Recherche: Christian Bunke, Johannes Greß, Christof Mackinger; Mitarbeit: Florian Skrabal
»Jö schau, ganz schön schlau. Die Jö-Karte geht auch bei OMV«, reimt die OMV auf ihrer Website. Und wer Meister Eders Kobold Pumuckl kennt, weiß: Was sich reimt, ist gut – oder? Seit 2019 ist die OMV Partner in Österreichs größtem Kundenbindungsprogramm, dem Jö-Bonus-Club.
Das Prinzip dahinter ist einfach und vielen bekannt: Man kauft ein oder tankt das Auto voll, legt die Mitgliedskarte an der Kassa vor und bekommt Bonuspunkte, die »Ös«, gutgeschrieben. Diese lassen sich in Rabatte, also in bares Geld, ummünzen. Für klimabewusste Autofahrer·innen hat sich die OMV zudem etwas Besonderes einfallen lassen.
»In vielen Ländern, in denen die OMV Tankstellen betreibt, gibt es Kundenbindungsprogramme, mit denen sich zusätzlich CO₂ einsparen lässt. Ein Beispiel aus Österreich: Als Jö-Bonus-Club-Mitglied kann man gesammelte Ös dazu nutzen, um gänzlich klimaneutral unterwegs zu sein«, so der Konzern. »Mit der Abgabe von 20 Ös wird die Menge an CO₂-Emissionen ausgeglichen, die beim Verbrauch einer durchschnittlichen Tankfüllung von rund 50 Litern entsteht. Dafür unterstützt die OMV ein zertifiziertes Klimaschutzprojekt, das dieselbe Menge Emissionen einspart.«
Klingt gut – doch stimmt das auch? Oder handelt es sich um Greenwashing, also das Verbreiten von falschen Behauptungen, die ein Produkt oder eine Dienstleistung nur klimafreundlich wirken lassen?
Immer mehr Unternehmen heften sich Umweltschutz auf die Fahnen und werben mit grünen Versprechen. Dass sie dabei mitunter über das Ziel hinausschießen, zeigen zwei jüngst publikgewordene Gerichtsverfahren, die der Verein für Konsumenteninformation ins Rollen gebracht hatte. So darf Gösser, beziehungsweise der Konzern dahinter, die Brau Union, künftig nicht mehr behaupten, dass sein Bier »CO₂-neutral gebraut« sei.
Auch die Austrian Airlines (AUA) dürfen nicht mehr mit »CO₂-neutralen« Flügen werben. Die Gerichte sahen irreführende Geschäftspraktiken. So ist im rechtskräftigen AUA-Urteil nachzulesen: »Mit Umwelthinweisen darf nur geworben werden, wenn sie eindeutig belegt sind und eine Täuschung (…) ausgeschlossen werden kann.«
Aber zurück zur OMV. Als der teilstaatliche Mineralölkonzern die Aktion »Klimaneutrales Fahren« ausrollte, war die Fachzeitschrift Automotive im Jänner 2021 nicht zu bremsen: »Tanken mit gutem Gewissen: Der grüne Daumen der OMV«. Und weiter: »In Zusammenarbeit mit Climate Partner, einem führenden Unternehmen für Klimaschutzlösungen, unterstützt die OMV Klimaschutzprojekte wie etwa Aufforstungsmaßnahmen in Uruguay.«
DOSSIER hat dieses und zwei weitere von der OMV finanzierte CO₂-Kompensationsprojekte unter die Lupe genommen.
Projekt #1: Guanaré, Uruguay
Ausgangspunkt der Recherchen war ein kritischer TV-Beitrag des ZDF-Magazins Frontal. Im Sommer 2022 berichtete Frontal über das Aufforstungsprojekt in Uruguay und die Beteiligung der deutschen Supermarktketten Aldi und Rewe. Dass dort auch die OMV mitmischte, blieb unerwähnt.
