Regieren und Inserieren

Nicht nur Parteien, auch Ministerien schalten im Wahlkampf mehr Inserate in Zeitungen.

Inserate4.3.2013 

Korruption ist der Missbrauch anvertrauter Macht zum privaten Nutzen oder Vorteil.

Definition nach Transparency International

Wahlkampf – für Politikerinnen und Politiker geht es um viel. Regieren oder nicht. So wenig wie möglich bleibt dem Zufall überlassen: Agenturen werden beauftragt, Slogans entworfen, Berater eingeflogen und Inserate geschaltet. Keine andere Werbeform ist bei heimischen Politstrategen so beliebt wie Anzeigen in Zeitungen. Nach Zahlen von Focus Media Research zahlten Österreichs Parteien alleine in den sechs Wochen vor der Nationalratswahl 2008 rund 8,7 Millionen Euro für Tageszeitungsinserate. Das entspricht ungefähr 62 Prozent aller Werbeausgaben im damaligen Wahlkampf. Parteimanager haben dafür ihre Gründe: Mehr als 70 Prozent der Bevölkerung lesen Zeitung und politische Werbespots sind im öffentlich-rechtlichen Rundfunk verboten. Doch nicht nur politische Parteien schalten im Wahlkampf mehr.

Acht Inserate, acht vermeintliche Errungenschaften. Ein Finanzminister etwa, der kurz vor der Nationalratswahl 2008 Pendlern 600 Euro in die Tasche steckt. Ein Sozialminister, der zur selben Zeit mit seinem Pflegepaket wirbt oder eine Frauenministerin, die am Tag vor der Wahl Gleichbehandlung im Alltag als „erledigt“ ansieht.

Solche und ähnliche Inserate sind Beispiele für eine demokratiepolitisch heikle Praxis, die in vergangenen Wahlkämpfen in den Zeitungen der Republik sichtbar wurde: Österreichs Ministerinnen und Minister nutzten die Werbebudgets ihrer Ressorts im Wahlkampf, um zusätzliche Anzeigen zu schalten; um ihre Leistungen zu bewerben, ihr Image aufzupolieren. Sie regierten, inserierten und verschafften sich einen Vorteil gegenüber der politischen Konkurrenz.

Missbrauch zum parteipolitischen Vorteil

Der Vorteil ist die Verwendung von Steuergeldern in Form von Inseraten zur Imagewerbung für die Ressortspitze und damit indirekt natürlich auch für die Partei, die den Minister oder die Ministerin stellt,

sagt Korruptionsforscher Hubert Sickinger, der für Transparency International die österreichische Politiklandschaft beobachtet, im Interview mit DOSSIER. Regierungsmitglieder müssen ihre Budgets nach den Richtlinien des Rechnungshofes sparsam, wirtschaftlich und zweckmäßig einsetzen. Darunter fallen auch die Gelder für Öffentlichkeitsarbeit. Ein Aufblähen des Inseratenvolumens sei mit Sicherheit nicht sparsam, wirtschaftlich und zweckmäßig, sagt Sickinger. „Insofern kann man sagen: Missbrauch zum privaten, nämlich zum parteipolitischen Vorteil.“

Seit Jahren versucht die Opposition mittels Anfragen im Parlament, die Öffentlichkeitsarbeit der Ministerien zu durchblicken. Dabei geht es nicht nur um die Höhe der Ausgaben für Regierungswerbung, sondern auch darum, wann inseriert wird. Vor der Nationalratswahl 2008 erkundigten sich Abgeordnete der Grünen bei allen Ministerinnen und Ministern, welche Informationsaktivitäten sie zwischen Juli und September 2008 geplant hätten; also in jenem Zeitraum, in dem der damalige Wahlkampf seinen Höhepunkt erreichen würde. Dahinter stand (und steht) der Verdacht, Regierungsmitglieder würden öffentliche Gelder verwenden, um im Wahlkampf zu inserieren.

Politische Parteien vs. Ministerien

DOSSIER kann diesen Verdacht erstmals mit Fakten belegen: Die Anzeigen aller politischen Parteien und jene von Ministerien wurden in vier Tageszeitungen für die Jahre 2006 bis 2009 erhoben; den beiden Boulevardzeitungen Heute und Österreich sowie den Qualitätszeitungen Die Presse und Der Standard. Aus den Daten lässt sich die Anzahl der geschalteten Inserate im Jahresverlauf grafisch darstellen.  Sämtliche Rohdaten, Erklärungen zur Methodik der Erhebung, ihren Unschärfen und was vor allem bei Die Presse und Der Standard zu beachten ist, finden Sie hier.

