Seit 1. September 2025 ist die Amtsverschwiegenheit Geschichte. Dabei war das, was einhundert Jahre lang in Artikel 20 Absatz 3 der österreichischen Bundesverfassung stand, doch eigentlich grundvernünftig: Was Verwaltungsorgane bei ihrer amtlichen Tätigkeit erfahren, sollen sie auch für sich behalten. Und zwar dann, wenn es Geheimhaltungsgründe gibt, wie die öffentliche Sicherheit, die Landesverteidigung oder auch nur ein überwiegendes Interesse der Bürger·innen. Dagegen lässt sich doch kaum etwas sagen, oder?
Dass die Bestimmung dennoch einen schlechten Ruf genießt, hat weniger damit zu tun, wie sie formuliert ist, als mit der Art, wie sie angewandt wurde: Letztlich schützte das sogenannte Amtsgeheimnis nicht nur private Daten der Bürger·innen und sensible Akten der Behörden, auch politisch brisante Fakten wurden der Öffentlichkeit vorenthalten. Dem Interesse der Bürger·innen an Informationen stand stets ein Interesse der Mächtigen entgegen, unangenehme Dinge nicht preisgeben zu müssen.
Aus journalistischer Sicht fällt der Abschied vom Amtsgeheimnis folglich nicht schwer. Das Informationsfreiheitsgesetz, das in Österreich ein neues Kapitel behördlicher Transparenz einläutet, ist eine langjährige Forderung von Journalist·innenverbänden, die auch DOSSIER unterstützt. Dennoch werden Sie in diesem Schwerpunkt zur Einführung der Informationsfreiheit wie gewohnt unterschiedliche Blickwinkel auf das Thema kennenlernen und Kritisches über die neue Transparenz lesen. Wir werden dabei auch Sie in die Pflicht nehmen. Denn seit dem 1. September haben Sie als Bürger·in mehr Rechte, aber auch mehr Verantwortung.

Schutzschild gegen Kritik
Österreich ist mit der Abschaffung des Amtsgeheimnisses spät dran. Auf dem Papier hat sogar Afghanistan den Zugang der Bevölkerung zu Informationen progressiver geregelt. Auch wenn sich das im Terrorregime in Kabul nicht in der Praxis widerspiegelt: Intransparenter als die Taliban? Wie konnte es so weit kommen?

»Österreich ist bis zum Schluss massiv auf der Bremse gestanden, weil das Amtsgeheimnis letztlich ein Privileg der Politik ist«, sagt Antikorruptionsexperte Martin Kreutner. Am 30. Juli 1925 beschloss das österreichische Parlament, das Amtsgeheimnis in der Verfassung der Ersten Republik festzuschreiben – auch als »eine Verpflichtung der Verwaltung gegenüber dem neuen demokratischen Parlamentarismus«, wie Kreutner sagt.
Die Volksvertreter·innen wollten sich darauf verlassen können, dass die Verwaltung kein Eigenleben entwickelt – und etwa mit der Weitergabe von geheimen Informationen selbst ins politische Geschäft eingreift oder sich damit Vorteile verschafft. Auf den Bruch der Amtsverschwiegenheit standen bis zu drei Jahre Haft. Zuletzt gab es 2024 sieben Verurteilungen.
Bei der Weitergabe von geheimen Informationen drohen diese Strafen übrigens auch weiterhin: Trotz Transparenz gibt es Dinge, die nicht nach außen dringen dürfen.
In Sachen Datenschutz hatte auch die Bevölkerung etwas vom Amtsgeheimnis: »Es gilt auch zwischen den Behörden, und das dient auch dem Schutz der Bürger·innen. Denn es macht Sinn, dass etwa ein staatlicher Gesundheitsversorger nicht automatisch alle Gesundheitsdaten einer Person allen anderen staatlichen Behörden und Dienstleistern weitergibt«, sagt Kreutner. Doch auch die Politik nutzte das Amtsgeheimnis als Schutzschild – gegen öffentliche Kontrolle und zur Verschleierung von Missständen. »Es ist – Ultima Ratio – damit auch ein Herrschaftsinstrument«, sagt Martin Kreutner.
Fehlende Fallzahlen
Bei keinem Thema war das öffentliche Interesse an behördlichen Daten zuletzt so greifbar wie während der Corona-Pandemie. Zigtausende Menschen demonstrierten gegen die Maßnahmen, mit denen die Regierung in das Leben der Bevölkerung eingriff. Das politische Handeln wurde mit behördlich erhobenen Infektionszahlen argumentiert: je mehr Ansteckungen, desto strengere Regeln, bis hin zum Lockdown. Die Transparenz bei der Veröffentlichung der alles entscheidenden Infektionszahlen war jedoch begrenzt, wie die Recherche unseres Datenjournalisten Markus Hametner zeigt.
Die Republik veröffentlichte zwar umfangreiche Daten, auf Gemeindeebene war jedoch in den meisten Bundesländern Schluss: Jahrelang musste Hametner mit dem Gesundheitsministerium streiten und mit einem Auskunftsbegehren vor Gericht ziehen, bis die Behörde die Fallzahlen schließlich doch herausgeben musste. Auf unserer Website können Sie die Zahlen nun erstmals für ganz Österreich einsehen. Doch warum sträubte sich das Ministerium so vehement dagegen, die Daten offenzulegen?
In unserer Recherche nimmt der damals verantwortliche Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) Stellung: Das Ministerium sei enorm überlastet gewesen, man habe aber auch irreführende und negative Schlagzeilen für einzelne Gemeinden vermeiden wollen. In sehr kleinen Gemeinden hätten schon wenige Fälle zu enormen Ausschlägen führen können. »Wir wären wahrscheinlich zwei Tage darauf in der New York Times gestanden«, sagt Anschober.

