Der Bierlein-Effekt

Die Regierung Bierlein hört nicht auf, Geschichte zu schreiben. Erstmals ist eine Frau Bundeskanzlerin in Österreich, erstmals hat die Republik eine sogenannte Expertenregierung ohne explizite Parteizugehörigkeit – und erstmals gab eine Bundesregierung in den Monaten vor einer Nationalratswahl weniger Geld für Werbung aus als ihre Vorgänger.

Text: Peter Sim, Florian Skrabal

Inserate16.12.2019 

Wie die DOSSIER-Auswertung der jüngst veröffentlichten Medientransparenzdaten zeigt, warben die Ministerien im 3. Quartal 2019, also von 1. Juli bis 30. September, um insgesamt rund 3,6 Millionen Euro. Zwar gab es Quartale, in denen seit Beginn der gesetzlichen Veröffentlichungspflicht im Jahr 2012 weniger für Werbung ausgegeben wurde, doch zum ersten Mal gingen die Werbeausgaben der Bundesregierung just in der Wahlkampfzeit nicht nach oben.

So lag der Bedarf an öffentlicher Werbung der SPÖ-ÖVP-Regierung unter Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ) im Wahlquartal 2013 bei satten acht Millionen Euro. Vier Jahre später beliefen sich die Ausgaben der SPÖ-ÖVP-Regierung unter Kanzler Christian Kern (SPÖ) in den drei Monaten vor der Wahl auf 7,1 Millionen Euro. Ein Zufall? Mitnichten.

Dass sich die derzeitige Regierung am Wahltag, dem 29. September 2019, nicht um eine neue Amtszeit bemühte, erklärt den Bierlein-Effekt: die drastische Reduktion der Werbeausgaben. Die wahljährliche Leistungsschau der Ressorts war hinfällig.

Unzulässige Wahlwerbung

Wie DOSSIER seit Jahren dokumentiert, greifen Mitglieder von Bundes-, aber auch von Landesregierungen immer dann besonders tief in die Steuergeldtöpfe, wenn gewählt wird. Sie bewerben echte und vermeintliche Errungenschaften ihrer Arbeit, erkaufen sich die Gunst von (Boulevard-)Zeitungen und verschaffen sich just in Wahlkampfzeiten einen gewichtigen Vorteil gegenüber der Opposition; der politischen Konkurrenz, die ohne das Geld der Ressorts in den Wahlkampf steigt. 

In Deutschland schob das Bundesverfassungsgericht dieser Praxis deshalb bereits vor mehr als 40 Jahren einen Riegel vor. 1977 stellte das Gericht fest, dass Regierungsinserate im Wahlkampf „unzulässige Wahlwerbung“ sind. Seither steht Regierungswerbung in Deutschland vor allem in Wahlkampfzeiten unter strenger Beobachtung. Das wirkt.

So auch im Wahljahr 2017 – damals wurde in Deutschland und in Österreich gewählt. Österreichs Innenministerium (BMI) blätterte rund 2,6 Millionen Euro für Werbung hin, während das deutsche Pendant im ganzen Jahr mit 1.232 Euro (sic!) sein Auskommen fand.

Was das Höchstgericht in Deutschland einst erwirkt hatte, schaffte die Regierung Bierlein nun auch ganz ohne Richter: die drastische Reduktion der Regierungswerbung in Wahlkampfzeiten. Den gemeldeten Daten zufolge gab das Bundeskanzleramt im dritten Quartal 2019 nichts für Werbung aus. Die Ausgaben des Außenministeriums (BMEIA) gingen um 93, jene des BMI sogar um 95 Prozent zurück – eine wahrlich historische Entwicklung.