Netzausfälle

Auf Papier ist die Krone eine Macht, doch das Internet hat sie verschlafen. Um Boden gutzumachen, ist ihr fast jedes Mittel recht.

Text: Marlene Liebhart, Illustration: Anna Frohmann

Kronen Zeitung11.4.2019 

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Richard Lugner, der Baumeister der Nation, soll auf Fotos seine Opernballgäste erkennen und kämpft damit. In einer anderen Folge muss Musiker und Kabarettist Max Schmiedl Süßigkeiten kosten, die nach Hundefutter schmecken. Witz und leichte Unterhaltung, das ist das Konzept der Lila Gorilla Show, einer Produktion von krone.at. Promis stellen sich in dem Onlineformat mal mehr, mal weniger lustigen Herausforderungen. Durch die Sendung führt eine 24-jährige Wienerin mit langen, silbernen Rastazöpfen, die öffentlich nur unter dem Pseudonym Valentina Vale in Erscheinung tritt. Von Beruf ist sie Influencerin – sie hat in sozialen Medien so viele Fans, dass sie mit Werbung vor, nach oder in ihren Videos Geld verdient. Von ihrer Reichweite will nun auch eine Zeitung profitieren, die sich bei den Jungen schwertut: „Der Kronen Zeitung ist sehr wohl bewusst, dass Social Media einfach einen immer höheren Stellenwert bekommen“, sagt Valentina Vale im Gespräch mit DOSSIER.

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In der Printwelt kann der Krone in Österreich niemand das Wasser reichen: Mehr als zwei Millionen Menschen lesen sie täglich. Die Nummer zwei, die Kleine Zeitung, kommt auf rund ein Drittel, der Standard auf ein Viertel des Publi­kums. Im Internet sieht es ganz anders aus, dort hängt sie die Konkurrenz nicht ab: Laut Österreichischer Webanalyse (ÖWA) liefern sich krone.at und derstandard.at ein Kopf-an-Kopf-Rennen. Auf Facebook liegt der Standard mit rund 317.000 Fans nur hauchdünn vor der Krone, auf Instagram ist er jedoch deutlich und auf Twitter um das Zehnfache überlegen. Wie in den meisten Verlagshäusern kämpft man auch in der Muthgasse mit den entscheidenden Fragen der Zukunft: Wie im Netz Geld verdienen, und zwar so viel, dass man den Betrieb am Leben halten und Gewinn erzielen kann? Bisher lief es nicht immer rund, etliche Projekte scheiterten. Um gegenzusteuern und die Zugriffszahlen in die Höhe zu treiben, greift die Krone  auch auf irreführende Schlagzeilen zurück und spitzt Aufregerthemen zu.

Das Internet hat die Krone zunächst ähnlich verschlafen wie einst ihr Schöpfer Hans Dichand: „Einmal haben wir ihn geholt, um ihm den ­Onlineauftritt zu zeigen. Wir haben ihn vor das Internet gesetzt, von dem er nicht wirklich wusste, was es konnte beziehungsweise war“, erinnert sich Maria Jelenko im Gespräch mit DOSSIER. Als Chefin vom Dienst und später als Chefredakteurin war sie von 1997 bis 2006 dabei. „Nach ungefähr zehn Minuten haben wir lautes Schnarchen gehört“, sagt Jelenko. In den späten Neunzigern beginnt für die Krone das digitale Zeitalter: „Seit Sonntagfrüh gibt es die Krone nicht mehr bloß bei Kolporteur, Trafikant und Zeitungskiosk – seit heute gibt es uns auch im Internet“, verkündet die Krone bunt im Februar 1998, etwa drei Jahre nachdem mit derstandard.at die erste österreichische Tageszeitung online gegangen ist. Aus Angst, der gedruckten Zeitung zu schaden, zögert die Krone-Chefetage, tagesaktuelle Inhalte im Netz zu bringen: „Ich habe die Artikel aus der Zeitung bewusst nicht übernommen, auch weil es unter den Printredakteuren ein gewisses Misstrauen gab, dass die Onlineredaktion die Geschichten abschießt und so weniger Leserinnen und Leser die Zeitung kaufen“, erzählt Jelenko. Statt auf Nachrichten setzt man online noch stärker auf Infotainment. „Damals war die Vorstellung: Eine gute Website braucht Spiele, Rätsel, Nacktfotos, Society und Bildergalerien“, erzählt ein ehemaliger Mitarbeiter, der anonym bleiben will.

