Prolog

Die „Krone“-DNA

Die „Kronen Zeitung“ will ihren Leserinnen und Lesern nah sein – doch sie geht dabei zu weit.

Text: Georg Eckelsberger, Fotografie: Laurin Naschberger

Kronen Zeitung8.4.2019 

Ich wollte immer nur Journalist sein. Als Halbwüchsiger hab ich angefangen, für mich Journalismus zu betreiben, nur für mich allein. Wenn ein Feuer war, bin ich dort hingegangen und hab drüber Berichte geschrieben. Ich hab sie nicht einmal jemandem gezeigt.

Der Bub, 1921 geboren, wuchs im Arbeiterviertel Schönau im Süden von Graz auf – „ein Elendsquartier“, wie er es später beschreibt. Bei seiner Geburt hatte seine Familie noch in einer Villa gewohnt, doch dann verlor der Vater seinen Schuhmacherbetrieb. Die Familie verarmte und musste umziehen, die Ehe der Eltern zerbrach. Sein Vater war an fehlendem „Durchsetzungsvermögen“ gescheitert, vermutet sein Sohn. Das würde ihm nicht passieren: Er verwirklichte seinen Traum, wurde Journalist – und nicht irgendeiner. Er wurde der einflussreichste Verleger in der Geschichte dieses Landes und schuf eine der erfolgreichsten Zeitungen der Welt. Vor 60 Jahren, am 11. April 1959, erschien die erste Ausgabe von Hans Dichands Illustrierter Kronen Zeitung. So groß seine Träume auch waren, er konnte nicht ahnen, wie sehr das Blatt Österreichs Zeitungslandschaft und letztlich auch das Land selbst verändern würde.

Als im Oktober 2018 das Crowdfunding für das erste DOSSIER-Magazin Fahrt aufnahm, äußerte sich Krone.at-Chef Richard Schmitt auf Twitter zu unserem Vorhaben, die Krone zum Sechziger kritisch unter die Lupe zu nehmen: „Noch bessere Idee: Medien so gut zu machen, dass 700.000 + Abonnenten oder 5 Mio. User fix dabei sind – damit wirtschaftlichen Erfolg zu haben.“ Unabhängig davon, dass sich Schmitt – bis auf seine eindeutige Interviewabsage – sonst nicht zu unseren Recherchen äußern wollte, hat er recht. Der Erfolg der Krone ist beeindruckend.

Rund 2,1 Millionen Menschen lesen in Österreich laut dem Verein Media-Analyse die Krone – wochentags. Sonntags sind es fast 2,6 Millionen. Die Nummer zwei bei den Kauftageszeitungen, die Kleine Zeitung, kommt gerade einmal auf ein Drittel davon; die Boulevardblätter Heute und Österreich sind zwar in Wien stark, schaffen es im Bundesschnitt aber nicht, halb so viele Menschen zu erreichen wie die Krone – obwohl sie gratis sind.

Das ist kein Zufall, Hans Dichand, der Verleger, machte von Beginn an nicht nur vieles richtig, er setzte neue Maßstäbe. Rückblickend scheint manches auf der Hand gelegen zu sein: das kleine, handliche Format der Krone oder die Gewinnspiele, aufgrund derer die Menschen anfingen, gleich mehrere Exemplare derselben Ausgabe zu kaufen, ähnlich wie Lotterielose, um ihre Chancen zu erhöhen. Und dann kauften sie auch noch die nächste Ausgabe, um herauszufinden, ob sie gewonnen hatten.

Natürlich war auch Glück dabei: Etwa als Krone-Mitgründer Kurt Falk mit seiner Frau Anfang der 1960er-Jahre in Italien Urlaub machte. Wie uns sein Sohn Noah, der heute die Wochenzeitung Die ganze Woche herausgibt, schreibt, sah Falk dort, wie Kirchenzeitungen nach der Sonntagsmesse auf frei zu entnehmenden Stapeln feilgeboten wurden. Daneben standen Blechdosen, in die die Menschen ihre Münzen warfen. Just zu dieser Zeit stellten die Trafiken in Österreich ihren Sonntagsverkauf ein. Falk und Dichand wussten, was zu tun war: Sie stellten in Wien Klapptische mit Zeitungsstapeln auf und ersetzten sie später durch Plastiktaschen. Der Rest ist Zeitungsgeschichte und an jedem Wochenende an Österreichs Laternenmasten, Ampeln und Verkehrsschildern zu bewundern.

