- Am Richard-Wagner-Konservatorium unterrichten angeblich mehr als 40 Lehrerinnen und Lehrer. Auf Nachfrage bestreiten Musiker und Professoren aber ihr Engagement an der Musikschule.
- Rund 80 Prozent der Studenten kommen aus Drittstaaten. Sie werden mit leichten Aufnahmeprüfungen und schnellen Aufenthaltsbewilligungen angeworben.
- Schulleiter Mirza K. führt keine Statistiken über die Anzahl seiner Schüler und wie viele pro Schuljahr aufgenommen werden.
Mirza K. hat es geschafft. Mit 44 Jahren leitet er eine der „führenden Musikschulen der Welt“: das Richard-Wagner-Konservatorium. Kaum ein Standort scheint dafür geeigneter als Wien, Europas Hauptstadt der klassischen Musik. Hier läuft für den Schulleiter alles im Takt.
Die „prominentesten Musiker arbeiten zusammen unter einem Dach“ und unterrichten „auf dem höchsten Niveau“. Die Schüler „gewinnen große Wettbewerbe“, die Absolventen „zählen zu den Top-Solisten der Gegenwart“ – heißt es in einer Schulbroschüre.
Wer nach dieser Beschreibung einen Prunkbau an der Ringstraße erwartet, wird enttäuscht. Das Konservatorium sitzt im zweiten Stock eines Bürogebäudes über einer Discount-Tankstelle, unweit der U-Bahn-Station Längenfeldgasse im 12. Wiener Gemeindebezirk.
Bei einem Rundgang lächelt K. verlegen, knetet nervös seine Hände und wirkt etwas angespannt. Angesprochen auf die Lage und die Räume seiner Schule sagt er: „Wir sind eine kleine Schule und wollen das auch bleiben.“
Obwohl die Schule klein ist und erst seit fünf Jahren besteht, hat Schulleiter K. den Überblick verloren: Auf der Webseite führt er Lehrer an, die gar nicht dort unterrichten; Musiker, die angeblich Stunden am Konservatorium geben, bestreiten das auf Nachfrage.
Die falschen Lehrer
Laut Webseite unterrichten angeblich mehr als 40 Lehrer am Richard-Wagner-Konservatorium. Doch nicht alle, die als Lehrer gelistet sind, wissen davon: Stanislaw Tichonow etwa. Vor ein paar Jahren habe er zugesagt, einen Studenten aufzunehmen.
Das habe jedoch „aus privaten und organisatorischen Gründen nicht geklappt“, schreibt Tichonow in einer E-Mail. Er ist Klavierlehrer am Joseph-Haydn-Konservatorium in Eisenstadt, für das Richard-Wagner-Konservatorium war er nie tätig. Kurze Zeit nach der Kontaktaufnahme verschwindet sein Name von der Webseite.
Hier muss es sich um ein Missverständnis handeln. Ich unterrichte nicht am Konservatorium und gebe dort keine Meisterklassen.
Roman Patkolo, Kontrabass-Solist
Auch der Kontrabass-Solist Roman Patkolo soll Meisterklassen – das sind exklusive und kostenpflichtige Lehrstunden von renommierten Musikern – am Richard-Wagner-Konservatorium abhalten. Auch er streitet das auf Nachfrage ab: „Hier muss es sich um ein Missverständnis handeln“, schreibt Patkolo. „Ich unterrichte nicht am Konservatorium und gebe dort keine Meisterklassen.“ Sein Name ist bis heute online.
Ebenso Dieter Flury, Soloflötist und ehemaliger Geschäftsführer der Wiener Philharmoniker. Auf der Webseite der Schule werden Meisterklassen in seinem Namen angeboten, doch „ich kenne diese Einrichtung überhaupt nicht“, sagt Flury am Telefon.
