Geheime Geschäfte

Über Inserate spricht man nicht – schon gar nicht in Wien. Seit Jahren werden hier Millionen Euro an Steuergeld am Medientransparenzgesetz vorbeigemogelt. Die Stadtverwaltung setzt alles daran, Inseratengeschäfte nicht offenlegen zu müssen.

Text: Florian Skrabal

Inserate26.11.2021, aktualisiert: 27.11.2021

In diesem Artikel finden Sie Links zu Original-Dokumenten aus der Recherche.

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Der Gerichtsprozess sollte fast drei Jahre dauern. Kein Wunder: Die Stadt Wien kämpfte wie eine Löwin. Dabei hatte alles mit einfachen Fragen begonnen. Im Frühjahr 2018 will DOSSIER von der Stadt Genaueres über ein paar Inseratengeschäfte wissen.  

DOSSIER-Recherchen ergaben, dass die Stadt Steuergeld an einen SPÖ-nahen Verlag bezahlt hatte. Dieser wiederum hatte unscheinbare Druckwerke, dünne Heftchen produziert und diese als Beilagen in anderen Magazinen versteckt. Eine gezielte Konstruktion, um Geldflüsse zu verbergen? Wurde Steuergeld gar bewusst am Medientransparenzgesetz vorbeigeschleust? Und um welche Summen ging es hier?

Darauf bekam DOSSIER von der Stadt keine Auskunft. Ähnlich erging es dem Neos-Abgeordneten Markus Ornig, dessen Fragen dazu im Wiener Gemeinderat ebenfalls nur ausweichend beantwortet wurden. Kurzum: Die Kosten dieser Inseratengeschäfte, die wollte die Stadtregierung partout nicht verraten.

Im Spätsommer 2018 brachte DOSSIER daher Beschwerde beim Verwaltungsgericht (VwG) Wien ein. Konkret bedeutet das: Wir bekämpften den Bescheid, mit dem uns die Stadt offiziell die Auskunft verweigerte – eine zähe Angelegenheit, wie sich bald herausstellte.

Die Stadt Wien hielt dagegen und wehrte sich fast drei Jahre lang mit allem, was ihr juristisch zur Verfügung stand. Sie heuerte die renommierte Anwaltskanzlei Schwartz, Huber-Medek und Pallitsch (SHMP) an. Wenige Jahre zuvor hatte SHMP noch zehn Novomatic-Firmen vertreten, die gegen das Verbot des kleinen Glücksspiels in Wien bis vor den Verfassungsgerichtshof gegangen waren. Ohne Erfolg.

Nun kämpfte die Kanzlei auf der Seite der Stadt. Es ist Seniorpartner Walter Schwartz höchstpersönlich, der im Frühjahr 2019 den Verhandlungssaal 5 des Verwaltungsgerichts betritt. An seiner Seite Martin Schipany, Leiter der Magistratsabteilung 53, des Presseinformationsdiensts (PID) der Stadt Wien.

Die Verhandlung beginnt – doch zunächst noch kurz zur Vorgeschichte.

Die Lücke und der Trick

Schon 2017 hatte DOSSIER über Lücken im Medientransparenzgesetz berichtet. Interne Dokumente zeigten, wie die Stadt Wien diese gemeinsam mit einem SPÖ-nahen Verlag geschickt ausnutzte. Das Ziel: Inseratengeschäfte nicht melden zu müssen. Das tat man so geschickt und systematisch, dass sich ein Schluss aufdrängte: Es musste Absicht gewesen sein.

Nach Inkrafttreten des Medientransparenzgesetzes im Jahr 2012 fanden windige Medienmacher und Politiker schnell Wege, dieses zu umgehen. Eine der größten Lücken im Gesetz betrifft die Erscheinungsfrequenz von Medien. Nur periodische Medien, also jene, die mindestens viermal im Jahr erscheinen, sind von der gesetzlichen Meldepflicht umfasst.

Deshalb begannen Verlage, Magazine zu erschaffen, die seltener erscheinen – sogenannte nichtperiodische Druckwerke. Der Trick ist simpel: Entweder reduziert man die Erscheinungsfrequenz von bestehenden Magazinen oder man stellt neue Druckwerke her, die eben nur ein-, zwei- oder dreimal pro Jahr herauskommen – und schon muss eine öffentliche Stelle wie die Stadt Wien Inseratengeldflüsse dorthin nicht melden.

