Niemand Geringeres als Österreichs Bundeskanzler erkannte unlängst Einsparungspotenzial bei Inseraten öffentlicher Stellen: „Wenn man will, dass andere sparen, muss man selber auch sparen“, sagte Werner Faymann (SPÖ) in der ATV-Sendung Klartext. Die Ermahnung des Kanzlers richtete sich an die Bundesländer, allen voran die Hauptstadt Wien, in der seit Jahren massig Steuergeld für Inserate ausgegeben wird. Die Replik des Wiener Bürgermeisters kam prompt: „Er macht, was er will, wir machen, was wir wollen“, sagte Michael Häupl (SPÖ) und spielte den Ball zurück: Prinzipiell vertraue er in Sachen Inserate auf die Ratschläge Faymanns, denn „davon versteht er was“.
Ein Bonmot aus der Wiener Inseratenwelt – und ein Scheingefecht: Denn einerseits kennen wenige das Inseratengeschäft besser als Faymann; andererseits gibt keine Gemeinde annähernd so viel Geld für Inserate aus wie die Stadt Wien.
Seit ziemlich genau drei Jahren ist sichtbar, wie viel Geld öffentliche Stellen und Unternehmen für Werbung ausgeben. Am 1. Juli 2012 trat das Medientransparenzgesetz in Kraft. Demnach müssen Werbeschaltungen der öffentlichen Hand an die Kommunikationsbehörde Austria (KommAustria) berichtet werden. In der Medienbranche befürchtete man im Vorfeld Einbußen; das Gesetz wurde als „Umsatzminderungsgesetz“ bezeichnet. Die Angst war unbegründet: Rund 500 Millionen Euro wurden seither gemeldet, dabei handelt es sich zur Gänze um Steuergeld und Gelder öffentlicher Unternehmen. Soweit die offiziellen Zahlen – die wahre Summe dürfte deutlich höher sein.
Hohe Dunkelziffer
Nicht alle Inserate und Werbekooperationen sind meldepflichtig. So ermöglichen etwa nicht periodisch erscheinende Beilagen in Zeitungen und Magazinen, das Gesetz zu umgehen. Sie sind nur dann zu melden, wenn sie öfter als vier Mal im Jahr erscheinen. Oft gibt es eben nur drei Ausgaben. Bei Inseratenpreisen von mehreren tausend Euro pro Seite ergeben sich erhebliche Summen, die nicht öffentlich gemacht werden. Ähnlich verhält es sich mit Inseratenaufträgen, deren Wert unter 5.000 Euro im Quartal liegen. Die „Bagatellgrenze“ schafft somit einen Freibetrag von 20.000 Euro pro Jahr und Medium.
Dieser Umstand beschäftigte Anfang 2015 auch den Wiener Gemeinderat: Der freiheitliche Abgeordnete Dietbert Kowarik erkundigte sich in einer schriftlichen Anfrage an die Stadtregierung nach den nicht meldepflichtigen Werbeausgaben der jeweiligen Ressorts. Die im Wortlaut identen Antworten aller acht Stadträtinnen und Stadträte zeigt einmal mehr die Intransparenz der Stadt bei Inseratenausgaben: „In Anbetracht der großen Anzahl an Einzelprojekten und des damit verbundenen administrativen Aufwandes, erscheint eine Erhebung nahezu unmöglich – wirtschaftlich jedenfalls nicht gerechtfertigt“, lautete die Begründung der Wiener Regierung. Sie bleibt damit ihrer Argumentationslinien treu. Schon 2011 hatten die Stadtregierung geschlossen die Auskunft zu Inseratenausgaben verweigert.
Kritik kommt nicht nur von der politischen Opposition: Die Bagatellgrenze fand auch Eingang in allen fünf bisher erschienenen Rechnungshofberichten zu den Medientransparenzdaten. Neben zahlreichen inhaltlichen wie formalen Falschmeldungen und der mangelhaft angewendeten Kennzeichnungspflicht von Werbung, kritisiert der Rechnungshof vor allem den „hohen Anteil der nicht meldepflichtigen Bagatellbeträge gemessen an den Gesamtausgaben“.
In Tirol beispielsweise musste fast ein Viertel der Ausgaben im Überprüfungszeitraum nicht offengelegt werden. Das entspricht einem Gegenwert von rund 129.000 Euro. Im Museumsquartier – an dem der Bund zu 75 und das Land Wien zu 25 Prozent beteiligt sind – blieben durchschnittlich 30 Prozent der Gesamtausgaben im Wert von rund 240.500 Euro ungemeldet.
Werbung ohne Inhalt
Neben der hohen Dunkelziffer kritisiert der Rechnungshof das mangelhaft eingehaltene Sachlichkeitsgebot bei den Inseraten, da „in Veröffentlichungen die ausschließliche oder auch nur die teilweise Vermarktung“ von öffentlichen Stellen untersagt ist. Der Frage nach dem Informationsgehalt und Zweck öffentlicher Werbung ist auch Michael Kogler, stellvertretender Leiter der Abteilung für Medienangelegenheiten im Verfassungsdienst des Bundeskanzleramts, nachgegangen. Für seinen Fachartikel „Werbebeschränkungen für öffentliche Einrichtungen“ überprüfte er Inserate der öffentlichen Hand.
In Koglers Artikel findet sich ein Inserat der MA 48, der städtischen Müllabfuhr und Straßenreinigung. „Selbst bei wohlwollender Betrachtung ist nicht ersichtlich, was der Durchschnittskonsument vom Wissen über den „Wirbelschichtofen 4 in Simmering“ profitieren könnte“, schreibt Kogler. Und auch, dass die Mülltonnen „pünktlich und bei Bedarf auch mehrmals die Woche entleert werden“, ist – nicht zuletzt weil man Gebühren dafür bezahlt – selbstverständlich, deswegen aber keine für den Konsumenten nützliche Sachinformation.
Inserate und Informationskampagnen wie diese sind keine Einzelfälle. Aktuell wirbt etwa die MA 48 mit „G’scheite Lösungen für eine große Stadt“ (siehe Foto oben): 24.000 Papierkörbe seien mit Aschenbechern ausgestattet, in denen „100 Millionen Tschickstummel landen“, zählt die Magistratsabteilung nach – „Wiens Sauberkeitsmaßnahmen wirken!“ Das ganzseitige Inserat, das in der Gratiszeitung Heute geschaltet wurde, kostet nach aktuellen Mediazahlen 16.320 Euro.
Update 13.07.2015:
Der Österreichische Rechnungshof kritisiert in einem Bericht die Ausgestaltung und Umsetzung des Medientransparenzgesetzes sehr deutlich. „Das Ziel der Medientransparenzgesetze — mehr Transparenz bei Medienkooperationen, Werbeaufträge und Förderungen — wird (...) nicht erreicht werden”, heißt es darin. Das größte Problem: „Aufgrund der Bagatellgrenze sind ein Drittel bis die Hälfte der Werbeaufträge nicht in den von der KommAustria veröffentlichten Listen enthalten.”
Der Bericht zum Download: RH-Bericht zu „Sonderaufgaben des RH nach den Medientransparenzgesetzen”