Wiener Bücherwurm

Die Stadt Wien kauft Bücher, doch teilweise wurden diese nicht geliefert - profitiert haben zwei SP-nahe Verlage.

von Julia Herrnböck, Eja Kapeller und Jakob Winter (profil)

Inserate6.5.2018 

  • Der Wiener Presse- und Informationsdienst (PID) kaufte in den Jahren 2015 und 2016 um rund 3,7 Millionen Euro Bücher und Broschüren bei privaten Verlagen.
  • Der Großteil der Ware wurde nicht geliefert, sondern von den Verlagen selbst verteilt. Schriftliche Belege dafür fehlen.
  • Es stehen jahrelange und zahlreiche Verstöße gegen das Buchpreisbindungsgesetz im Raum – profitiert haben viele, unter anderem zwei SPÖ-nahe Verlage.
     

 

Das Buch Stadtleben in 50 Fragen wirft einen Blick hinter Wiens Kulissen. Warum ist Wien eine besonders smarte City?Warum sind die Busse in der Wiener Innenstadt derart leise?Warum besitzt das Wiener Leitungswasser unschlagbare Qualitäten? - diese und 47 ähnliche Fragen werden auf 158 Seiten abgearbeitet.

Dass Wiens Lebensqualität zur höchsten weltweit zählt, sei kein Zufall: Wer die vielfältigen Gründe für diese offiziell bescheinigte Qualität sucht, wird in den meisten Fällen bei den Dienstleistungen der Stadt Wien fündig, ist im Beschreibungstext des Falter-Shops zu lesen.

Im Handel kostet das Taschenbuch 29,90 Euro  wer das Buch über die Website der Stadt Wien bestellt, erhält es hingegen gratis. Möglich macht das der Presse- und Informationsdienst (PID) der Stadt, auch Magistratsabteilung 53 genannt. Jahr für Jahr kauft der PID Bücher und Broschüren ein, um sie zu verschenken.

Fast 500.000 Druckwerke in zwei Jahren

2015 und 2016 erwarb der PID insgesamt fast eine halbe Million Bücher und Broschüren bei privaten Verlagen. Kosten: rund 3,7 Millionen Euro. Das geht aus einem Anfang März erschienenen Bericht des Stadtrechnungshofs hervor.

Die bekannte Gratis-Aktion „Eine Stadt. Ein Buch“ ist da nicht enthalten; ebenso wenig die Buchkäufe der Kulturabteilung (MA 7). Es geht um Bücher und Broschüren, die der PID „zur Imagewerbung und Öffentlichkeitsarbeit“ einkauft.

Man wolle „auch einkommensschwächeren Bevölkerungsschichten Wissen über die Stadt Wien“ vermitteln, so die Argumentation. Doch wie viele der rund 480.000 Bücher die Zielgruppe tatsächlich erreichten, ist unklar – denn die Stadt bestellte und bezahlte die Ware zwar, bekam aber nur einen Teil davon geliefert.

Bei seiner stichprobenartigen Prüfung stellte der Rechnungshof fest, dass von 96.730 verrechneten Exemplaren laut Lieferscheinen nur 39.615 tatsächlich an die Stadt übergeben wurden. Das sind 41 Prozent. Und selbst davon wurde ein Teil nicht verteilt, sondern stapelt sich bis heute im Warenlager des PID.

„Nicht schriftlich vermerkt“

Mehr als die Hälfte der Bücher und Broschüren wurde angeblich von den Verlagen an sogenannten „Hot Spots“ selbst verteilt. „Was mit den nicht gelieferten Büchern passiert ist, bleibt im Dunkeln  es lässt sich nicht einmal nachvollziehen, ob die Publikationen überhaupt gedruckt wurden“, sagt Beate Meinl-Reisinger, Landessprecherin der Neos Wien.

In der Regel wurden größere Stückzahlen direkt über den Verlag vertrieben oder verblieben im Verlag. Ob tatsächlich die ordnungsgemäße Zustellung zur gewünschten Adressatin bzw. zum gewünschten Adressaten erfolgte, konnte aus Sicht des Stadtrechnungshofes Wien nicht beurteilt bzw. nachvollzogen werden.

(aus: Prüfbericht des Stadtrechnungshofs, Buchgebarung der MA 53)

Laut Paul Weis, seit Juni 2016 Leiter des PID, wurden Bücher zum Beispiel bei der Vienna Comic Con, einer Messe für Popkultur, und einem Beachvolleyballturnier verschenkt. Mitarbeiter des PID seien vor Ort gewesen und hätten selbst gesehen, wie die Druckwerke verteilt wurden, „nur eben nicht schriftlich vermerkt“, sagt Weis zu DOSSIER.

Im Internet ist über Buch-Verteil-Aktionen bei diesen Events jedenfalls nichts zu finden. Nicht auf den Websites der Veranstalter, nicht auf der Website der Stadt Wien. Es ist nicht die einzige Unregelmäßigkeit, die sich in den vergangenen Jahren beim Bücherankauf durch die MA 53 gezeigt hat.

Gute Geschäfte für Verlage

„Wir gehen nicht aktiv auf die Suche nach Büchern, sie werden an uns herangetragen“, sagt PID-Leiter Weis auf die Frage, nach welchen Kriterien die Bücher ausgewählt werden. Ausschreibungen gibt es nicht. Wie kommt man als Verlag also zum Zug? Und wer profitiert?