DOSSIER hatte 2013 erstmals über diesen Trick in Zusammenhang mit einer Stadt-Wien-Beilage in der Mediengruppe Österreich berichtet – derselbe Umgehungstrick taucht übrigens auch in der aktuellen Affäre rund um Inserate des Finanzministeriums (BMF) auf.

2017 erschienen um Sebastian Kurz’ Machtübernahme zwei nichtperiodische „Magazine“ aus dem Hause Fellner. Das BMF inserierte darin fleißig, ohne die Summen – insgesamt rund 130.000 Euro – offenlegen zu müssen, wie DOSSIER schon 2018 berichtete.

Aber zurück zur Stadt Wien.

Die unsichtbare Beilage

Auch im Verfahren DOSSIER vs. Stadt Wien ging es um so ein nichtperiodisches Druckwerk: Preview – Magazin für aktive Freizeitgestaltung.

Zweimal im Jahr 2017 lag Preview dem Schau-Magazin bei, das sechsmal jährlich von demselben Verlagshaus herausgegeben wird. Eigentümer und Eigentümerin: Gerhard Milletich, seit kurzem Präsident des Österreichischen Fußballbundes (ÖFB), und Gabriele Ambros.

Beide sind mit der SPÖ bestens vernetzt und pflegen lukrative Geschäftsbeziehungen mit der Stadt. Milletich und Ambros hatten 2004 den Bohmann-Verlag mit ihrer Firma, der Dietrich Medien Holding GmbH, übernommen. Von 2013 bis 2021 produzierten sie im Auftrag der Stadt etwa die Monatszeitschrift Mein Wien. Kostenpunkt: 133 Millionen Euro.

Anders als bei Mein Wien sollten jene Summen, die die Stadt in Preview steckte, wohl nie entdeckt werden. In den Medientransparenzdaten tauchte jedenfalls kein Geldfluss auf. Dabei hatte Preview bis auf die Stadt Wien so gut wie keine anderen Werbekunden. Warum auch? Preview war richtig schlecht und richtig billig gemacht.

Ein kleines, unscheinbares Heft, 32 Seiten im A5-Format; voll mit alten Artikeln, etlichen Nachdrucken bereits erschienener Texte, die mitunter einfach von Webseiten der Stadt ins Heft kopiert wurden. Preview gab es weder in der Trafik zu kaufen, noch konnte man es abonnieren.Es gab keine Website, keinen Facebook-, Instagram- oder Twitter-Account.

Welchem Zweck diente Preview also? Ging es darum, Steuergeld heimlich aus der Stadt an einen Verlag mit SPÖ-Nähe zu schleusen?

Und wie viel kostete das die Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern?

Vor Gericht

Nicht einmal die Frage nach den Kosten wollte die Stadt beantworten – weshalb Anwalt Walter Schwartz und PID-Leiter Martin Schipany an jenem 28. Mai 2019 im Gerichtssaal sitzen. „Wenn wir die Kosten für eine Einzelbeilage bekanntgeben würden, würden wir nicht nur vertragswidrig mit dem entsprechenden Verlagshaus handeln“, erklärt Schwartz dem Richter.

Man würde außerdem „Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse am Markt preisgeben, die für Mitbewerber von Interesse wären“ – und das könnte „bei einzelausverhandelten Werbeausgaben zu einer Schlechterstellung der Gemeinde Wien führen“.

Schwartz’ Argumentation ist interessant. Seit Jahren legen Österreichs Ministerinnen und Minister auf Anfragen im Parlament die Kosten von einzelnen Beilagen und Inseratengeschäften offen. Handeln die Mitglieder der Bundesregierung also mitunter sogar rechtswidrig, wenn sie das tun? Das sei jedenfalls zu hinterfragen, meint Schwartz.

Nach zwei Stunden und 15 Minuten schließt der Richter die Verhandlung. Er sei sich der Brisanz der Sache bewusst, sagt er. Eine Entscheidung gibt es an diesem Tag nicht, sie ergeht schriftlich. Das Warten beginnt.