Es wäre zu kurz gegriffen, den Erfolg der Krone einzig auf clevere Vertriebs- und Marketingideen zurückzuführen. Hans Dichand war ein hervorragender Journalist, und bei aller Kritik erfüllte die Krone über die Jahrzehnte auch die ureigensten Aufgaben des Journalismus: Missstände aufzuzeigen, jenen, die keine Stimme haben, eine Stimme zu geben, die Mächtigen zu kontrollieren – etwa wenn es um Umweltschutz ging. Auch wenn Dichand und Co dabei mitunter die eigene Macht zu Kopf gestiegen sein mag.

Das „Hauptgeheimnis“ der Krone sei im Grunde keines, sagte Dichand 2001 zu zwei jungen Reporterinnen, die er für eine TV-Dokumentation tief ins Innere der Krone blicken ließ (aus dem Interview stammt auch das Zitat vom Anfang des Textes): nämlich dem Leser nahe zu sein. „Auch ein Politiker soll seinem Wähler nah sein. Oder man verlangt das von einem Lehrer, der vor seine Klasse hintritt und sich bis zu einem gewissen Grad angleichen muss“, so Dichand weiter. „Man sagt uns oft nach, wir reden den Leuten nach dem Mund. Das ist aber nicht der Fall. Wir wollen ihnen eine halbe Nasenlänge voraus sein.“

Doch dabei überschreitet die Krone Grenzen. Kein österreichisches Medium verstößt öfter gegen die journalistische Ethik: „Bildveröffentlichung eines jugendlichen Mordopfers“, „Kommentar diskriminiert afrikanische Asylwerber, indem er sie pauschal mit Terrorismus in Verbindung bringt“, „Bezeichnung von Einbrechern als ‚Ungeziefer‘“ – so lauten die drei jüngsten Fälle, in denen der Österreichische Presserat eingeschritten ist. Die Krone ignoriert die Entscheidungen des Selbstkontrollorgans der Presse seit Jahren.

Verbrecherische Berichterstattung

Es ist kein Zufall, dass es in allen drei Beispielen um Verbrechen geht: Kriminalität ist eines der wichtigsten Themen der Krone, das Chronikressort eines der größten. Dass die Krone oft am schnellsten am Tatort und am nähesten an Verbrechen dran ist, ist eine journalistische Leistung, die man anerkennen muss. Doch die Krone geht zu weit, nimmt mitunter sogar eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit in Kauf – dann, wenn sie ihre guten Kontakte zur Polizei spielen lässt und sensible Informationen zu laufenden Ermittlungen veröffentlicht.

Dass die Krone in der Folge auch nicht ausgewogen berichtet, zeigte jüngst eine Auswertung des Medienwatchblogs kobuk.at: Ausländische Straftäter oder Verdächtige haben laut einer Erhebung der Berichte aus dem Jahr 2017 deutlich höhere Chancen, in der Berichterstattung der Krone zu landen, als Österreicher. Laut Anzeigenstatistik waren rund 61 Prozent aller angezeigten Personen Österreicher und rund 39 Prozent Ausländer. In der Krone war es andersherum: In fast 60 Prozent der Artikel waren die Tatverdächtigen ausländischer Herkunft. Besonders deutlich war die Diskrepanz bei Drogen- und Sexualdelikten. Jene, die hier besonders im Fokus stehen, Asylwerber und Zuwanderer, beutet die Krone auf der anderen Seite als Kolporteure und Zeitungszusteller aus, während ihre Eigentümer jährlich Gewinne in Millionenhöhe kassieren – aber das ist eine andere Geschichte.

Die Krone kommt immer wieder in den Geruch, rassistisch zu berichten –  in der Vergangenheit hat sie den Bogen mehrmals überspannt: Seit 12. Juni 2004 ist amtlich, dass die Krone über Jahre antisemitische, nationalistische und rassistische Untertöne verbreitet hat. Der Hintergrund: Der Journalist Hans Rauscher hatte die Behauptung in seiner Standard-Kolumne aufgestellt – eigentlich als Zitat von Dichands damaligem Geschäftspartner und gleichzeitigem Erzfeind Erich Schumann. Der hatte in einem Interview gesagt, er habe bei der Krone wegen „antisemitischer und nationalistischer Untertöne“ intervenieren müssen.

Dichand klagte den Standard* wegen Rauschers Kolumne – und der musste, weil er „aus dem Gedächtnis rassistisch statt nationalistisch geschrieben hatte“, wie er im DOSSIER-Interview erzählt, nun gleich alle drei Vorwürfe belegen: „Ich war selbst überrascht, was man über zehn, fünfzehn Jahre finden konnte“, sagt Rauscher. Auf 56 Seiten argumentierte er, warum die Attribute antisemitisch, rassistisch und nationalistisch auf die Krone-Berichterstattung zutreffen.