Man versucht auch das Publikum einzubinden: In einem „Talksalon“ können sich Nutzer unter einem Spitznamen die „Lizenz zum Talken“ holen, zu vorgegebenen Themen diskutieren und an Gewinnspielen teilnehmen. Auch „Bussiline“, die Partnerbörse der Krone, startet. Zu Spitzenzeiten soll sie rund 30.000 aktive Nutzer gehabt haben. Um die Jahrtausendwende, als die Zahl privater Internetanschlüsse schlagartig ansteigt, versucht sich die Krone sogar als Internet- und Festnetzprovider: „‚Kronline’ war ein Projekt, von dem wir erwartet haben, damit Geld zu verdienen“, erinnert sich Jelenko. Doch wie Bussiline oder die Rezeptcommunity cookingstars.at scheitert auch dieses Projekt – an fehlenden Ressourcen, sagt die ehemalige Chefredakteurin. Dabei hätte der Krone in der Pionierzeit des Internets womöglich der ganz große Wurf gelingen können: Laut Jelenko habe man eine „virtuelle Nachbarschaft“ geplant – eine Art soziales Netzwerk, noch vor Myspace, Facebook und Co. Realisiert wurde das Projekt nie. 2006 verlässt Maria Jelenko krone.at. In den Jahren danach geht man langsam dazu über, auf der Website auch tagesaktuelle Inhalte zu bringen, trotzdem stagnieren die Besucherzahlen – bis 2014 ein gelernter Printjournalist die digitale Bühne betritt: Richard Schmitt.

Seit jungen Jahren fährt Schmitt ganz vorne mit. Einst drehte er Pirouetten auf dem Eis, wurde als Jugendlicher sogar Dritter bei der Staatsmeisterschaft im Eiskunstlauf, wie das Branchenmagazin Der Österreichische Journalist berichtete. Heute bewegt er sich als Chefredakteur über den Flüsterteppich des Krone.at-Newsrooms. Journalismus lernte Schmitt bei seinem Vater, Redakteur und später stellvertretender Chefredakteur in der Oberösterreich-Redaktion der Kronen Zeitung. Kam es zu Verbrechen, war Schmitt senior ganz nah dran am Tatort, an Tätern und an den Opfern. Es war eine Zeit, in der man diese bei der Krone noch regelmäßig mit vollem Namen nannte und ihre Gesichter großformatig auf das Titelblatt druckte.

Mit einer Reihe von Artikeln über Todesfälle nach verpfuschten Operationen im Landesspital Freistadt erregte Schmitt junior um die Jahrtausendwende die Aufmerksamkeit von Hans Dichand, dieser holte Schmitt in die Wien-Redaktion. Später machte er Abstecher als Chefredakteur zu den beiden ersten Wiener Gratiszeitungen U-Express und Heute. „Ich würde mich nicht als netten Chef ­bezeichnen, da wäre ich eine Fehlbesetzung“, zitierte ihn Der Österreichische Journalist im Jahr 2008. Sein Engagement bei Heute und Herausgeberin Eva Dichand endete 2011. Schmitt kehrte zu ihrem Ehemann, Krone-Herausgeber und -Chefredakteur Christoph Dichand, zurück und wurde sein Berater. Gegen Proteste der Redaktion übernimmt er Ende 2014 als Chefredakteur das Steuer bei krone.at:  Sein Ziel ist, Online und Print näher zusammenzuführen und die Besucherzahlen anzukurbeln – er lenkt das Onlineportal in Richtung harter Boulevard.