»Wie viel CO₂ durch so ein Projekt ›eingespart‹ wird, ist letzten Endes nicht nachprüfbar«, sagt Jutta Kill, Biologin und Expertin für Kompensationsprojekte. Seit mehr als 20 Jahren beobachtet Kill Kohlenstoffmärkte. Vergangenes Jahr wurde ihre Expertise im Deutschen Bundestag gehört.
Die Berechnung, wie viel CO₂ kompensiert wird, beruhe auf »mehreren hypothetischen Annahmen«, so Kill zu DOSSIER. 2022 hat sie im Auftrag der NGO Foodwatch Deutschland das Aufforstungsprojekt in Guanaré, Uruguay, untersucht. Ihr Ergebnis: Der Nutzen für das Klima sei »zweifelhaft«.
Denn in Guanaré werden vornehmlich Eukalyptus-Monokulturen gepflanzt. Dabei kommen die Pestizide Fipronil und Glyphosat zum Einsatz. Dass die Wälder lange bestehen bleiben, ist zudem unwahrscheinlich. Zum einen sind Eukalyptus-Monokulturen besonders brandgefährdet, wie eine Waldbrandstudie des WWF bereits 2011 zeigte.
Zum anderen sollen die Monokulturen laut den Projektbetreibern nach 22 Jahren abgeholzt und verkauft werden. Vermittelt wurde das Projekt vom Münchner Unternehmen Climate Partner. Seit 2019 arbeitet die Firma mit der OMV zusammen.
Bei Climate Partner wischt man die Kritik am Guanaré-Projekt vom Tisch. Das Prinzip von zertifizierten Forstprojekten und gleichzeitiger Holzbewirtschaftung schließe sich nicht aus, heißt es auf DOSSIER-Anfrage. Essenziell für ein zertifiziertes Forstprojekt sei die langfristige CO₂-Bindung. Und diese sei auch bei der »nachhaltigen Bewirtschaftung« einer Eukalyptus-Plantage gegeben, »wenn nachgewiesen werden kann, dass diese Fläche ansonsten anderweitig genutzt würde«.
Im Fall des Guanaré-Projektes hätten dies »unabhängige Auditoren« bestätigt. Den ZDF-Bericht weist Climate Partner als »in weiten Teilen falsch, tendenziös, irreführend und widerlegbar« zurück. Das ZDF sieht hingegen »keine Veranlassung, von der gegenständlichen Berichterstattung Abstand zu nehmen«
»Akuter Greenwashing-Verdacht«
Auch Renoster, eine von Biolog·innen und Datenwissenschaftler·innen betriebene Ratingagentur für CO₂-Kompensationsprojekte, ist der Ansicht, dass das Projekt Guanaré »im Grunde keinen zusätzlichen Nutzen« für den Klimaschutz bringe. Deswegen wurde es 2022 mit null Punkten bewertet. Der deutsche Lebensmittelkonzern Rewe, der in Österreich unter anderem Billa- und Penny-Märkte betreibt, zog sich im August 2022 aus dem Projekt zurück. Man werde künftig keine Eigenmarken-Produkte mehr als »klimaneutral« bewerben, so ein Rewe-Sprecher.
Und die OMV? Die hielt zunächst unbeirrt daran fest. Zumindest noch bis März 2023 warb man damit, dass Jö-Kund·innen unter anderem durch das Projekt in Uruguay »klimaneutral« fahren können.
Randnotiz: Der heimische Jö-Bonus-Club gehört zur Firma Rewe. Auf Nachfrage schreibt Rewe Österreich: »Es handelt sich hierbei um eine Aktion, die die OMV über die Kanäle des Jö-Bonus-Clubs ausgespielt hat – für den Inhalt der Ausspielungen sind immer die jeweiligen Partner verantwortlich.« Rewe hält fest, »dass keine Kooperation zwischen dem Jö-Bonus-Club und Climate Partner besteht oder je bestanden hat«. Eine Zusammenarbeit gab es nur zwischen OMV und Climate Partner.
