalratsabgeordnete (2017–21) und frühere Minister für Kunst und Kultur, Verfassung und Medien (2016–17). Er werde die Angelegenheit »juristisch prüfen lassen«.
»Danach entscheide ich, ob ich gegen die OMV rechtlich vorgehen werde«, sagt Drozda. »Dass ein börsennotierter Konzern Abgeordnete und Gewerkschafter überwacht, finde ich ungeheuerlich. So ein Verhalten kennt man sonst nur aus Diktaturen.«
Dazu muss man wissen, dass die private Nutzung beruflicher E-Mail-Accounts in der OMV gestattet ist. Der Arbeitgeber darf auch nicht einfach so in Postfächer hineinschauen. Nur bei einem begründeten Verdacht, etwa um eine Straftat aufzuklären, dürfen private Mails gelesen werden, und das auch nur im Beisein eines Betriebsratsmitglieds.
Bei Verstößen gegen die gesetzlichen Regeln am Arbeitsplatz können laut Wirtschaftskammer Österreich Verwaltungsstrafen, Schadenersatzforderungen von Betroffenen oder sogar ein Verfahren bei der Datenschutzbehörde drohen.
Die Betriebsrät·innen selbst hätten sich wohl schon aus Prinzip gegen die Rasterfahndung gewehrt. Wer lässt sich schon freiwillig ins E-Mail-Postfach reinschauen? Wann, wo und was sie online eingekauft hatte, war in Aspergers Mails ebenso nachzulesen wie Arzttermine, Gewerkschaftstreffen oder der Gedankenaustausch mit Parteifreund·innen.
»Ich werde das U-Ausschuss-Protokoll von meinem Anwalt prüfen lassen«, sagt Asperger auf DOSSIER-Anfrage. Ob sie von der OMV vorinformiert wurde, dass ihr E-Mail-Account geöffnet wird? Asperger: »Nein. Das geschah ohne mein Einverständnis.« Wer Aspergers Mailverkehr mit Thomas Drozda an Berndt weitergegeben hat, ist ungeklärt.
Fakt ist: Die Maulwurfsuche in der OMV war umfangreicher als bisher bekannt. Untersucht wurden auch Personen mit Naheverhältnis zu Asperger. Bei zwei Betriebsrät·innen wurden E-Mails bis ins Jahr 2018 zurück gescannt, ein Zeitpunkt, der mehr als zwei Jahre vor dem DOSSIER-Bericht über die Reisen von Rainer Seele liegt.
Doch es kommt noch schlimmer. Wolfgang Berndt plauderte im U-Ausschuss auch darüber, was er in den privaten E-Mails gelesen hatte:
Es war ganz klar, dass die einzige Person, die je auf die Unterlagen, die über diese Reisen im System waren, zugegriffen hat, Frau E. war. Und das ist dann beim DOSSIER gelandet. Frau E. und Herr Sankholkar hatten schon eine längere Freundschaft, und Herr Sankholkar hat ihr auch E-Mails geschrieben.
Um dies zu untermauern, zitiert Berndt vor dem U-Ausschuss eine eindeutig private Anrede aus einem ebenso privaten E-Mail. Dass einzig Frau E. Zugang zu relevanten Informationen hatte, stimmt wiederum nicht: Mit Bezug auf die DOSSIER-Story über das Luxusleben des damaligen OMV-Vorstandschefs Rainer Seele stellte Wolf Theiss fest, dass »mehrere hundert Personen Zugriff auf die Kostenstelle von Herrn Seele im SAP-System« gehabt hätten. Darum sei es unmöglich, das Leak zu finden.
Wie erklärt Berndt sein Zitieren aus privaten E-Mails, die er als OMV-Aufsichtsratschef erhalten hatte? Auf DOSSIER-Anfrage antwortet Berndt, die E-Mail sei »zusammen mit allerhand anderen interessanten Informationen – völlig legal – durch die forensische Untersuchung des Laptops von Frau E. ans Tageslicht gebracht« worden.