Obwohl Maria Jelenko den Webauftritt mitaufgebaut hat, zählt sie heute zu seinen Kritikerinnen: „Mir ist die Seite inhaltlich nicht sympathisch. Ab 2015, wo diese Flüchtlingswelle war, gab es ein extremes Ausländerbashing.“ Nicht so drastisch ­­formuliert es Ingrid Brodnig, Buchautorin ­und digitale Botschafterin Österreichs in der EU. In der Flüchtlingsdebatte habe die Krone ihre Kante wiedergefunden, sagt sie im Gespräch mit ­DOSSIER. Und: „Was Berichterstattung über Flücht­linge betrifft, entspricht sie genau einer Kronen ­­Zeitung von früher.“ Fast täglich lässt Schmitt das Thema ab Mitte 2015 die Krone.at-Schlagzeilen dominieren. Man müsse als Zeitung das bieten, was die Leute interessiere, sagte er in einem Interview mit dem Magazin Fleisch im Sommer 2016. Dabei sei krone.at „in einer Auseinandersetzung mit Medien, die der rechte Rand installiert hat, mit unzensuriert.at und anderen Seiten“, nicht mit Standard oder Kurier. Für die Krone scheinen die Flüchtlinge jedenfalls ein Gewinn zu sein; Schlagzeilen über Ausländer, Asyl und Islam lassen sich leicht zuspitzen. Themen, die auch rechte Parteien zu nutzen wissen. „Wenn Strache einen normalen Bericht von uns auf Facebook teilt, dann merken wir, das haut die Quote auf das 1,5-Fache hoch. Und umgekehrt kriegt er natürlich auch mehr Traffic, wenn wir ihn pushen. So ein Doppelspiel ist natürlich für die anderen Parteien gefährlich“, sagte Schmitt damals. Ein Interview mit DOSSIER lehnte er ab.

Bis vor kurzem war auf der Facebook-Seite der Krone das automatische Feature „ähnliche Seiten“ eingebettet, das Besuchern die meistgelikten Pages der Krone-Fans anzeigte: Heute, oe24.at und die FPÖ. Mittlerweile wurde die Kategorie abmontiert. Das Wechselspiel zwischen krone.at und Heinz-­Christian Straches Facebook-Seite wird auch im Digitalreport ersichtlich, der sich 2018 mit der politischen Debatte in Österreich auf Facebook befasste und von Ingrid Brodnig herausgegeben wird. In diesem wurden alle Beiträge der Parteien und ihrer Spitzenkandidaten samt dazugehörigen Kommentaren ausgewertet. Demnach war krone.at nicht nur die meistgeteilte Seite von Strache, sondern auch von Bundeskanzler ­Sebastian Kurz (ÖVP).

Um aufzufallen, scheint fast jedes Mittel recht – Fakten werden zugespitzt oder verdreht dargestellt: Unter dem Titel „Experten zu ‚Krone’: ‚Jetzt kommen ganz andere’“ warnte Richard Schmitt im November 2018 vor einem Ansturm von 20.000 Flüchtlingen an der bosnisch-kroatischen Grenze. „95 Prozent dieser Migranten, die da durchbrechen wollen, sind junge Männer, fast alle mit Messer bewaffnet“, zitierte er anonyme Beamte aus dem Innenministerium. Der deutsche öffentlich-rechtliche Sender ARD recherchierte und widerlegte: Laut Angaben des UN-Flüchtlingshochkommissariats UNHCR hatten sich zu dem Zeitpunkt in ganz Bosnien und Herzegowina nur 5.000 Migrantinnen und ­Migranten aufgehalten. Der von Schmitt beschworene „Grenzsturm“ blieb aus, der Artikel ist dennoch bis heute auf krone.at abrufbar und wurde nie richtiggestellt. In einem anderen Fall wird ein Lokalbezug konstruiert, wo keiner ist: Im Herbst 2016 veröffentlicht krone.at den Artikel „Grüne gegen Christbaum: ‚Unzeitgemäßes Ritual’“. Das dazugehörige Bild zeigt den Christbaum vor dem Wiener Rathaus. „Viele User haben darunter über Van der Bellen geschimpft, sinngemäß geschrieben, dass die Grünen das Abendland abschaffen“, sagt Buchautorin Brodnig. In Wahrheit ging es um Düsseldorf, wo die Grünen eine lebende Tanne pflanzen wollten, anstatt jedes Jahr eine neue zu fällen.