Im Rechnungshofbericht sind die Verlage anonymisiert, auch gegenüber der Opposition wollten Mitglieder der Wiener Regierungsparteien im Kontrollausschuss darüber keine Auskunft geben. DOSSIER konnte etliche Verlage anhand der Eigentumssverhältnisse sowie einer der Redaktion vorliegenden Liste der in hoher Stückzahl gekauften Bücher identifizieren.

Sechs von elf vermeintlichen Bestellungen des PID stammen vom SP-nahen Bohmann-Verlag, darunter das 2015 erschienene Buch Stadtleben in 50 Fragen. 2015 dürfte der PID insgesamt rund 39 Prozent aller Bücher und Broschüren bei Bohmann gekauft haben, ein Jahr darauf könnten es gar 59 Prozent gewesen sein.

Seit 2004 verlegt Bohmann im Auftrag der Stadt Wien die Publikation Mein Wien, die an alle Wiener Haushalte per Post zugestellt wird. An die 200 Millionen Euro flossen seither von der Stadt an Bohmann. Wie Bohmann und die Stadt zusammenarbeiten, um das Medientransparenzgesetz zu umgehen, beschreibt DOSSIER in der Geschichte „Wiener Beilagen“.

Unter den Profiteuren findet sich ein zweiter Verlag mit exzellenten Kontakten zum SP-geführten Rathaus: Das Echo Medienhaus, das mit dem PID und der Stadt Wien in zahlreichen Geschäftsbeziehungen steht, ist mit dem Buch Beim Wirt'n vertreten. Insgesamt kaufte der PID im Jahr 2015 rund 15 Prozent aller Bücher bei Firmen ein, die zur Echo-Verlagsgruppe zählen, 2016 rund 18 Prozent.

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Trotz mehrfacher Anfragen wollte man weder bei Echo noch bei Bohmann Stellungnahmen abgeben  auch bei anderen Verlagen herrscht Schweigen. Beim Pichler-Verlag, der zur Styria-Gruppe gehört und ebenfalls Bücher an den PID verkaufte, verweist man auf Verschwiegenheit, die man gegenüber allen Kunden habe.

Dabei gäbe es vonseiten der Verlage einiges an Erklärungsbedarf. Im Zuge seiner Recherchen entdeckte DOSSIER ein weiteres Problem, das den Prüferinnen und Prüfern des Rechnungshofes durchrutschte: die Buchpreisbindung.

Verstöße gegen Buchpreisbindung?

Um einen fairen Wettbewerb zu garantieren, gilt in Österreich das Bundesgesetz über die Preisbindung bei Büchern: Ein Verlag fixiert den Preis für ein Buch, gibt diesen bekannt und ist danach – wie alle Buchhändler – daran gebunden.

Nicht so die Stadt Wien: Damals wie heute verlangt der PID von den Verlagen, dass diese einen Rabatt von mindestens zehn Prozent auf den Ladenverkaufspreis gewähren müssen. Doch genau mit dieser Bedingung scheint die Stadt die Verlage zu Gesetzesverstößen angestiftet zu haben.

Gegenüber dem Rechnungshof argumentierte der PID, „dass die Auftragsvergaben nicht an den Handel, sondern direkt an den Verlag erfolgen. Dadurch hatte die Buchpreisbindung keine Wirkung.“ Doch das Argument hält nicht, wie der Wiener Jurist Bernhard Tonninger erklärt.

„Stadt als Anstifterin und Beitragstäterin“ 

Seit 2005 ist er Treuhänder des österreichischen Fachverbandes der Buch- und Medienwirtschaft und hat 2015 einen Praxiskommentar zum Gesetz verfasst.

Das Argument, dass für den Verlag die Buchpreisbindung keine Wirkung hätte, ist himmelschreiend falsch und findet im Gesetz keine Deckung.

sagt Tonninger zu DOSSIER. Er sieht die Verlage, aber auch die Stadt in der Pflicht:

Wenn die Stadt mit gesetzwidrigen Vergaberichtlinien versucht, einen ungesetzlichen Rabatt einzufordern, besteht auch ein wettbewerbsrechtlicher Unterlassungsanspruch gegen die Stadt als Anstifterin und Beitragstäterin.

Zur Umgehung der Buchpreisbindung verweist PID-Leiter Weis auf die Verlage. Die Stadt habe um Rabatte bei der Abnahme größerer Stückzahlen gebeten – und diese bekommen. Die Buchpreisbindung gelte für den Verkäufer, nicht den Käufer selbst. Welche Preisreduktion gewährt wurde, verrät die Stadt allerdings nicht. Rechtsanwalt Tonninger hat indes rechtliche Schritte gegen die aus seiner Sicht unlautere Praxis angekündigt.

Transparente Kriterien für die Buchankäufe gibt es weiterhin nicht. Und auch Antworten darauf, wie viele Bücher in den Jahren zuvor angekauft wurden, blieb der PID bisher schuldig. Auch für die Rathausopposition ist das Kapitel nicht geschlossen. Neos und FPÖ brachten entsprechende Anfragen ein. Eine Antwort soll es Anfang Mai geben. Es scheint, als müssten PID und Bohmann das Buch Stadtleben in 50 Fragen umschreiben. Dort wird nämlich gefragt: Warum stellt die Stadt Wien ihre Daten allen zur freien Verfügung?