Doch das gibt ihm nicht das Recht, höchst persönliche Inhalte zu veröffentlichen. Auf welcher Rechtsgrundlage hat er die Mails gespeichert? Wer hat ihm die privaten E-Mails geschickt? Und über welche »interessanten« Infos verfügt er noch? Derartige Fragen will Berndt nicht beantworten. Er habe »kein Interesse, weitere Gespräche zu führen«, schreibt er.
Der Autor dieses Textes will nun datenschutzrechtliche Klarheit betreffend den Umgang der OMV mit privaten E-Mails schaffen. Aus diesem Grund hat er im März 2023 eine Individualbeschwerde gegen die OMV bei der Datenschutzbehörde eingebracht. Nun wird behördlich geprüft, ob die Datenschutz-Grundverordnung verletzt wurde.
Journalist·innen auf der Watchlist
Die Maulwurfsuche von Berndt & Co endete aber nicht bei den Betriebsrät·innen. Die OMV interessierte sich auch für fünf Journalistinnen und Journalisten: Renate Graber (Standard), Andrea Hodoschek (Kurier), Angelika Kramer (Trend), Andreas Schnauder (damals: Standard; heute: Pragmaticus) und eben den Autor dieses Textes. Die Anwaltskanzlei Wolf Theiss wurde beauftragt, diese genauer unter die Lupe zu nehmen. So heißt es im Wolf-Theiss-Bericht:
Im Rahmen der gegenständlichen Untersuchung wurde eine überblicksmäßige Internetrecherche durchgeführt und öffentlich zugängliche Social-Media-Plattformen durchsucht. Die Suche stellte insbesondere darauf ab, ob Bekanntschaften oder Kontakte einzelner befragter Personen zu Frau Graber, Frau Hodoschek, Frau Kramer, Herrn Sankholkar oder Herrn Schnauder feststellbar sind.
Trotz des betriebenen Aufwands konnte das Leak bis heute nicht identifiziert werden. Zum Schluss musste Wolf Theiss nüchtern festhalten: Eine unzulässige Informationsweitergabe konnte nicht nachgewiesen werden – niemandem, auch den Betriebsrät·innen nicht.
Die Maulwurfsuche zwischen Mai und September 2020 ging mit drastischen Maßnahmen einher, die Robert Eichler zu verantworten hat. Als Senior Vice President Internal Audit & Compliance war Eichler so etwas wie der Chef der Firmenpolizei. Wie Ende 2021 bekannt wurde, hatte sich Eichler abgesichert für den Fall, dass ihm seine Maßnahmen gegen Asperger und Co jemals vorgeworfen werden sollten: nämlich mithilfe eines Sideletters.
Robert Eichler, Ex-Leiter Internal Audit & Compliance der OMV AG
Die Story hinter dem Sideletter
Im April 2022 berichtete DOSSIER über Eichlers Sideletter und wie er Universitätsprofessorin Susanne Kalss diesbezüglich hinters Licht geführt hatte. In einer im August 2020 unterzeichneten Vereinbarung war Eichler im Fall einer vorzeitigen Abberufung eine Entgeltfortzahlung bis zum Pensionsantritt versprochen worden. Zwar hatte Gutachterin Kalss den Sideletter abgesegnet, doch ihr waren wichtige Informationen vorenthalten worden. Darum zog sie kurz vor der Hauptversammlung im Juni 2022 ihr Gutachten zurück.
Die DOSSIER-Story über das »Gefährliche Gutachten« trat eine Lawine los. Seele wurde in der Hauptversammlung zunächst die Entlastung verweigert und weitere Anwaltskanzleien (Gleiss Lutz/Frankfurt und HBA/Wien) mit einer Sonderprüfung von Eichlers Sideletter beauftragt.