Ökonomisch sei der inhaltliche Kurs der Krone riskant, denn für Werbekunden sei ein qualitativer Mindeststandard wichtig, sagt Medienforscher Andy Kaltenbrunner zu DOSSIER. Eines der größten werbenden Unternehmen Österreichs ist die Supermarktkette Spar. „Bei der Kronen Zeitung ist es so, dass wir auch mit manchen Inhalten absolut nicht einverstanden sind. Aufgrund der langjährigen Zusammenarbeit gehen wir aber so vor, dass wir immer wieder – auch auf höchster Ebene – Gespräche darüber führen“, schreibt Unternehmenssprecherin Nicole Berkmann auf ­Anfrage. Die Supermarktkette Hofer distanziert sich in einer Stellungnahme von diskriminierenden Inhalten sowie solchen, die dem Ehrenkodex des Österreichischen Presserats widersprechen. Die Krone hat diesen bis heute nicht anerkannt. Seit Neugründung des Presserats kassierte krone.at 29 Rügen von ihm, 25 davon fallen in die Amtszeit Richard Schmitts. Hofer wirbt dennoch auf krone.at.

Schmitt arbeitet unterdessen daran, dass die Krone nicht den nächsten Trend verpasst – jenen zum Bewegtbild: Brennpunktheißt das im April 2018 gestartete Flaggschiff von krone.tv, dem Videoableger von krone.at. Die Online-Talkrunde kann mit den Einschaltquoten ähnlicher Formate im Privat-TV mithalten. Die meistgesehene Folge – „Wie viel Türkei braucht Österreich?“ – wurde bisher rund 130.000-mal angeklickt. In Moderatorin und Unternehmerin Katia Wagner, die durch einen öffentlich ausgetragenen Konflikt zwischen ihrem Waxing-Studio und dem Arbeitsinspektorat bekannt wurde, hat die Krone ihren Star gefunden. Mit DOSSIER wollte Wagner nicht sprechen. Der laufende Ausbau des Videoteams führt in Richtung Fernsehkanal, vermutet Ex-Mitarbeiterin Maria Jelenko: „Das war auch immer der Wunsch von Hans Dichand.“ Ähnliches hört man von Aktiven. Laut Gewerberegister besitzt man bei der Krone Multimedia GmbH seit 1. Dezember 2018 eine Gewerbeberechtigung für „Kabelrundfunkveranstaltung Fernsehen“. Die Krone wäre nicht die erste Boulevardzeitung, die es mit TV versucht: Konkurrent Wolfgang Fellner sendet mit oe24.tv bereits seit September 2016.

Eine Fernsehkarriere könnte sich auch Valentina Vale vorstellen, ihre Vorbilder sind amerikanische Talkshowhosts. Fürs Erste muss sie mit ihrer Lila Gorilla Show dafür sorgen, dass sich mehr Junge zur Krone verirren – bislang funktioniert das nur mäßig: die jüngste Folge ihrer Krone-Show hat nach vier Tagen gerade einmal 132 Aufrufe. Dabei war sogar Brennpunkt-Moderatorin ­Wagner mit Hündin Heidi gekommen, um kollegiale ­Hilfe zu leisten. Im Gegenzug stellte Gastgeberin ­Valentina Vale sie vor eine vergleichsweise milde „Challenge“: Begriffe darstellen und erraten. Nach rund neun Minuten hatte Wagner trotzdem genug von dem Ausflug in die Welt der Influencerin: „Ich habe einmal Pantomime gespielt und werde es nie wieder tun.“