Auch der Konsumentenschutz der Arbeiterkammer Oberösterreich untersuchte das Jö-Programm der OMV. Im April 2023 kam man zu dem Schluss: »akuter Greenwashing-Verdacht«. Beim »als ›klimaneutral‹ beworbenen Treibstoff der OMV« konnte nicht im Detail nachvollzogen werden, »wie und in welchem Umfang CO₂ eingespart oder kompensiert wurde«. Und weiter: »Die Einsparung des Produktes selbst wäre in diesen Fällen wohl die effizienteste CO₂-Vermeidung.«
Das Projekt in Uruguay ist nicht das einzige, mit dem die OMV der Öffentlichkeit und den eigenen Kund·innen verspricht, die Umweltbilanz zu verbessern. In Summe wurden laut OMV über Climate-Partner-Projekte im Jahr 2022 fast 300.000 Tonnen CO₂ ausgeglichen. Im laufenden Jahr sind es bisher fast 200.000 Tonnen.
Zum Vergleich: Das ist etwas weniger als die Menge an CO₂, die in Österreich an einem Tag ausgestoßen wird. Insgesamt investiert die OMV in rund 40 Climate-Partner-Projekte – jenes in Uruguay ist nicht das einzige im Portfolio, das Ungereimtheiten aufweist.
Projekt #2: Tambopata, Peru
In Tambopata im Südosten Perus betreibt das Unternehmen Bosques Amazónicos ein Waldschutz-Projekt, über das die OMV von März bis November 2021 CO₂ kompensieren ließ. Der Ökologe und wissenschaftliche Leiter der Öko-Ratingagentur Renoster, Elias Ayrey, kritisiert das Projekt.
Da die beteiligten Gutachter·innen bei der Beurteilung des Waldschutz-Projekts »mogeln würden«, seien die verkauften Gutschriften »möglicherweise wertlos«, so Ayrey zu DOSSIER. Auch für die Biologin Jutta Kill ist die Menge an CO₂, die laut den Betreibern eingespart werden könne, »nicht plausibel«.
Abermals entgegnet Climate Partner, die Kritik sei haltlos und basiere auf »methodischen Fehlern«. Die Abholzung sei im Projektgebiet deutlich zurückgegangen. Auf DOSSIER-Nachfrage verweist man darauf, dass die Vorwürfe »bereits hinreichend und ausführlich widerlegt« seien. Zwei deutsche Gerichte waren jüngst anderer Meinung.
In einem Urteil des Landgerichts Karlsruhe vom 26. Juli 2023 wurde der Drogeriekette DM untersagt, Produkte als »klimaneutral« zu bewerben. Zeitlich begrenzte Waldschutz-Projekte stünden der »klimaneutral«-Behauptung gegenüber, welche, so das Urteil, »keine zeitliche Komponente« aufweise. Es lasse sich aus der Ferne »erahnen«, dass das Waldschutz-Projekt in Tambopata »in Konzeptionierung und Durchführung mit erheblichen und nicht gelösten Hindernissen zu kämpfen« habe.
DM kündigte Berufung an, zog diese aber Ende Oktober zurück. Bereits am 24. März 2023 urteilte das Düsseldorfer Landgericht mit Blick auf das Tambopata-Projekt gegen das Energieunternehmen Total Energies: Die Bewerbung des Heizöls als »CO₂-kompensiert« sei »irreführend«.
Neben Gerichten ziehen auch Wissenschaftler·innen das Prinzip der CO₂-Kompensation mittlerweile in Zweifel. Thales West, Professor an der Freien Universität Amsterdam, und Kolleg·innen untersuchten 29 Waldprojekte und kamen zu dem Schluss, dass 94 Prozent der Zertifikate wertlos sein dürften. Das berichtete ein internationaler Rechercheverbund aus der deutschen Wochenzeitung Die Zeit, dem britischen Guardian und der Rechercheplattform Source Material Anfang 2023.
