Das Geschäft mit den Diplomen

Das Richard-Wagner-Konservatorium bietet akademische Zeugnisse an, die es aber in Wirklichkeit nicht gibt.

Von Julia Herrnböck und Sahel Zarinfard

Musikkonservatorien8.11.2017 

  • Die Wiener Musikschule bietet akademische Abschlüssen in Zusammenarbeit mit ausländischen Bildungseinrichtungen an. Dort bestreitet man eine Kooperation. 
  • Gegen den Gründer der bosnischen Partneruniversität wird wegen Amtsmissbrauch, organisierter Kriminalität und Bestechung ermittelt. 
  • Die Spur nach Armenien führt zu Armen Smbatyan, dem einflussreichen Kulturberater des armenischen Präsidenten.

Das Angebot ist klar. „Für Studenten des Richard-Wagner-Konservatoriums gibt es die Möglichkeit, durch universitäre Zusammenarbeit einen Bachelor oder Master zu absolvieren“, heißt es auf der Webseite der Schule. Dabei dürfen Konservatorien in Österreich keine akademischen Abschlüsse vergeben. Damit man diese trotzdem anbieten kann, behelfen sich manche durch Kooperationen mit meist ausländischen Hochschulen.

Im Fall des Richard-Wagner-Konservatoriums gibt es zwei Partner: das Staatskonservatorium Komitas in der armenischen Hauptstadt Jerewan und die Slobomir-P-Privatuniversität in Doboj, Bosnien. Wer diesen Verbindungen folgt, stößt auf Widersprüche und dubiose Geschäfte.

Die Spur in Armenien führt hinauf bis in die höchsten Kreise der Regierung, zu Armen Smbatyan, dem Kulturberater des armenischen Präsidenten. Smbatyan ist kein unbeschriebenes Blatt: Er und andere Familienmitglieder wurden in der Vergangenheit mehrmals in Zusammenhang mit Korruption und Vetternwirtschaft gebracht. Dazu kommt: Vonseiten der Behörden will niemand von einer Kooperation zwischen den beiden Konservatorien wissen.

Die bosnischen Verbindungen der Wiener Musikschule wiederum führen zu einem Geschäftsmann gegen den die bosnische Staatsanwaltschaft aktuell schwere Vorwürfe erhebt: Slobodan Pavlovic, der Gründer der Slobomir-P-Privatuniversität, soll in einen Geldwäscheskandal verwickelt sein. Seit November 2015 wird gegen ihn und vier weitere Verdächtige – darunter der amtierende Präsident der Republika Srpska, Milorad Dodik – ermittelt. Es geht um Amtsmissbrauch, organisierte Kriminalität und Bestechung.

Falsche Diplome?

Auch bei der zweiten angeblichen Kooperation mit dem armenischen Staatskonservatorium Komitas häufen sich die Ungereimtheiten. Die Studenten des Richard-Wagner-Konservatoriums sollen über eine Zweigestelle von Komitas ihre Abschlusszeugnisse für Bachelor- und Masterstudien verliehen bekommen.

Doch ausgerechnet der Chef der Zweigstelle, Shahen Shahinyan, bestreitet eine Zusammenarbeit. Ebenso das armenische Bildungsministerium: Eine Kooperation sei zwar 2014 im Gespräch gewesen, aber „nie zustande gekommen“, heißt es in einer schriftlichen Stellungnahme an die armenische Investigativ-Plattform Hetq, mit der DOSSIER gemeinsam recherchierte.

Trotzdem werden seit Jahren Doppeldiplome und Parallelstudien angeboten. So wurde im Juni 2015 an sämtliche Teilnehmer des größten staatlichen Musikwettbewerbs in Armenien, dem Aram-Khachaturian-Wettbewerb, eine E-Mail vom Veranstalter verschickt. Darin wird das Doppeldiplom am Richard-Wagner-Konservatorium beworben.

Selbst der Schulleiter des Richard-Wagner-Konservatoriums, Mirza K., sprach vor wenigen Monaten im Interview mit DOSSIER noch davon, dass die ersten Schüler im Juni 2017 mit einem solchen Doppeldiplom abschließen würden – drei in Armenien, sechs in Bosnien. Und auch auf der Webseite des Richard-Wagner-Konservatoriums war bis vor wenigen Wochen das Anmeldeformular für einen Bachelor- oder Masterabschluss in Kooperation mit Komitas zu finden – ein Formular des Ministeriums, das jegliche Zusammenarbeit mit dem Wiener Konservatorium abstreitet. Werden hier akademische Zeugnisse unrechtmäßig vergeben oder gar verkauft?

„Es gibt keine Kooperation, weder mit der Institution in Armenien noch mit jener in Bosnien“, sagt K. auf Nachfrage. Ihm sei auch nicht bekannt, dass Studenten seines Konservatoriums im Juni ein Doppeldiplom erhalten sollen. Nichts davon will er jemals behauptet haben. Trotz Hinweis auf die Tonbandaufzeichnung seines Interviews im November 2016 streitet er dies ab.

Zur Zusammenarbeit mit dem Institut in Bosnien und den laufenden Ermittlungen gegen den Eigentümer Slobodan Pavlovic will Schulleiter K. nichts sagen. Auf mehrmalige Nachfrage stellt er jedoch den Kontakt zu einem Lehrer her, der eine zentrale Rolle im Netzwerk der Schule spielt: Igor Petrushevski.