*Korrektur: Ursprünglich stand an dieser Stelle irrtümlich Dichand habe Rauscher (als Person) geklagt.

Er verwies unter anderem auf die Kolumnisten Richard „Staberl“ Nimmerrichter und Wolf Martin (Wolfgang Martinek), zitierte Textstellen über Afrikaner, Polen oder Tschechen. Und er dokumentierte antisemitische Anspielungen und Provokationen: etwa Nimmerrichters Kolumne vom 10. Mai 1992, in der „Staberl“ unter dem Titel „Methoden eines Massenmordes“ behauptete, „nur verhältnismäßig wenige der jüdischen Opfer sind vergast worden“, und in der er die Konzentrationslager der Nazis mit den „Kriegsgefangenenlagern der Russen“ verglich. Auch bei Wolf Martin wurde Rauscher schnell fündig. Am 20. April 1994, Adolf Hitlers Geburtstag, reimte Martin folgendes „in den Wind“: „Ich feiere, wenn man mich läßt, heut jenes Adolfs Wiegenfest, der einst in unserm schönen Land, an allererster Stelle stand.“ Am Ende des Gedichts klärte der Autor auf: Er habe den ehemaligen Bundespräsidenten Adolf Schärf gemeint, der am selben Tag Geburtstag hat. Am 20. April 2001 wiederholte sich das Spiel sehr ähnlich.

Rauscher grub tiefer: „Wieso schneiden jüdische Kinder bei Intelligenztests besser ab als andere Gruppen?“ steht Ende März 1974 in großen Lettern auf einer ganzseitigen Anzeige in der Krone, darüber das Foto eines kleinen Kindes. Es ist der Auftakt einer Werbekampagne für die 50-teilige Krone-Serie „Die Juden in Österreich“. Am 7. April 1974 geht es los: „Eine der Hauptursachen für den Antisemitismus muss wohl im Juden selbst zu suchen sein“, beginnt einer der ersten Artikel. Nach 42 Teilen – und nachdem die Krone antisemitische Leserbriefe unkommentiert abgedruckt hat, in denen unter anderem fälschlicherweise behauptet wird, Juden würden in Österreich „lebenslänglich keine Steuer“ zahlen, sie seien deshalb „Parasiten“ – ist vorzeitig Schluss. Der damalige Kardinal Franz König soll bei Hans Dichand interveniert haben. Der Sozialwissenschaftler Bernd Marin stellt später in seinem Buch Antisemitismus ohne Antisemiten fest, dass die Darstellungen in der Krone nicht nur vereinfachend, widersprüchlich, missverständlich oder schlicht falsch waren, Marin fand auch inhaltliche Überschneidungen zur Nazihetzschrift Der Stürmer.

Der Richterin des Straflandesgericht Wien reicht das – der Wahrheitsbeweis war Rauscher gelungen. Und offenbar reichte es auch Hans Dichand: Er hatte der Verhandlung persönlich beigewohnt, legte keine Berufung ein und akzeptierte das Urteil. Auf Anfrage möchte Krone-Chefredakteur Christoph Dichand nichts zum damaligen Urteil sagen. 

Allem Anschein nach wirkt die Vergangenheit aber in der Krone-Redaktion bis heute nach – das lässt eine Aussage der langjährigen Mitarbeiterin Conny Bischofberger am Rande eines Interviews für dieses Magazin vermuten. Bei der Krone ist Bischofberger für die großen Gespräche zuständig: Sie führte das letzte Interview mit Hans Dichand vor seinem Tod, kürzlich nahm sie am selben Tisch mit seinem Sohn und Nachfolger Christoph Platz, um ihn anlässlich des 60. Jubiläums der Zeitung zu befragen. „Bei uns gibt es eben diese wahnsinnige Breite“, sagt sie zu DOSSIER. Dafür brauche es die „Krone-DNA, dieses Gespür, für wen machen wir das (...). Wir schreiben nicht wie der Standard für so eine ganz überschaubare, klar eingeordnete Schicht. Wenn ich weiß, meine Leute beziehungsweise meine Leser sind eher links, projüdisch, jung, städtisch, dann ist es ja ganz leicht.“ 

Projüdisch? Ist das eine Kategorie, anhand derer bei der Krone Leserinnen und Leser selbst noch im Jahr 2019 eingeteilt werden? Bischofberger will dazu nichts mehr sagen: „Ich habe meine Zitate als Erklärung der 'Breite' der Krone freigegeben – wie Hans Dichand sie beschrieben hat. Wenn Sie meine Passagen in einem anderen Zusammenhang verwenden oder missinterpretieren wollen, kann ich Sie nicht daran hindern, ich selbst werde dazu aber nichts mehr beitragen.“