Im U-Ausschuss hatte Berndt auch Neues über Eichlers Sideletter zu berichten:
Der Sideletter ist zustande gekommen, weil: Herr Eichler hat ja eine Reihe von Untersuchungen geleitet, veranlasst, die unter anderem auch die Dinge, die jetzt im Hinblick auf die beiden Betriebsratsmitglieder angesprochen wurden, untersucht haben und Dinge aufgedeckt haben, die problematisch waren. Herr Eichler ist zu Rainer Seele gekommen und hat gesagt, dass er Angst hat, wenn er jetzt weg ist, dass ihm daraus vielleicht ein Strick gedreht wird. Darauf hat Rainer Seele eine Vereinbarung mit ihm geschlossen.
Wovor hatte Robert Eichler Angst? Welcher Strick könnte ihm gedreht werden? Meinte er die Betriebsratsaktion oder war da noch mehr? Eichler und Seele waren für eine Stellungnahme nicht erreichbar. Berndt wollte diese Fragen gegenüber DOSSIER nicht beantworten. Dafür lüftete er im U-Ausschuss ein anderes Rätsel über das Leak des Sideletter-Gutachtens.
Auch zu dem Gutachten über diese Sidelettersache mit Eichler. Das wurde im ›Kurier‹ (...), dass es da offenbar etwas gibt, ja, und das habe ich auch gelesen. Und nachdem ich das gelesen habe, habe ich – und das war wahrscheinlich ein Fehler – Frau Hodoschek eine Kopie von dem Gutachten geschickt, damit sie weiß, dass das nicht etwas ist, was einfach ohne entsprechende rechtliche Klärung stattgefunden hat.
Berndts Aussage unter Wahrheitspflicht verblüfft: Immerhin gab er damit zu, selbst eine undichte Stelle gewesen zu sein und vertrauliche Informationen an eine Journalistin weitergeleitet zu haben. Dabei hatte er selbst die von ihm beauftragte Maulwurfsuche im U-Ausschuss so begründet:
Es hat im Zusammenhang mit diesem DOSSIER-Artikel, der völlig, völlig falsche Eindrücke erweckt hat, für mich die Notwendigkeit gegeben, herauszufinden, wo diese Informationsabflüsse entstanden sind. Als Vorsitzender des Aufsichtsrates hat man unter anderem auch die Aufgabe, Pflichtverletzungen abzustellen – und die Weitergabe von vertraulichen Informationen ist eine schwerwiegende, eine schwerwiegende Gesetzesverletzung, die bis zu fünf Jahre Haftstrafe mit sich bringen kann, und das hat es am laufenden Band gegeben.
Rainer Seele, Ex-Vorstandsvorsitzender der OMV AG
Spannende Hauptversammlung
Die Aussagen von Wolfgang Berndt im U-Ausschuss lassen die Vorgänge jedenfalls in einem neuen Licht erscheinen. Die Sideletter-Causa und die Entlastung von Seele dürften neuerlich geprüft werden.
Denn just am Tag von Berndts Aussagen gab die OMV bekannt, dass die Sonderprüfung abgeschlossen worden war. Das Ergebnis wurde via OMV-Presseaussendung am 7. September 2022 kurz nach 19 Uhr veröffentlicht.
Zwar wurden »Hinweise auf Abweichungen von unternehmensinternen Vorgaben (...) beim Abschluss einer Nebenvereinbarung mit einer OMV-Führungskraft (Eichler, Anmerkung DOSSIER)« erkannt. Doch die Indizien reichten nicht aus, um rechtliche Schritte einzuleiten. Dementsprechend stehe »auch einer Entlastung der ehemaligen Führungskraft (Rainer Seele, Anmerkung DOSSIER)« durch die Hauptversammlung nichts entgegen.
Die Presseaussendung ging wenige Stunden nach Berndts Befragung raus. War der Sideletter eine Belohnung Eichlers für seine illegalen Aktionen gegen die Betriebsrät·innen? Eine Frage, die Aktionär·innen in der OMV-Hauptversammlung am 31. Mai 2023 stellen werden. Denn was Berndt über den Seele-Eichler-Deal zu erzählen hatte, war den Sonderprüfer·innen nicht bekannt.