Die widersprüchlichen Angaben auf der Webseite seines Konservatoriums erklärt Schulleiter K. knapp: „Herr Tichonow ist schon lange nicht mehr dabei. Er wurde beim Stadtschulrat an- und abgemeldet. Herr Patkolo hat Interesse gezeigt, einen Meisterkurs anzubieten.“
Die Schule für alle
Wer ein klassisches Musikinstrument lernen möchte, muss pro Jahr rund 2.000 Euro an Studiengebühren bezahlen. Knapp 3.000 Euro sind es für die Ausbildung zum Musiklehrer. Bei durchschnittlich sechs Jahren Ausbildungsdauer pro Studienzweig kommt man pro Schüler auf rund 11.650 beziehungsweise 17.700 Euro.
„Wenn man sich das schön aufteilt, kann man sich das schon leisten“, sagt K. Trotz kostspieliger Ausbildung scheinen die Aufnahme und die Lehre am Institut sehr einfach zu sein.
Wie einfach, zeigen DOSSIER-Recherchen: Ein Journalist aus Moldau möchte sich bewerben und ruft zuvor Schulleiter K. an, um Details zur Prüfung zu erfahren. Er sagt, dass er kein professioneller Musiker ist und nur Grundkenntnisse in klassischer Akustikgitarre hat.
Für K. ist das „gar kein Problem“, denn man müsse „keine Abschlusszeugnisse oder andere Diplome vorweisen“. Einzig wichtig sei die Aufnahmeprüfung, „bei der aber kein Spezialwissen, sondern nur grundsätzliches Wissen über Tonleitern und Intervalle“ abgefragt wird.
Auch Martin L. (Name von der Redaktion geändert, Anm.) war erstaunt, als er sich bei K. über die Aufnahmebedingungen informierte. Er hatte noch nie Gesangsunterricht, bevor er 2013 beschloss, Sologesang zu studieren. Nach einem Telefonat mit K. hat er sich für das Richard-Wagner-Konservatorium entschieden: „Ich war verunsichert, weil ich keine Erfahrungen mit Gesang hatte. Aber nach dem Gespräch habe ich mich zur Aufnahmeprüfung angemeldet und sie letztlich bestanden.“ Seine Leistungen sind seither mit „Sehr gut“ benotet, erzählt er.
Andere Schüler bezeichnen die Aufnahmeprüfung in Gesprächen ebenfalls als „sehr einfach“. Es müssen keine Zeugnisse vorgewiesen werden, Deutschkenntnisse sind ebenfalls nicht nötig, schildern die Schüler.
Zum Vergleich: Die Universität für Musik und darstellende Kunst Wien hat bei vergleichbaren Studiengängen ein mehrstufiges Aufnahmeverfahren: Prüfungen zu Akustik- und Musiklehre, ein Vorspielen am Klavier, instrumentale Kompetenz im Hauptfach plus Nachweis über ein B1-Sprachniveau in Deutsch. Von rund 600 Anwärtern schaffen es dort pro Jahr nur etwa 100.
Keine Zahlen verfügbar
Für das Richard-Wagner-Konservatorium gibt es keine vergleichbaren Zahlen: Schulleiter K. behauptet, er wisse weder, wie sich die Schülerzahlen in den letzten Jahren entwickelt haben, noch, wie viele Personen zur Aufnahmeprüfungen antreten oder wie viele davon durchfallen, „so eine Statistik führe ich nicht“.
Einzig die Zahl des Studienjahres 2016/2017 wisse er: 163 Schüler sollen zugelassen sein. Überprüfen lassen sich seine Angaben nicht, obwohl er Zahlen wie diese in einem jährlichen Eröffnungsbericht dem Wiener Stadtschulrat melden muss. Dort gibt es trotz mehrmaliger Anfrage keine Auskunft.
Bericht und Anzahl der Schüler unterliegen der Amtsverschwiegenheit, lautet zunächst die Begründung. Eine weitere Anfrage nach dem Auskunftspflichtgesetz wird aus Datenschutzgründen abgewiesen. DOSSIER bekämpft die Ablehnung der Auskunft über die Gesamtschülerzahl gerade vor dem Bundesverwaltungsgericht.
Seit 2013 führt das Richard-Wagner-Konservatorium das Öffentlichkeitsrecht, somit darf es staatlich anerkannte Zeugnisse ausstellen. Da die Zuständigkeiten und Regulierungen nicht eindeutig formuliert sind, entsteht ein Spielraum für Geschäfte jeder Art: schnelle Aufenthaltsbewilligungen für Studenten aus dem Ausland und akademische Abschlüsse, die es in Wirklichkeit gar nicht gibt.