Der große Lehrer Petrushevski

Laut Webseite des Konservatoriums ist der Violinist und Solokünstler Petrushevski Lehrer am Richard-Wagner-Konservatorium und das Bindeglied zwischen Wien und Armenien. „Wenn Schüler aus Armenien zu uns kommen wollen, dann gehen sie immer zu ihm, dem großen Lehrer Petrushevski“, schwärmte K. noch im DOSSIER-Interview. „Da sind praktisch alle Wege offen.“ Kein Wunder, Petrushevski ist gut vernetzt.

Am armenischen Staatskonservatorium Komitas war er als Honorarprofessor für Violine tätig, bevor er im Jahr 2000 nach London an die renommierte Royal Academy of Music wechselte. Sein Vertrag wurde 2013 aus „privaten und vertraulichen Gründen“ nicht verlängert, wie die Londoner Musikhochschule auf Nachfrage schreibt. Und so kommt Petrushevski nach Wien, wo er von Beginn an beim Richard-Wagner-Konservatorium involviert ist. Zu seinem Engagement will er jedoch nichts sagen.

„Ich habe vernommen, dass Sie mich erreichen möchten. Bitte schicken Sie mir Ihre Fragen per E-Mail, ich melde mich sobald als möglich zurück“, schreibt Igor Petrushevski nur wenige Stunden nach dem Gespräch mit Mirza K. Den Fragenkatalog beantwortet er nicht, in einer knappen E-Mail antwortet er, er wolle keine Stellung mehr beziehen. „Kontaktieren Sie mich nicht erneut.“

Eine schrecklich nette Familie

Gleich zwei Linien führen von Petrushevski zur in Armenien einflussreichen Familie Smbatyan: Armen Smbatyan, der heutige Kulturberater des Präsidenten und ehemalige Kulturminister, war zwischen 1995 und 2002 Rektor des Staatskonservatoriums Komitas. Sein Sohn Sergey wiederum schloss 2012 sein Musikstudium an der Royal Academy of London ab, zu einer Zeit, als Petrushevski dort noch tätig war.

Armen Smbatyan ist kein unbeschriebenes Blatt. Ihm werden mehrere Korruptionsfälle vorgeworfen: So soll er Teile des Kulturbudgets über Umwege an Familienmitglieder weitergeleitet haben, wie Transparency International in einem Bericht festhält. Vor allem sein Sohn Sergey soll davon profitiert haben: 2016 erhielt der junge Dirigent 212.000 US-Dollar von der Regierung für seine NGO Support Classical Music.

Ein anderer Fall führt nach Russland: Dort war Armen Smbatyan zwischen 2002 und 2010 als Botschafter für Armenien tätig. Laut einem Bericht von Transparency International soll er den Job verloren haben, weil er Geld annahm und armenische Pässe für Russen beschafft haben soll.

Die Schule, die es gar nicht gibt

Zufall oder nicht, in Wien angekommen, gründet Igor Petrushevski 2013 mithilfe des Russischen Kulturinstituts mit Sitz in Wien die International Academy of Vienna. Als Anschrift und Kontakt der Schule wird das Kulturinstitut angeführt. Die Ähnlichkeiten mit dem Richard-Wagner-Konservatorium sind verblüffend.

Auf einem russischsprachigen Flyer ist der idente Wortlaut wie auf späteren Broschüren des Konservatoriums zu lesen. An beiden Bildungseinrichtungen werden dieselben Möglichkeiten zur Musikausbildung beworben, mit dem gleichen Lehrpersonal und den gleichen Kooperationspartnern.

Heute, weniger als drei Jahre später, kann sich niemand mehr so recht daran erinnern: Petrushevski antwortet nicht auf Fragen, ebenso wenig das Russische Kulturinstitut. Einzig Schulleiter K.  sagt, die Geschichte sei „hundert Jahre her“ und „längst mit dem Stadtschulrat geklärt“. Die zuständige Schulaufsicht hätte K. auf die „unsaubere Trennung zwischen schulischen und außerschulischen Angeboten sowie die Angaben hinsichtlich der Erlangung von Bachelor und Master“ aufmerksam gemacht und angeordnet, diese richtigzustellen, heißt es aus dem Stadtschulratsbüro.

Zumindest offiziell taucht die International Academy of Vienna nicht mehr in Erscheinung, auch wenn es noch heute Studierende gibt, die dort angeblich lernen. Auf LinkedIn, dem sozialen Netzwerk für berufliche Kontakte, listet eine Studentin aus Australien die International Academy of Vienna als ihre aktuelle Ausbildungsstätte auf. Darauf angesprochen, wo die Schule ihren Sitz hat und wer der Schuldirektor ist, bricht sie den Kontakt ab.

Die Recherchen zum Richard-Wagner-Konservatorium in Kooperation mit der armenischen Rechercheplattform Hetq wurden von „Reporters in the Field“ der Robert-Bosch-Stiftung finanziell unterstützt.

Die undurchsichtigen Scheingeschäfte des Richard-Wagner-Konservatoriums führen noch weiter. Es geht in die Schweiz und nach Liechtenstein: Dort gibt es einen geheimnisvollen Stradivari-Händler, der unentdeckt bleiben möchte, und eine Agentur, die vorgibt, große Künstler zu vertreten, die aber selbst nichts davon wissen – bis auf Sergey Smbatyan, dem Sohn des Kulturberaters des armenischen Präsidenten. Er ist dort offiziell unter Vertrag.