Ohne Werner Frießer geht in Seefeld wenig. Als Bürgermeister sorgt er seit 2004 für das Wohl der Tiroler Kommune und deren rund 3.400 Bewohner. Frießer führt die Geschäfte der örtlichen Bergbahn Rosshütte, der Olympia-Parkgarage, des Sport- und Kongresszentrums und der WM-Sportanlagen Seefeld-Tirol GmbH, allesamt Tochterunternehmen der Gemeinde.
Und Frießer hat noch einen Job: Er ist Mitglied des Organisationskomitees der 52. Nordischen Ski-Weltmeisterschaft, des wichtigsten Sportereignisses des Jahrzehnts, zumindest für die Region. Von 19. Februar bis 3. März 2019 laufen und springen Athletinnen und Athleten in 22 Bewerben um Medaillen. Zum ersten Mal seit zwanzig Jahren findet das Großereignis wieder in Österreich statt.
Über die sportlichen Höhen und Tiefen der Veranstaltung in Seefeld werden Sie in den kommenden Tagen viel hören und sehen, allein der ORF wird 60 Stunden live übertragen. Diese Geschichte handelt von den Hintergründen des Events; von den Gewinnern, die heute schon feststehen; von Männern wie Werner Frießer oder ÖSV-Präsident Peter Schröcksnadel und ihren Interessenkonflikten, von Intransparenz – und von Geld, viel Steuergeld.
Nachdem Seefeld 2014 vom Internationalen Skiverband (FIS) den Zuschlag für die WM erhalten hatte, wurde kräftig investiert: Ein neuer Schanzenlift, breite Langlaufloipen, ein weltmeisterliches Start- und Zielstadion und vieles mehr wurde gebaut. Finanziert werden die Investitionen in die Sportstätten einzig von der öffentlichen Hand, also der Gemeinde Seefeld (20 Prozent), dem Land Tirol (40 Prozent) und dem Bund (40 Prozent).
Teurer als Lahti 2017
Lagen die Kostenschätzungen für Investitionen für die Ausrichtung der WM im Juli 2014, kurz nach dem Zuschlag, noch bei 16,5 Millionen, waren sie im Juli 2017 auf rund 27,9 Millionen Euro angestiegen, wie Prüfer des Landesrechnungshofs Tirol vor wenigen Monaten in einem Bericht festhielten.
Zum Vergleich: Für die Nordische Ski-WM 2017 in Lahti zahlte die öffentliche Hand drei bis vier Millionen Euro für die Sprungschanzen und eine Stadionbrücke, wie der Finnische Skiverband an DOSSIER schreibt. Eine Studie des Veranstalters beziffert die Gesamtkosten öffentlicher Stellen für die Sportanlagen im Zeitraum der WM-Vorbereitung (2012–2017) mit zehn Millionen Euro.
Andere Investitionen, etwa in Bahnhöfe oder Straßen, sind weder in Finnland noch in Österreich eingerechnet. Seefeld ist somit zweieinhalbmal teurer, mindestens. In Lahti wurden jedoch die Weltmeisterschaften 2001 und 1989 ausgetragen, da waren die Sportstätten womöglich besser in Schuss als jene in Seefeld, das zuletzt 1985 eine Nordische WM veranstaltete.
Dennoch, Österreichs Steuerzahler investierten bereits in den vergangenen Jahren immer wieder in die Sportinfrastruktur der Region; beispielsweise 2011 1,4 Millionen für die Errichtung von Sprungschanzen und einer Biathlonanlage in Seefeld und weitere 1,74 Millionen Euro für die Sanierung der Bergiselschanze in Innsbruck, ein weiterer Wettkampfort der diesjährigen WM.
Profite an den ÖSV
Wie viel Steuergeld die WM-Veranstaltung in Seefeld schlussendlich kosten wird, lässt sich heute noch nicht sagen. Wer davon profitiert, jedoch schon: der Österreichische Skiverband, kurz ÖSV. Dass man einen Profit machen möchte, daraus machte ÖSV-Präsident Peter Schröcksnadel Mitte Jänner 2019 vor der Seefelder Gemeindeversammlung kein Hehl.
Der ÖSV habe die WM in Österreich unbedingt haben wollen, ist Mitte Jänner 2019 in den Lokalnachrichten Mein Bezirk zu lesen, als der Präsident in Seefeld spricht. Wenn der ÖSV als Veranstalter schon das Risiko des Events allein trage und „ohne Netz“ arbeite, dann wolle er damit auch Geld verdienen, so Schröcksnadel weiter.
Doch es gibt das Netz, von dessen Nichtvorhandensein der Präsident sprach: Es spannen die Steuerzahler, sie bezahlen schließlich für die Sportanlagen, mit denen der Verband Geschäfte macht.