Business macht Schule
Im Interview mit DOSSIER spricht es Mirza K. schließlich von sich aus an: „Sie müssen mit Sicherheit davon ausgehen, dass meine Studenten wirkliche Studenten sind“, sagt er. Ein ungewöhnlicher Satz von einem Schulleiter. Es gebe Menschen, die ein Business daraus gemacht hätten. Er werde selbst oft von Agenturen angesprochen, meistens aus China:
Es gibt viele Leute, die haben reiche Eltern und wollen in Europa leben. Diese Agenturen nutzen das aus und kassieren viel Geld. Aber bei mir geht das nicht
sagt Mirza K.
Dass genau dieses System bei Mirza K. nicht möglich sei, stimmt so nicht. Er führt eine eigene Version seiner Schulwebseite mit eigener Internetadresse ausschließlich in chinesischer Sprache. Unter dem Punkt „niedrige Zulassungsbedingungen“ werden die Kandidaten über die niederschwelligen Anmeldeformalitäten informiert.
Nach bestandener Aufnahmeprüfung, die in China stattfindet und ausschlaggebend für das Studentenvisum ist, gibt es weitere Serviceleistungen: Hilfestellungen beim Visumsantrag, „einheitliche Organisation im Ausland, Schlafsäle, Versicherung, Telefon- und Bankkarten“ werden versprochen.
Tatsächlich werden am Richard-Wagner-Konservatorium großteils Schüler aus Drittstaaten unterrichtet, mindestens 80 Prozent, schätzt der Schulleiter. Genaue Zahlen kennt er nicht, auch darüber führe er keine Aufzeichnungen.
Auch die für „Einwanderung und Staatsbürgerschaft“ zuständige Magistratsabteilung (MA 35) hat keine Daten, wie viele Schüler für welche Schulen eine Aufenthaltsbewilligung beantragen oder um eine Verlängerung ansuchen. „Leider stehen dafür keine Statistiken zur Verfügung“, schreibt die Presseabteilung auf Nachfrage.
Geschäftsmodell Klassik
„Man kann natürlich das kulturelle Kapital der Stadt Wien nutzen, um Geschäfte zu machen“, sagt Peter Röbke, Institutsvorsteher für Musikpädagogik an der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien.
„Vor allem auf dem asiatischen Markt zählt ein Zeugnis aus Wien sehr viel, und es bleibt eigentlich zweitrangig, woher es kommt“, sagt er. Angesichts des attraktiven Marktes ein sehr ertragreiches Geschäft – vor allem, wenn der Begriff Konservatorium in Österreich nicht geschützt ist.
Die Recherchen zum Richard-Wagner-Konservatorium in Kooperation mit der armenischen Rechercheplattform Hetq wurden von „Reporters in the Field“ der Robert-Bosch-Stiftung finanziell unterstützt.
Zumindest die Schüler des Richard-Wagner-Konservatoriums scheinen zufrieden zu sein. „Es gibt keine schlechte Kritik“, sagt einer im Gespräch, „man kann alles nur richtig machen“. Ein anderer beschreibt das Verhältnis zu seinen Lehrern als „familiär“, jeder sei gut in dem, was er macht. Er möchte nach seinem Abschluss weiterhin am Konservatorium bleiben und einen Bachelor- oder Masterabschluss bekommen. Weil aber Konservatorien keine akademischen Abschlüsse verleihen dürfen, hat Schulleiter K. auch dafür eine Lösung parat.
Auf der Schulwebseite wirbt er prominent für akademische Diplome, die in Kooperation mit Hochschulen im Ausland angeboten werden. Dass dieses Angebot, sowie die Schule selbst, voller Widersprüche, Scheingeschäfte und dubioser Verbindungen zu einflussreichen Politikern ist, zeigt eine Spur, die nach Armenien ans Staatskonservatorium und nach Bosnien zu einem Geldwäscheskandal führt.