Rainer Seele steht zwischen zwei sitzenden Männer auf der Hauptversammlung der OMV. Im Hintergrund ein großes OMV-Logo.

Eine Frage der Entlastung

Die renommierten Aktionärsvertreter Institutional Shareholder Services und Glass Lewis empfehlen, dem früheren OMV-Vorstandsvorsitzenden Rainer Seele in der Hauptversammlung der OMV AG Ende Mai die Entlastung zu verweigern.

Text: Ashwien Sankholkar

OMV25.5.2023 

Bild: Rainer Seele bei der Hauptversammlung im Jahr 2016. Fotocredit: Herbert Pfarrhofer/APA

Für Rainer Seele wird die Hauptversammlung der OMV am 31. Mai 2023 zur Zitterpartie. Dem früheren OMV-Vorstandschef und nunmehrigen Berater der Abu Dhabi National Oil Company (Adnoc) soll beim Aktionärstreffen erneut das Misstrauen ausgesprochen werden. 

Im Vorjahr wurde Seele vom Interessenverband für Anleger (IVA) angegriffen. Diesmal sind deutlich größere Kaliber am Werk: die internationalen Aktionärsvertreter von Institutional Shareholder Services (ISS) und von Glass Lewis (GL). 

Bei ISS und GL handelt es sich um die weltweit größten »Proxy Advisors«, wie die Stimmrechtsberater im angloamerikanischen Raum genannt werden. Marktführer ISS unterstützt mehr als 3.400 institutionelle Anleger·innen, also Banken, Versicherungen, Investment- und Pensionsfonds beim Ausüben des Stimmrechts auf Hauptversammlungen. 

Mit 1.400 Klient·innen ist Glass Lewis die globale Nummer zwei. Beide Beratungsfirmen befassen sich unter anderem mit Missständen in den Vorstandsetagen. Jüngst machten sie etwa gegen die Entlastung der Vorstände der fast kollabierten Großbank Credit Suisse mobil. Auch Elon Musk warnte via Twitter vor der »konzentrierten Macht der Shareholder Services Companies wie ISS und Glass Lewis«. Nun haben die Proxy Advisors die OMV im Visier.

Die Empfehlung von ISS:

Kritischer Tagesordnungspunkt

Konkret geht es ihnen um den Tagesordnungspunkt (TOP) 3 der bevorstehenden Hauptversammlung, in dem Rainer Seele die Entlastung für das Geschäftsjahr 2021 erteilt werden soll. Zur Erinnerung: Seele war die Entlastung vor einem Jahr verwehrt worden, weil ihm im Zusammenhang mit dem Sideletter für Compliance-Chef Robert Eichler mangelhafte Compliance vorgeworfen wurde. 

Gemäß den DOSSIER vorliegenden »Proxy Reports« empfehlen ISS und GL ihren Klient·innen, gegen TOP 3 zu stimmen. Im ISS-Report vom 10. Mai 2023 steht: 

Eine Abstimmung GEGEN die Entlastung des ehemaligen Vorstandsvorsitzenden Rainer Seele für das Geschäftsjahr 2021 (Ziffer 3.2) ist gerechtfertigt, da der Aufsichtsrat festgestellt hat, dass es durch den ehemaligen Vorstandsvorsitzenden klare Verstöße gegen die strengen Compliance-Regeln und den Verhaltenskodex des Unternehmens gegeben hat.

Der Glass-Lewis-Report vom 15. Mai 2023 hat dieselbe Stoßrichtung: »Dass die festgestellten Unregelmäßigkeiten keine Rechtsgrundlage für strafbares Fehlverhalten oder Schadenersatz darstellen«, werde zwar zur Kenntnis genommen. Doch das ändere nichts daran, dass Seele »offenbar mehrfach gegen Compliance-Richtlinien verstoßen« habe. Deshalb lehnt auch Glass Lewis eine Entlastung für das Geschäftsjahr 2021 ab.

Die Empfehlung von Glass Lewis:

Der dubiose Sideletter

Die Kritik der Stimmrechtsberater bezieht sich konkret auf Vorfälle aus den Jahren 2020 und 2021, die DOSSIER im April 2022 aufgedeckt hat: Demnach hatte Rainer Seele dem damaligen Compliance-Chef Robert Eichler einen millionenschweren Sideletter zugeschanzt, ohne den zuständigen Prüfungsausschuss des Aufsichtsrats einzubinden. 

Ein Gutachten aus dem Jahr 2021 sollte die Rechtmäßigkeit des Sideletters im Nachhinein bestätigen. Doch auch hier wurde gemogelt. Weil DOSSIER die Gutachterin im Mai 2022 damit konfrontierte, dass der Sideletter ohne Vorstandsbeschluss zustande gekommen war, zog sie ihren Persilschein zurück – und löste eine Kettenreaktion aus: In der Hauptversammlung am 3. Juni 2022 wurde Rainer Seele vorläufig nicht entlastet, und eine Sonderprüfung wurde angeordnet.

Das im Herbst 2022 veröffentlichte Prüfergebnis hat die Stimmrechtsberater nun auf den Plan gerufen. In der OMV-Presseaussendung vom 7. September 2022 heißt es, dass »Abweichungen von unternehmensinternen Vorgaben« festgestellt werden konnten, aber von »einer Schadenersatzklage gegen Rainer Seele« abgesehen werde. 

ISS und Glass Lewis ist das offenbar zu wenig. Auf Basis der vorliegenden Informationen seien sie nicht bereit, Rainer Seele ungeschoren davonkommen zu lassen. Die Entlastung von Seele sei laut Glass Lewis »nicht im Aktionärsinteresse« (»Not in shareholders' interest«).

Im Visier der Datenschutzbehörde

Die DOSSIER-Story »Maulwurfjagd im Ölkonzern« ist Wasser auf die Mühlen der Prüfer. Demnach wurden in der Ära Seele die E-Mails von Betriebsratsmitgliedern überwacht und die Kommunikation mit Journalist·innen und dem Ex-Politiker Thomas Drozda (SPÖ) gescreent. Warum die Spitzel-Affäre ISS und Glass Lewis interessiert? 

Ex-OMV-Aufsichtsratspräsident Wolfgang Berndt hatte justament am 7. September 2022 im ÖVP-Korruptions-Untersuchungsausschuss ausgesagt, dass Robert Eichler den Sideletter bekommen haben soll, um ihn finanziell abzusichern, falls ihm wegen der Aktionen gegen Betriebsratsmitglieder »ein Strick daraus gedreht wird«. 

Die Staatsholding Öbag und die Adnoc sind mit 31,5 beziehungsweise 24,9 Prozent die größten OMV-Aktionär·innen. Weil die Vertreter der Vereinigten Arabischen Emirate wohl für ihren neuen Berater Seele stimmen werden, wird das Abstimmungsverhalten von Edith Hlawati mit Spannung erwartet. Sie ist Öbag-Alleinvorständin und stellvertretende Aufsichtsratsvorsitzende der OMV AG – und spielt damit eine entscheidende Rolle. Edith Hlawati wollte gegenüber DOSSIER keine Stellungnahme abgeben.

International wird die Abstimmung über die Entlastung von Seele eine Signalwirkung haben: In der OMV-Hauptversammlung wird auch entschieden, ob Compliance-Verstöße in Österreich ein Kavaliersdelikt sind oder nicht.