Monat für Monat vergeht, bis DOSSIER im Dezember 2019 der Spruch des VwG erreicht: Die Auskunft über die Höhe der Kosten für die Beilage sei zu erteilen. Doch so schnell gibt die Stadt nicht klein bei. Sie geht mit Schwartz & Co in die nächste Instanz und bringt im Jänner 2020 Amtsrevision beim Verwaltungsgerichtshof (VwGH) ein.

Auf 22 Seiten argumentiert man, warum man das Erkenntnis des VwG „zur Gänze“ anficht: Man sei zur Amtsverschwiegenheit und zum Datenschutz verpflichtet. Die Anfrage sei überdies „mutwillig“ gestellt worden, DOSSIER stehe „kein Recht auf Information“ zu.

„Dies deshalb, weil die Informationen schlicht nicht notwendig sind, um eine öffentliche Debatte zu schaffen. Die Debatte über Kosten für Inseratenschaltungen wird seit Jahren geführt!“, führt die Kanzlei SHMP im Namen der Stadt Wien aus. Wieder vergehen Monate.

Die Corona-Pandemie bricht aus, im Herbst 2020 wird der Wiener Gemeinderat gewählt. Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) geht mit den Neos in eine Koalition. Dann, im Frühjahr 2021, trudelt ein blauer Brief in der Redaktion ein: das Urteil des VwGH. Sieg!

Bezugnehmend auf das Auskunftsbegehren vom 23. April 2018 sowie den dazu ergangenen Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs vom 26. März 2021, Ra 2020/03/0020, 0021, teilt die Stadt Wien, vertreten durch die Magistratsabteilung 53, mit, dass sich die Werbekosten für die angefragte Beilage auf 170.720 Euro belaufen haben

schreibt PID-Chef Martin Schipany schließlich am 17. Mai 2021 per Mail – mehr als drei Jahre nach der ersten DOSSIER-Anfrage. Aber was heißt das?

In einer einzigen unscheinbaren Beilage eines parteinahen Verlags kaufte die Stadt Wien Werbung für rund 171.000 Euro Steuergeld. Durch die geschickte Konstruktion musste die Stadtregierung die Zahlung nie in den Medientransparenzdaten offenlegen.

Die Stadt engagierte dann sogar eine teure Anwaltskanzlei, um zu verhindern, dass die Öffentlichkeit Einblick bekommt – vergeblich. All das für ein „Magazin“, das 32 Seiten dünn und so schlecht war, dass es trotz der öffentlichen Subvention von 5.335 Euro pro Seite heute nicht mehr existiert.

Doch da ist mehr.

16.954 potenzielle „Previews“

In einem parallel laufenden Verfahren wollte DOSSIER die Kosten einer anderen Beilage aus dem Hause Milletich & Ambros in Erfahrung – und bekam auch in diesem Fall recht. Wieder war die Stadt gezwungen, die Summe offenzulegen: wieder exakt 170.720 Euro.

DOSSIER hat im Zeitraum 2012 bis 2017 zwölf weitere Beilagen gefunden, die nicht gemeldet wurden. Sie alle erschienen in Magazinen der SPÖ-nahen Dietrich Medien Holding. Aber da ist noch mehr. Ungefähr zur selben Zeit, als DOSSIER vor Gericht zieht, stellt der Journalist Markus Hametner eine ähnliche Anfrage an die Stadt Wien.

Hametner, der damals für das Medium Addendum arbeitete, wollte von der Stadt nicht nur Auskunft zu einem oder zwei, sondern gleich zu allen nicht gemeldeten Inseratengeschäften haben. Auch Addendum erhält vor dem Erstgericht recht, wieder erhebt die Stadt Amtsrevision. Zwischenzeitlich wird Addendum 2020 eingestellt, bekommt aber später noch vor dem Verwaltungsgerichtshof großteils recht. Nur die Frage, wie viel Aufwand die Stadt bei der Herausgabe der Informationen in Kauf nehmen muss, lässt das Höchstgericht offen.

