Unterricht ohne Gewähr

Den größten Konservatorien droht der Entzug des Öffentlichkeitsrechts: Lehrpläne werden nicht eingehalten, die Unterrichtsqualität ist fraglich.

Von Sahel Zarinfard

Musikkonservatorien9.6.2018 

„Der Stadtschulrat hat zu mir gesagt: ,Wenn Sie Musik studieren und für Ihr Leben etwas wollen, dann verlassen Sie diese Schule. Es ist ein sinkendes Schiff“, erzählt Astrid*. Sie macht sich Sorgen. Das Vienna-Konservatorium, an dem sie bald ihren Abschluss machen soll, hat Schwierigkeiten mit den Behörden. Und das schon länger. Doch davon erfuhr Astrid erst vor wenigen Monaten.

Bereits 2013 wurde der Wiener Stadtschulrat gegen das privat geführte Konservatorium aktiv. Der zuständige Fachinspektor regte damals ein Prüfverfahren zum Entzug des Öffentlichkeitsrechts beim Bildungsministerium (BMBWF) an.

Ohne ein solches dürfte die Schule keine staatlich anerkannten Zeugnisse mehr ausstellen. Neben dem Vienna- ist auch das Prayner-Konservatorium ins Visier des Stadtschulrats geraten.

Mit insgesamt rund 1.000 Studierenden im aktuellen Schuljahr (2017/18) sind sie die größten Wiener Konservatorien. Seit mehr als zwei Jahrzehnten werden sie vom Ehepaar Josef und Eva Maria Schmid geleitet. Diplomstudiengänge können in klassischen Instrumenten belegt werden, es gibt auch Abteilungen für Jazz, Pop und Musical, wie auf der Schulwebsite nachzulesen ist.

Bei Kontrollen stellte Fachinspektor Ferdinand Breitschopf fest, dass beide Musikschulen ihre eigenen Statuten nicht eingehalten haben sollen.

Um den Unterricht gebracht

Astrid hat bisher knapp 13.000 Euro in ihre vierjährige Ausbildung gesteckt. Zurzeit studiert sie eher ihre Studienpläne und Kontoauszüge, als für ihre Abschlussprüfung zu lernen. „Das war der Punkt, bei dem ich gesagt habe, ich möchte mein Geld zurück“, sagt sie.

Erst im März dieses Jahres werden die Verfahren durch eine parlamentarische Anfrage an den amtsführenden Präsidenten des Wiener Stadtschulrats publik. Eingebracht hatte sie Beate Meinl-Reisinger, Wiener Landesvorsitzende der Neos, aufgrund der Ende 2017 veröffentlichten DOSSIER-Recherchen zum Richard-Wagner-Konservatorium und seinen dubiosen Praktiken.

„Im Zuge eines Ermittlungsverfahrens wurde festgestellt, dass in allen Studienrichtungen, mit Ausnahme der Studienrichtung Musical, das Ausmaß der Semesterwochenstunden vehement unterschritten wird“, heißt es rund vier Jahre später, im Februar 2017, in einem Schreiben des Wiener Stadtschulrats.

Im Fall des Studiengangs Instrumental- und Gesangspädagogik-Popgesang würden rund 40 Prozent des vorgeschriebenen Stundenausmaßes tatsächlich abgehalten. 

Die behördlich festgestellten Mängel bezeichnen die Schulleiter Josef und Eva Maria Schmid als „Gerüchte“ und als „absolute Lüge“. Ihre Studierenden seien bestausgebildet und hätten die besten Chancen, überall Jobs zu bekommen. „Also, was will man mehr?“, fragt Josef Schmid.

Unbestimmte Qualität

Für Außenstehende sind Konservatorien und ihre Ausbildungsqualität kaum nachvollziehbar. Keines der sieben privat geführten Wiener Musikkonservatorien hat sein Organisationsstatut auf der Schulwebsite veröffentlicht.

Das Statut ist Schulordnung und Leistungskatalog zugleich: Aufnahmebedingungen, Prüfungsordnung, Unterrichtsfächer und das Ausmaß der angebotenen Lehreinheiten sind darin festgeschrieben – wichtige Informationen, insbesondere wenn Studierende oder deren Eltern mehrere tausend Euro für ein Studienjahr bezahlen.

Die Gestaltung des Statuts obliegt jedem Schulerhalter selbst. Welche Kriterien und Qualitätsmerkmale eingehalten werden müssen, dazu gibt es im Privatschulgesetz, unter das auch Musikkonservatorien fallen, keine Vorgaben.

„Damit haben wir eine Landschaft an Statuten, die für manches Kriterien bieten und andere Dinge bewusst offen lassen“, sagt Ferdinand Breitschopf, Fachinspektor für Musikschulen und Konservatorien im Wiener Stadtschulrat.

Mit Gefühl und Wikipedia

Im Gespräch mit DOSSIER beschweren sich Studierende des Vienna- und Prayner-Konservatoriums über vorenthaltenen Unterricht und über die schlechte Qualität der Lehreinheiten.

„Der Einzelunterricht war absolut katastrophal für mich persönlich“, erzählt Marina*, die noch bis vor kurzem am Prayner-Konservatorium Gesang studiert hat. Sie habe nach drei bis vier Einheiten das Vertrauen zu ihrer Lehrerin verloren. „Wenn das einzige Feedback ist: ‚Probiere es mal mit ein bisschen mehr Gefühl‘, dann ist das qualitativ wirklich schwierig“, sagt sie.

„Der Unterricht ist nicht anspruchsvoll“, sagt ein weiterer Student und meint die Musiktheorie. Astrid sieht das ähnlich: „Es ist fraglich, wie viel Sinn die Vorlesungen haben, wenn für die Skripten sämtliche Wikipedia-Artikel zusammenkopiert sind“, sagt sie und stellt diese zur Verfügung.

Darin finden sich nicht nur Absätze, sondern auch ganze Artikel, die aus der Online-Enzyklopädie und von anderen Websites wortgleich kopiert sind.

„Die Schlechten regen sich immer auf“

Selbst Lehrende kritisieren das mangelnde Niveau des Unterrichts. Sie führen das unter anderem auf „talentfreie“ Studierende zurück, die Aufnahmeprüfungen nur bestehen würden, damit sich die Schule finanzieren kann.

Die Schulleitung weist jede Kritik zurück: „Die Schlechten regen sich immer auf. Die suchen Gründe, warum sie benachteiligt sind“, sagt Schulleiter Josef Schmid.          

Im Dezember 2017 entzog das Bildungsministerium dem Vienna-Konservatorium per Bescheid das Öffentlichkeitsrecht. Die Schulleitung hat dagegen vor dem Bundesverwaltungsgericht berufen. Der Ausgang ist noch offen – und ebenso lange darf die Schule das Öffentlichkeitsrecht im Namen führen. 

Nicht nur für die Betreiber steht viel auf dem Spiel, auch für Studentinnen wie Astrid: Sollte das Vienna-Konservatorium das Öffentlichkeitsrecht tatsächlich verlieren, so darf die Schule keine staatlich anerkannten Zeugnisse mehr ausstellen.

Astrid bereitet auch das Sorgen: „Ich fühle mich um Bildung betrogen und darum, zu wissen, dass ich in die Welt gehe und weiß, ich kann, was ich können muss“, sagt sie. 

* Name von der Redaktion geändert