Inserieren statt kontrollieren

Wiens Wohnbaustadtrat Michael Ludwig (SPÖ) verfügt über ein millionenschweres Budget für Öffentlichkeitsarbeit. Versucht er die Gunst der Medien zu kaufen – auch auf Kosten der Bauaufsicht?

Text: Georg Eckelsberger

Inserate19.1.2018 

Michael Ludwig hat es fast geschafft. Zumindest für die Kronen Zeitung und für Österreich scheint es keinen besseren Kandidaten im Rennen um den Wiener Bürgermeistersessel zu geben. Der „hemdsärmlige“ Michael Ludwig habe „Schmäh und Charme“ und „ein offenes Herz“, schreibt Krone-Kolumnist Michael Jeannée im Dezember 2017. Sein Mitbewerber um das Amt des Bürgermeisters, Andreas Schieder, sei „ein klassischer Apparatschik und steinkalter Karrierist“: „Daher: BM (Bürgermeister, Anm.) Michael Ludwig, wer sonst?!“

Österreich-Herausgeber Wolfgang Fellner ist mit Jeannée auf Linie: „Neustart mit Michael Ludwig – oder Chaos total ...“, kommentiert Fellner im Jänner. Zuvor berichtete Österreich ausführlich über den Stadtrat: „Ludwig: 689 Familien vor Delogierung bewahrt“, heißt es am Tag vor Weihnachten. „Ludwig lud Kinder zu Fiakerfahrt ein“ am 19. Dezember 2017.

41,5 Millionen Gründe für Ludwig

Mit der Krone und Österreich machen sich zwei Zeitungen für Ludwig stark, die in den vergangenen Jahren massiv von öffentlichen Inseraten der Stadt Wien profitiert haben. Zwar verwaltet der Presse- und Informationsdienst (PID) den Großteil des Inseratenbudgets, einige Geschäftsgruppen verfügen aber noch über ihr eigenes Budget für Öffentlichkeitsarbeit. Im Fall von Michael Ludwig steckt dieses in der Magistratsabteilung 50 („Wohnbauförderung und Schlichtungsstelle für wohnrechtliche Angelegenheiten“).

41,5 Millionen Euro gab die MA 50 laut Rechnungsabschlüssen der Stadt Wien in den vergangenen zehn Jahren für Öffentlichkeitsarbeit aus – macht rund 11.400 Euro am Tag. Das geht aus dem Budgetposten „Entgelte für laufende Information über geförderten Wohnbau“ (1/4810/728013) hervor.

Damit bezahle man „Informationsmaterialien, Exkursionen von Interessierten, Messeauftritte und auch Kommunikationsmaßnahmen im Sinne des Medientransparenzgesetzes“, wie ein Sprecher des Wohnbaustadtrats auf DOSSIER-Anfrage schreibt. Wie viel genau für Inserate verwendet wird, beantwortet er nicht.

Faymanns Erbe 

Erstmals stiegen die Ausgaben für Öffentlichkeitsarbeit der MA 50 im Jahr 2004 massiv an. Der Wohnbaustadtrat damals: Werner Faymann. Ludwigs Vorgänger hatte am Anfang des Jahres 400.000 Euro für Öffentlichkeitsarbeit eingeplant, am Ende gab die MA 50 mehr als das Sechsfache aus: rund 2,5 Millionen Euro. Es war das Gründungsjahr der Gratiszeitung Heute - aber das ist eine andere Geschichte.

Im Jahr 2005 lag das Budget schon bei 3,7 Millionen Euro. Als Ludwig das Amt 2007 übernimmt, pendeln sich die Ausgaben zunächst bei etwas mehr als drei Millionen Euro ein. Dann steigt das Werbebedürfnis wieder an. 2012 auf 4,5 Millionen Euro. 2015, im Jahr der Wien-Wahl, erreichen die Ausgaben den bisherigen Höchststand: fast sechs Millionen Euro.

Mehr Information, weniger Bauaufsicht

Die Ausgaben für die Öffentlichkeitsarbeit der MA 50 stiegen also ab 2012. Wie DOSSIER-Recherchen zeigen, sanken jene für die städtische Bauaufsicht, bis sie im Jahr der Wien-Wahl schließlich sogar unter dem Informationsbudget lagen. Das wirft eine Frage auf.

Wurde bei der Bauaufsicht gespart, um mehr „informieren“ zu können; um mehr bezahlte und unbezahlte Berichte schalten zu können, die den Stadtrat und dessen Errungenschaften in den Vordergrund stellen?

Die Budgetposten stünden „natürlich in keinem Zusammenhang“, schreibt der Sprecher des Wohnbaustadtrats auf Anfrage. Das stimmt so nicht: Denn die Öffentlichkeitsarbeit, die Bauaufsicht und andere Kostenstellen der MA 50 werden im Rechnungsabschluss der Stadt im Posten 1/4810/728 als „Entgelte für sonstige Leistungen“ zusammengefasst.