Nach dem Aus von Addendum stellt Hametner die Anfrage erneut und führt derzeit ein weiteres Verfahren zu denselben Fragen. Erneut mauert die Stadt Wien, erneut stützt man sich auf die juristische Expertise von Walter Schwartz’ Kanzlei und bringt dieselben Argumente vor: Amtsverschwiegenheit, Datenschutz, Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse.

Erneut ging das Verfahren durch die Instanzen. Am 12. Oktober 2021 fand eine mündliche Verhandlung am Verwaltungsgericht Wien statt, bei der man sich ein Bild von der Dimension der intransparenten Geldflüsse machen konnte.

Insgesamt geht es um 16.954 Belege zu möglichen Inseratengeschäften, die nur im Zeitraum 1. Quartal 2017 bis 1. Quartal 2021 von der Stadt abgeschlossen wurden. Darunter befinden sich Inserate, die nach dem Medientransparenzgesetz gemeldet wurden und auch solche, die aufgrund des Gesetzes nicht zu melden waren, weil es sich um nichtperiodische Druckwerke oder um Summen handelte, die unter die sogenannte Bagatellgrenze von 5.000 Euro pro Quartal fallen.* Die Dimension ist so gewaltig, dass die Stadt in diesem Verfahren noch auf eine andere Verteidigungslinie setzt.

Und die klingt so: Der Aufwand, alle Belege auszuheben, sei so groß, dass es womöglich den gesamten PID lahmlegen würde. Allein die Auswertung der ersten 90 Belege habe 37 Stunden Arbeitszeit verschlungen, bringen Schwartz & Co bei der Verhandlung vor. Der Grund: „Wenn man zu einer Ausgabe Näheres wissen will, muss man in den Vergabeakt schauen“, erklärt die stellvertretende PID-Chefin. Und diesen gebe es nur in Papierform.

Erneut ist die Argumentation, gelinde gesagt, interessant. Denn in der Stadt werden diese Belege ohnehin einmal im Quartal händisch durchforstet, um korrekte Meldungen nach dem Medientransparenzgesetz abgeben zu können, wie Schipanys Stellvertreterin vor Gericht ausführt. Alle maßgeblichen Belege würden in eine Excel-Liste aufgenommen und „was nicht dazugehört, fliegt wieder raus“, so die ranghohe PID-Mitarbeiterin.

Hauptsache, man bemüht dieselbe Ausrede, die schon vor einem Jahrzehnt im Wiener Gemeinderat vom damaligen Stadtrat Christian Oxonitsch (SPÖ) vorgetragen und seither von einigen Mitgliedern der Stadtregierung – alle von der SPÖ – wiederholt wurde:

Es sei „wirtschaftlich jedenfalls nicht gerechtfertigt“, die für solche Inseratengeschäfte ausgegebenen Summen auszuheben.

Das Problem ist lange bekannt. Nur der politische Willen, etwas daran zu ändern, ist nach fast zehn Jahren Medientransparenz offenbar noch immer nicht vorhanden. Dafür steht für die Stadt, vom Bürgermeister abwärts, zu viel auf dem Spiel. Wien wird wohl noch den einen Richter oder die andere Richterin brauchen.


*Erratum vom 26.11.2021:

An dieser Stelle erweckten wir fälscherlichweise den Eindruck, dass alle 16.954 Belege womöglich nicht gemeldete Inseratengeschäfte wären. Dies wurde präzisiert. 

Update vom 27.11.2021:

Gestern veröffentlichte der PID der Stadt Wien eine Stellungnahme via OTS, wonach die DOSSIER-Berichterstattung „irreführend“ und „mutwillig selektiv“ sei. 

„Die Vergabe von Inseratenschaltungen durch die Stadt Wien erfolgt nach klaren und nachvollziehbaren Kriterien und unter Einhaltung aller rechtlichen Vorschriften“, so der PID. Man habe die Verfahren geführt, „um die entsprechende Rechtssicherheit herzustellen, welche Zahlen und Summen offengelegt werden müssen und welche nicht offengelegt werden dürfen.“ Die gesamte Stellungnahme finden Sie hier.

Aufmacherbild: Hippolyte Moulin, Secret d'en haut (1879), Paris, Musée d'Orsay