In der Kurve „Politische Parteien“ zunächst alles wie erwartet: Die Anzahl sämtlicher von Parteien geschalteten Inserate steigt kurz vor dem jeweiligen Wahltag an. Es ist die heiße Phase des Wahlkampfes. Politische Parteien tun, was von ihnen in dieser Zeit erwartet wird: Sie werben und schalten.

Anzeigenverlauf politische Parteien vs. Ministerien 2006 - 2009
Politische Parteien
Ministerien
Österreich
Presse
Heute
Standard
Gesamt

Kurve Ministerien. Der Anstieg Mitte 2006 ist dem Ende der österreichischen EU-Ratspräsidentschaft zuzurechnen. Anfang 2008 fanden in Niederösterreich Landtagswahlen statt. Gegen Ende 2009 zeigt die Kurve, dass das Inseratenvolumen bei allen vier erhobenen Tageszeitungen ansteigt. Ein Grund für diesen Anstieg konnte nicht gefunden werden. Wahlen fanden Ende des Jahres 2009 keine statt.

Der Anzeigenverlauf der Ministerien zeigt Ausschläge wie jener der politischen Parteien: Vor den Nationalratswahlen 2006 und 2008 sowie vor der EU-Wahl 2009. „Die Werbeaktivitäten der Ministerien steigen in Jahren, in denen Wahlen stattfinden“, sagt auch Klaus Fessel. Der Geschäftsführer von Focus Media Research erklärt im Gespräch mit DOSSIER, warum: „Es ist ja nicht notwendig, in der Mitte einer Legislaturperiode, wenn kein Druck vonseiten der Bevölkerung da ist, stärkere Werbeaktivitäten zu setzen. Aber dann, wenn es darauf ankommt, versucht man das zu kombinieren. Dahinter steckt der Gedanke, die Werbeaktivitäten der Ministerien zu nutzen, um Stimmen zu maximieren.“

Superwahljahr 2013

In Deutschland nennt das Bundesverfassungsgericht diese Praxis „unzulässige Wahlwerbung“. In einem Urteil aus dem Jahr 1977 heißt es:

Als Anzeichen für eine Grenzüberschreitung zur unzulässigen Wahlwerbung kommt weiterhin ein Anwachsen der Öffentlichkeitsarbeit in Wahlkampfnähe in Betracht, das sowohl in der größeren Zahl von Einzelmaßnahmen ohne akuten Anlass, wie in deren Ausmaß und dem gesteigerten Einsatz öffentlicher Mittel für derartige Maßnahmen zum Ausdruck kommen kann.

„Es gibt das Bundesverfassungsgerichtsurteil, das ganz genau regelt, was für Gelder in politische Werbung fließen dürfen“, erklärt der deutsche Politologe Christian Baden vom Institut für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung in München. „Sobald auch nur der Verdacht im Raum steht, es könnte sich um unlauteren Wettbewerb handeln, würde nicht nur die Opposition, sondern auch die Medien auf die Barrikaden steigen.“ Was in Deutschland bereits in den 1970er- Jahren gerichtlich entschieden wurde und seither ein politisches Tabu ist, ist hierzulande bis heute eine Grauzone.

In Österreich gelten seit 2011 die „Richtlinien für die Öffentlichkeitsarbeit und Informationsmaßnahmen der Bundesregierung und der Bundesministerien“. Nach diesen Vorgaben sollen fortan in Wahlkampfzeiten keine neuen Regierungs-Kampagnen gestartet werden. Wenn Kampagnen bereits vor der Wahlkampfzeit begonnen wurden, dürfen diese fortgesetzt, jedoch „nicht auf parteipolitische Wahlwerbung ausgerichtet werden“. Über die Höhe der geschalteten Gelder findet sich in den Richtlinien kein Wort. Die Richtlinien sind auch kein Gesetz, sondern lediglich eine Selbstverpflichtung der Regierung. Werden diese nicht eingehalten, gibt es: keine Konsequenz. 

Einzig das Medientransparenzgesetz kann helfen, die unlautere Praxis, im Wahlkampf verstärkt zu werben, abzustellen oder zumindest einzudämmen. Seit Dezember 2012 ist ohne parlamentarische Anfragen sichtbar, wie viel Geld öffentliche Stellen und Betriebe für Werbung ausgeben. Der Haken: Die veröffentlichten Daten sind Quartalsmeldungen. Wie viel Ministerinnen und Minister (aber auch Mitglieder der Landesregierungen) für Regierungswerbung in den heißen Wochen vor einer Wahl ausgeben, ist nicht genau festzustellen. Die Versuchung, zu regieren und zu inserieren, wird 2013 groß sein: Nach den Landtagswahlen in Kärnten und in Niederösterreich folgen jene in Salzburg und Tirol sowie die Nationalratswahl. Ein Superwahljahr. Für Politikerinnen und Politiker geht es um viel, sehr viel.