Projekt #3: Pacajá, Brasilien
Neben zweifelhaftem ökologischen Nutzen werfen CO₂-Kompensationsprojekte Fragen zu den Auswirkungen auf die lokale Bevölkerung auf. 2017 dokumentierten Wissenschaftler·innen des Center for International Forestry Research die »Verletzung der Rechte der indigenen Bevölkerung« im Zusammenhang mit Waldschutz-Projekten. Dieser Verdacht liegt auch bei dem von der OMV unterstützten »Waldschutz-Projekt 1280« in Brasilien nahe.
Knapp die vierfache Fläche Wiens soll das von Climate Partner vermittelte Projekt nahe Pacajá im Bundesstaat Pará im Norden Brasiliens vor der Abholzung bewahren. »Um den illegalen Holzeinschlag zu verhindern, unterstützt das Projekt die sogenannten Ribeirinhos, die entlang der Flüsse und kleinen Bäche leben«, heißt es in der Projektbeschreibung.
Unter anderem sollen der indigenen Bevölkerung »nachhaltige Agroforsttechniken« und Techniken zur Überwachung des Gebiets beigebracht werden. Das klingt harmonischer, als es ist.
Im Juli 2023 brachte die Defensoria Pública, eine mit Österreichs Volksanwaltschaft vergleichbare Institution, des Bundesstaates Pará Klagen gegen vier Waldschutz-Projekte ein, darunter das von der OMV mitfinanzierte »Projekt 1280«. In der Klage ist von Landraub und gefälschten Eigentumstiteln die Rede. Die Klage beinhaltet die Forderung nach einer Schadenersatzzahlung in Höhe von knapp einer Million Euro.
Keines der Projekte sei staatlich genehmigt worden, »es gab weder eine vorherige Konsultation mit den Gemeinschaften noch eine Vorab-Studie«, die etwaige sozialökologische oder biologische Risiken hätte abwägen können, heißt es von der Defensoria Pública.
Ein »Konsultationsprozess« habe sehr wohl stattgefunden, so Climate Partner auf Nachfrage. Dieser habe ergeben, dass das Projekt sämtliche Anforderungen erfülle. »Aufgrund eingegangener Kommentare und Fragestellungen von Stakeholdern« sei das Projekt Anfang September 2023 jedoch einer erneuten Prüfung unterzogen worden. Deshalb liege es derzeit auf Eis.
Und was sagt die OMV dazu?
Mit den Vorwürfen konfrontiert, gibt man sich bei der OMV wortkarg. Ein Interview wollte man DOSSIER nicht geben. Auf einen Fragenkatalog zu den mutmaßlichen Ungereimtheiten bei den Projekten heißt es vonseiten der Pressestelle, die beiden Projekte in Uruguay beziehungsweise Brasilien würden nur einen »geringfügigen Prozentsatz des Gesamteinkaufsvolumens« von CO₂-Gutschriften ausmachen – wie viel genau, bleibt auf Nachfrage unbeantwortet.
Und überhaupt: Man werde die Finanzierung beider Projekte mit Jahresende einstellen. Auf Tambopata in Peru angesprochen, dessen Finanzierung die OMV im November 2021 beendete, antwortete die OMV wortgleich mit Climate Partner: Die Vorwürfe seien mit einem Faktencheck »bereits hinreichend und ausführlich widerlegt« worden.
Auch die Jö-Bonus-Club-Aktion »Klimaneutral fahren« sei mittlerweile eingestellt worden, »da das Kundeninteresse nachgelassen hat«. Details wollte man nicht nennen. Weder darüber, wann die Aktion beendet wurde oder wie viele Kund·innen das Angebot, »gänzlich klimaneutral unterwegs« zu sein, überhaupt genutzt haben. Noch darüber, wie viele Ös dafür eingesetzt wurden.
Dabei haben beim Klimaschutz »Transparenz und Nachvollziehbarkeit« für die OMV doch »absolute Priorität«, wie sie auf der Website schreibt. Vielleicht sollte sich die OMV noch eine Scheibe vom Kobold Pumuckl abschneiden. Denn wie reimt der so schön? »Kobolde versprechen nicht, weil man sich zu leicht verspricht.«