Gleich zweimal glichen sich die Mehrausgaben bei der Öffentlichkeitsarbeit durch Budgetunterschreitungen bei der Bauaufsicht aus. Im Jahr 2014 überschritt die MA 50 diese um 27 Prozent beziehungsweise eine Million Euro. Weil die Bauaufsicht im selben Jahr 27 Prozent beziehungsweise 2,3 Millionen Euro weniger kostete als geplant, wurde das veranschlagte Gesamtbudget aber unterschritten.

Im Jahr 2015 wiederholte sich das Spiel. Mit elf Millionen Euro gab die MA 50 für Öffentlichkeitsarbeit und Bauaufsicht zusammen fast exakt so viel aus wie budgetiert – nur war unbemerkt mehr als eine Million Euro von einem zum anderen Budgetposten gewandert.

Bau- und Prüfmängel bei Sanierungen

Seit 2012 sanken die Ausgaben für „Leistungen der Bauaufsichtsorgane“ um mehr als 40 Prozent. 2015 veröffentlichte der Stadtrechnungshof einen Bericht über den Wohnfonds Wien. Dieser ist dafür verantwortlich, dass öffentlich geförderte Sanierungen ordnungsgemäß durchgeführt werden. Die Prüftätigkeit des Wohnfonds wird aus demselben Budgetposten der MA 50 bezahlt, der Fonds ist ebenfalls dem Wohnbaustadtrat untergeordnet.

Die Prüfer des Stadtrechnungshofes stießen bei Baustellenbegehungen auf zahlreiche Mängel: schlecht verbaute Fenster, durch falsche Lagerung beschädigte Baumaterialien, Planungsmängel, Nässeschäden bei frisch sanierten Balkonen.

Aufgrund „der Vielzahl von zu betreuenden Baustellen und der begrenzten Anzahl von zur Verfügung stehendem bautechnischem Personal“ habe der Wohnfonds Kontrollen nur „in Form von Stichproben“ durchgeführt, steht in ihrem Bericht.

Die Empfehlung der Prüfer: „In Anbetracht der Höhe der vom Land Wien eingesetzten Förderungsmittel“ solle man „Maßnahmen zur Hebung der Ausführungsqualität von Wohnhaussanierungen“ setzen.

Doch warum schöpfte der Wohnfonds sein verfügbares Budget wiederholt nicht aus? Die Zahlungen an den Fonds richten sich laut dem Sprecher des Wohnbaustadtrats nach der Zahl der durchgeführten Prüfungen. „Da in den letzten Jahren ein Rückgang der Anträge zu verzeichnen ist, haben sich auch die Prüfgebühren reduziert“, heißt es dazu aus der Geschäftsführung des Wohnfonds. Die Prüftätigkeit werde ordnungsgemäß durchgeführt.

Werbung trotz Wartelisten

Kritik an den hohen Ausgaben für Öffentlichkeitsarbeit kommt indes auch aus der Partei selbst: „Das Werbebedürfnis erschließt sich uns nicht“, sagt Lea Six von der Sektion 8 der SPÖ Alsergrund. „Die Nachfrage übersteigt das Angebot bei weitem, es gibt jahrelange Wartelisten für Wohnungen.“

Bei mindestens eineinhalb Jahren liege die Wartezeit auf eine Gemeindewohnung derzeit, sagt eine Sprecherin von Wiener Wohnen. Rund 42.000 Menschen haben sich 2017 für eine Gemeindewohnung oder eine geförderte Wohnung beworben.

Six kritisiert nicht nur die Dimension der Werbetätigkeit, sondern auch deren Nutznießer – allen voran die Gratiszeitung Österreich. „Wir sind verwundert, wie viel öffentliches Geld in ein Medium fließt, dass so hetzerisch und sexistisch ist und sozialdemokratische Werte mit Füßen tritt.“

Aktuell sieht Six „eine massive Parteinahme für Michael Ludwig durch Wolfgang Fellner“. Es liege die Vermutung nahe, „dass Fellner fürchtet, dass sein Inseratenbudget geringer wird“, sagt sie. „Unsinn“, erwidert Fellner auf Anfrage. „Die Berichterstattung von Österreich erfolgt völlig unabhängig von Inseratenschaltungen oder wirtschaftlichen Interessen.“ Auch bei der Kronen Zeitung und der Gratiszeitung Heute verneint man jeglichen Zusammenhang.

Finanzielle Motive

Dass der Boulevard bei der Wahl des neuen Bürgermeisters mitreden will, ist auch bei der Parteispitze der Wiener SPÖ angekommen: „Keine andere Partei oder der Boulevard entscheiden“, sagte Bürgermeister Michael Häupl (SPÖ) am 5. Jänner in einem ORF-Interview. Wiens Landtagspräsident Harry Kopietz (SPÖ) vermutet finanzielle Motive.

Häupl wie Kopietz wissen: Wer das Rennen um den Bürgermeisterposten für sich entscheidet, bekommt die Kontrolle über einen Inseratentopf, der noch viel größer ist als jener der MA 50 – das größte öffentliche Werbebudget der Republik: jenes der Stadt Wien.