Auch um das zu vermeiden, wurde das Interesse der Bürger·innen an Informationen zur Infektionsgefahr im direkten Umfeld hintangestellt. Dass das Amtsgeheimnis als Abschottung gegenüber Kritik diente, ist kein Corona-Spezifikum: »Es schützt die Politik, wenn sie nicht will, dass Gegner·innen gewisse Dinge wissen«, sagt Politologin Kathrin Stainer-Hämmerle. »Das hat zum Beispiel auch dazu geführt, dass mächtige Bürgermeister·innen in Gemeinden kritisches Hinterfragen überhaupt nicht mehr gewohnt waren.« Wer sich mit Geheimhaltung und Österreichs Innenpolitik beschäftigt, merkt schnell: Ob ein Geheimnis auch geheim bleibt, hängt letztlich davon ab, wem es nützt und wem es schadet. Eine Partei hat sich dabei besonders hervorgetan: die ÖVP.
Doppeltes Spiel
Der Umgang der Volkspartei mit Geheimhaltung richtete sich zuletzt offenkundig nach Parteiinteressen: Die ÖVP war und ist eiserne Verteidigerin des Amtsgeheimnisses und setzte Ausnahmen von der neuen Informationsfreiheit durch. So sind Gemeinden mit weniger als 5.000 Einwohner·innen von der proaktiven Veröffentlichungspflicht ausgenommen. Eine·n Informationsfreiheitsbeauftragte·n, der oder die in Streitfällen beraten und schlichten kann, gibt es dank ÖVP auch nicht.

Auch im Bereich Justiz fordert die Partei mehr Geheimhaltung ein: Journalist·innen sollten nicht mehr aus Ermittlungsakten zitieren dürfen, um Vorverurteilungen der Beschuldigten zu vermeiden. Einblicke in die Untiefen des politischen Geschäfts – etwa die Chats von Thomas Schmid (»Hure der Reichen«) oder die Überwachungsprotokolle im Fall Buwog (»Da bin ich jetzt supernackt«) – blieben der Bevölkerung damit versagt.
Und auch mit der parlamentarischen Aufklärung – Stichwort Untersuchungsausschüsse – hat die ÖVP seit längerem ein Problem: Leaks, also bewusste Weitergaben von Akten an Medien, sind der Volkspartei ein Dorn im Auge. Umso erstaunlicher war es, als 2020 just ein Leak der Volkspartei aufflog: Das ÖVP-Wasserzeichen, ein unbestreitbarer Herkunftsnachweis, prangte auf jenen Akten, die aus dem U-Ausschuss an Zeitungen gespielt wurden.
Es war ein offensichtlicher Versuch des »Dirty Campaigning«: Denn der Inhalt der Akten war geeignet, der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) zu schaden, die wiederum gegen ÖVP-Politiker·innen ermittelte. Der Fall zeigt, wie mit Geheimnissen, aber auch mit dem Vorwurf des Geheimnisverrats, politische Intrigen gesponnen werden: Denn zuvor hatte die ÖVP wiederum der WKStA vorgeworfen, Akten an Medien zu spielen. Wie der Schelm denkt, so ist er.
Dass das Amtsgeheimnis trotz hartnäckiger Gegenwehr der ÖVP unter einer von ihr angeführten Bundesregierung – vorangetrieben von den Grünen – abgeschafft wird, wird zur ironischen Fußnote der Geschichte. Doch der Beschluss der Informationsfreiheit ist das eine, die Umsetzung das andere.