Das Problem dabei: Während öffentliches Geld in Richtung WM in Seefeld fließt – eine Summe, die seit 2014 wächst und wächst –, weiß die Öffentlichkeit nicht, wie viel der ÖSV letztlich mit der WM verdienen wird. Das war bei der Alpinen Ski-WM in Schladming 2013 nicht anders, auch im Nachhinein.
„Schröcksnadels Motto“
Die Veranstaltung in der Steiermark ging vor allem wegen der exorbitanten Kosten für die Allgemeinheit in die Geschichte ein: Insgesamt 248 Millionen Euro steuerte die öffentliche Hand für den Aus- und Neubau von Infrastrukturprojekten bei. An „WM-relevanten“ Subventionen machte das Land Steiermark rund 62 Millionen locker, der Bund rund 24 Millionen Euro.
Der Rechnungshof kritisierte neben der mangelhaften Aufsicht und der Willfährigkeit der Gebietskörperschaften eine heikle Praxis: die Bezahlung von Vorhaben durch die öffentliche Hand, für die womöglich bereits die FIS aufgekommen war.
Der ehemalige Abgeordnete der Grünen, Dieter Brosz, seinerzeit Mitglied im Sportausschuss des Parlaments, beschreibt das Problem 2015 in einer Aussendung so:
Schröcksnadels Motto lautet offenbar: Die Kosten von Großveranstaltungen trägt die öffentliche Hand, die Gewinne werden privatisiert, der ÖSV kassiert. Ein verantwortungsvoller Umgang mit Steuergeld sieht anders aus.
Der Skiverband verdiente mit der Alpinen WM 2013 eine Menge Geld. Wie viel, das sagt Schröcksnadel nicht. Bisher wurde auch unter Verschluss gehalten, wie hoch der Zuschuss des Internationalen Skiverbandes FIS für Schladming war. DOSSIER kann das Geheimnis lüften, aber das ist eine andere Geschichte.
Auch in Seefeld wird viel Geld fließen, aus einem abermals geheim gehaltenen Zuschuss der FIS, aus dem Verkauf von Werbeflächen, Verträgen mit Sponsoren und Eintrittstickets – der ÖSV erwartet an die 150.000 Zuschauer.
In Lahti, wo der Langlauf ungefähr die Bedeutung des alpinen Skirennfahrens in Österreich hat, kamen 220.000 Fans, 180.000 Tickets wurden verkauft, der Erlös aus dem Ticketverkauf betrug rund 3,4 Millionen Euro.
Frießers kleine Anstellung
Die Gemeinde Seefeld ist der Austragungsort, dem die FIS die WM anvertraut hat. Im Hintergrund laufen die Fäden aber beim ÖSV zusammen, als nationaler Verband der Veranstalter. So ist der ÖSV gegenüber der FIS verantwortlich, dass die Wettkampfstätten dem Reglement entsprechen. Daher hat der Verband mehr als ein Wort beim Bau oder Renovierung der Sportanlangen mitzureden.
Das wird an Werner Frießer, Seefelds Mann für alles, deutlich: Bürgermeister Frießer vertritt nicht nur die Interessen der Kommune Seefeld und ihrer Tochterunternehmen, der 48-Jährige steht auf der Payroll des Skiverbandes.
„Ich habe eine kleine Anstellung beim ÖSV“, sagt der Bürgermeister im Gespräch mit DOSSIER, einen Interessenkonflikt kann er nicht erkennen. Auch sein zeitweiliger Arbeitgeber nicht. Doch den Großteil der Kosten haben andere zu tragen.
Frießers Interessenkonflikt wird schnell offensichtlich: Der Bürgermeister sagt etwa nicht, wie hoch das Gesamtbudget für die Ausrichtung der WM ist – er verrät noch nicht einmal, ob er das Budget selbst kennt.
Das sollte er als WM-Insider aber, die von ihm geführte Tochtergesellschaft der Gemeinde, die WM-Sportanlagen Seefeld-Tirol GmbH, konzipierte die Veranstaltung von Beginn an mithilfe des ÖSV.
Nicht nur in Seefeld weiß der ÖSV die Veranstaltung geschickt zu nutzen: Die Nordische Ski-WM 2019 weicht bei Skisprungbewerben auf der Großschanze nach Innsbruck aus. Dafür wurde die Bergiselschanze renoviert. Hier treibt Österreichs Förderwesen besondere Blüten.
Das „Facelifting“ am Bergisel
Es nimmt seinen Anfang, als ÖSV-Präsident Schröcksnadel im November 2017 in einem Interview mit der Tiroler Tageszeitung desolate Toiletten und ungleich hohe Stufen am Schanzengelände kritisierte.