Wer vorbereitet die Verwaltung?
Es liegt nun an der Verwaltung, den Bürger·innen Auskunft zu geben, wie es ihnen laut Gesetz zusteht. Doch darauf sei man nicht vorbereitet, sagt ein ranghoher Beamter mit Einblick in große Behörden gegenüber DOSSIER: »Die Administration wird völlig alleingelassen.« Seine Kritik: Es gebe weder zentrale Schulungen noch Handlungsanweisungen für den Start der Informationsfreiheit. »Wir haben ganz viele Fragezeichen. Es ist völlig offen, wie das werden wird«, sagt der Beamte unter dem Schutz der Anonymität.
Die Bediensteten in den Behörden müssen ab sofort in einem heiklen Spannungsfeld agieren: Welche Dokumente sind von öffentlichem Interesse und müssen deshalb proaktiv veröffentlicht werden? Welche fallen hingegen unter den Datenschutz? Auch ohne Amtsgeheimnis können Beamt·innen künftig strafrechtlich sanktioniert werden, wenn sie Informationen unrechtmäßig preisgeben. Im umgekehrten Fall gibt es hingegen keine Sanktionen – also wenn Informationen von öffentlichem Interesse zurückgehalten werden. Unter diesen Voraussetzungen werden Behörden Informationen im Zweifel zurückhalten, warnen Transparenzinitiativen.
Viele Anfragen dürften also künftig erst vor Gericht entschieden werden – ein Umstand, der politisch in Kauf genommen wird. »Übersetzt auf den Straßenverkehr würde das heißen: Es gibt keine Führerscheinprüfung, keine Vorbereitung derer, die am Verkehr teilnehmen. Und die Frage, ob Links- oder Rechtsverkehr gilt und wie das mit den Ampelfarben ist, entscheidet sich in der Judikatur«, sagt der Beamte.

Die Angst vor den Bürger·innen
Große Unbekannte bei alldem: die Bürger·innen. Sie könnten die Informationsfreiheit missbrauchen, um Politiker·innen zu sekkieren und Behörden mit Anfragen mutwillig zu überlasten – so lautet eines der Hauptargumente gegen die Einführung der Informationsfreiheit. »Ja zu einer funktionierenden Verwaltung, die bürgernah ist und nicht durch Querulanten lahmgelegt werden kann«, warnte der damalige ÖVP-Bundeskanzler Karl Nehammer noch 2022 vor zu viel Transparenz.
Eine Aussage, die ihm Kritik einbrachte – die die Politologin Stainer-Hämmerle aber nachvollziehen kann: »Natürlich haben auch Politiker·innen Misstrauen gegenüber der Bevölkerung. Das gesunkene Vertrauen ist keine Einbahnstraße.«
Mit dem Informationsfreiheitsgesetz verschiebt sich ein Stück Macht in Richtung der Bürger·innen: Sie haben künftig ein gesetzliches Recht auf Information. Damit müssen sie aber auch mehr Verantwortung übernehmen: »Mehr Information erfordert auch einen höheren Reifegrad in der Bevölkerung – oder führt ihn dann hoffentlich herbei«, sagt Stainer-Hämmerle.
Mutwillige und fragwürdige Anfrageserien kamen bisher eher von politischen Parteien als aus der Zivilbevölkerung: Die FPÖ löcherte die Regierung etwa im Mai 2025 mit einer Flut von 827 parlamentarischen Anfragen zur Pandemie und fragte Bundeskanzler Christian Stocker (ÖVP) nach seiner Friseurrechnung – dieser ist bekanntlich fast kahlköpfig.
Stainer-Hämmerle sieht derartige Anfragen kritisch: »Wie wir gesellschaftlich mit der neuen Transparenz umgehen, hat viel damit zu tun, wie die gesellschaftlichen Eliten sie nutzen: die Parteien und die Medien. Man kann nur appellieren, dass sie die Dinge im Rahmen lassen«, sagt sie.
Der aufrechte Gang

Die Informationsfreiheit wird uns künftig also auch mehr in die Pflicht nehmen – und aktive Mitarbeit erfordern. Und sei es nur deshalb, weil Behörden Anfragen nun statt mit einer Auskunft auch mit einem simplen Verweis beantworten könnten: »Hier, bitte schön. Da ist die öffentliche Datenbank, schauen Sie doch bitte selbst nach.«
Das Zeitalter der Informationsfreiheit könnte nicht nur für Politik und Verwaltung zur Bewährungsprobe werden, sondern auch für die Bürger·innen. Innenpolitikjournalistin Anneliese Rohrer bremst dabei die Erwartungen, zumindest für den Anfang. »Das wird Generationen dauern, bis sich das Selbstverständnis der Menschen ändert«, sagt sie.
Denn der breiten Bevölkerung sei gar nicht bewusst, was das Amtsgeheimnis mit ihrem Selbstbild als mündige Bürger·innen angestellt habe. Die Politik habe sich damit Menschen mit ihren berechtigten Anliegen vom Leib gehalten – und diese hätten gelernt, das zu akzeptieren.

»Ich bin gespannt, wie viele sich von dem Informationsfreiheitsgesetz angesprochen fühlen«, sagt Rohrer. Nicht vor den Querulant·innen müsse man Angst haben, sondern davor, dass sich Menschen nicht trauen, ihr Recht wahrzunehmen und die Macht zu hinterfragen. »Bevor sich die Zivilgesellschaft ihr demokratisches oder öffentliches Recht erkämpft, sucht sie lieber ihre eigenen Abmachungen und Vorteile«, sagt die Journalistin. Die Chance, das zu ändern, sei aber jetzt da: »Man muss den Leuten ihre Rechte erklären. Denn wenn man ihnen den aufrechten Gang nicht klarmacht, werden sie ihn auch nicht an ihre Kinder weitergeben.«