Er warnte „die Politik“ davor, sich zu blamieren. „Das Ambiente bei uns erinnert an die Nachkriegszeit.“ Überhaupt sei „nicht Aufgabe des Verbandes, eine Sportstätte zu bauen“, sagte Schröcksnadel.
Wahr ist, so der Mietvertrag, dass die Schanze einer Tochterfirma des ÖSV als Superädifikat gehört und der Verband die Verpflichtung übernommen hat, für deren Instandhaltung zu sorgen. Laut dem 2006 abgeschlossenen Mietvertrag zwischen der Stadt Innsbruck und der Betreiberin sollte diese dafür allein aufkommen. Im Vertrag ist explizit festgehalten:
Insbesondere hat die Mieterin auf eigene Kosten dafür zu sorgen, dass die gesamte Anlage betriebsbereit und für Veranstaltungen geeignet ist.
Und zwar so, „dass sie für Sprungveranstaltungen den jeweiligen FIS-Normen entspricht“. Mieterin der Bergiselschanze ist die Bergisel Betriebs GmbH, eines von sieben Unternehmen im Eigentum des ÖSV und ein Juwel im Firmennetz.
Laut den aktuellsten Jahresabschlüssen hatte im Geschäftsjahr 2017/18 kein ÖSV-Unternehmen mehr Angestellte als die Bergisel Betriebs GmbH, mit der man am Schanzenturm ein und am Fuße der Anlage ein weiteres Nobelrestaurant (zwei Falstaff-Gabeln 2018) betreibt.
Desolate Toiletten gab es in den Lokalen vermutlich keine.
Das „Facelifting“ der Anlage bezog sich natürlich auf die Sportstätte, auf modrige Kampfrichtertürme, auf unebene Stufen und auf die Klos im Stadion – die sind Sache der Steuerzahler.
Mit 1,74 Millionen Euro habe sich die öffentliche Hand am „Facelifting“ beteiligt, heißt es aus dem Sportministerium auf DOSSIER-Anfrage. Die Kosten würden geteilt: Bund und Land Tirol zahlen je 718.000, die Stadt Innsbruck 270.000 Euro.
Doch beim Land Tirol weiß man nichts davon, ein „Facelifting“ der Bergiselschanze gefördert zu haben: „Es wurde keine entsprechende Förderung gewährt oder ausbezahlt“, schreibt der Leiter der Öffentlichkeitsarbeit des Landes auf wiederholte Nachfragen von DOSSIER.
ÖSV-Generalsekretär Klaus Leistner bestätigt indes die Förderung der Schanzensanierung für die WM im Gespräch mit DOSSIER. Auch bei der Stadt Innsbruck wurden Budgetmittel für 2019 vorgesehen: Der Punkt aus dem Mietvertrag bleibe natürlich aufrecht. „Es werden im Rahmen der Nordischen Ski-WM die Adaptierung der Infrastruktur für Barrierefreiheit und Nachhaltigkeit von den Gebietskörperschaften über Zuschüsse finanziert“, heißt es aus dem Büro des Bürgermeisters.*
*Die Stellungnahme ging nach Redaktionsschluss ein und wurde ergänzt.
Wie Peter Schröcksnadel von der WM profitiert
Ob am Innsbrucker Bergisel oder im Zielstadion in Seefeld, eine WM generiert Investitionen, mediale Aufmerksamkeit und einen Touristenstrom. Davon profitieren nicht nur Werner Frießer mit seiner ÖSV-Gage, die Gemeinde und deren Unternehmen sowie der Skiverband. Auch ÖSV-Präsident Peter Schröcksnadel zählt zu den Siegern, und das gleich mehrfach.
Da wären beispielsweise die Werbeflächen, die seine Firma Sitour in der Region Seefeld verkauft – dank WM gibt es mehr Kontakte im Ort selbst und in den Medien, Marketingprofi Schröcksnadel wird die erhöhte Aufmerksamkeit zu nützen wissen.
Zusätzlich verdient der ÖSV-Präsident noch mit der Vermittlung von Häusern und Zimmern für den WM-Tross und die Touristen. Wer im WM-Zeitraum über die offizielle Website der WM ein Zimmer buchen möchte, tut das über das Onlinebuchungssystem der Feratel Media Technologies AG, an der Schröcksnadel mehrheitlich die Anteile hält.
Und falls sich ein Journalist aus der großen weiten Welt für die Ski-WM in Seefeld akkreditieren will, kommt er nicht um das Support-Center der WM herum. Betrieben wird das ebenfalls von der Firma Feratel. Der ÖSV bezahlt der Feratel übrigens Geld für diesen Service.
Auf den möglichen Interessenkonflikt hingewiesen, antwortete ÖSV-Generalsekretär Klaus Leistner: „Irgendwer muss das ja machen.“