Wie die Polizei Schleichwerber laufen lässt

Anzeigen verloren: Wie die Behörden bei der Verfolgung von Schleichwerbung auf ganzer Linie versagen.

»Österreich«7.9.2016 

Seit 17 Monaten liegen bei der Polizei 476 Anzeigen. In allen geht es um das Delikt der Schleichwerbung, im juristischen Sprachgebrauch: um mögliche Verstöße gegen den Paragrafen 26 Mediengesetz – die Pflicht, Werbung als solche zu kennzeichnen. Bis zu 20.000 Euro Geldstrafe sind vorgesehen, im Wiederholungsfall bis zu 60.000 Euro. Die Beschuldigten der 476 Anzeigen sind die fünf größten Zeitungen des Landes – und die Polizei, die das Gesetz vollziehen sollte, tut: nichts.

„In der Bearbeitung ist das in einer der niedrigsten Stufen“, sagt Hofrat Gerhard Lecker von der Landespolizeidirektion Graz am Telefon. Später muss er zugeben, dass die Polizei die Anzeigen, die nachweislich eingegangen sind, sogar verloren hat: „Es ist mir unerklärlich“, sagt Lecker. Willkommen in der Welt der Schleichwerbung, wo Menschen getäuscht, Moral wie Gesetz gebrochen werden. Bezahlte Einschaltungen getarnt als redaktionelle Berichte werden zunehmend zum Problem, wie Gabriele Faber-Wiener, die Vorsitzende des PR-Ethikrates, zu DOSSIER sagt. Branchenverbände stehen dem hilflos und die vollziehenden Behörden untätig gegenüber.

Vier Verdachtsfälle pro Ausgabe

Das zeigte der Wiener Philosophiestudent Alexander Kaimberger eindrucksvoll auf: Er ist der Urheber jener Anzeigen, die die zuständigen Behörden unbearbeitet ließen beziehungsweise nicht mehr finden. Im Rahmen seiner Magisterarbeit zum Thema Schleichwerbung analysierte Kaimberger zwei Wochen lang die fünf reichweitenstärksten Tageszeitungen Österreichs. „Die Herausforderung ist, Schleichwerbung zu erkennen“, sagt Kaimberger. „Ich habe Indizien gesammelt: Gibt es in der Nähe von Anzeigen wohlwollende Berichte? Findet man werbliche Formulierungen wie etwa ‚Schnäppchen‘?“ Nach zwei Wochen hatte er 476 Verdachtsfälle von unzureichend oder gänzlich ungekennzeichneter Werbung aufgelistet – durchschnittlich vier Fälle pro Zeitungsausgabe. Kaimberger beschloss, die Fälle anzuzeigen.

Die zuständigen Behörden für die von Kaimberger Verdächtigten Heute, Österreich, Kronen Zeitung, Kurier und Kleine Zeitung sind laut Mediengesetz die Landespolizeidirektionen in Wien und in Graz. „Ich habe schon beim Erstkontakt mit der Polizei gemerkt, dass hier eine Wissenslücke existiert“, sagt Kaimberger. „Mir war klar: Freiwillig verfolgen die das nicht.“ Er behält recht.

Nicht nur die Landespolizeidirektion Graz ignoriert die Anzeigen und verliert sie sogar, auch in Wien weiß man mit diesen offenbar wenig anzufangen. Trotz mehrwöchigen Bemühens ist der zuständige Beamte zu keinem Interview bereit. Nur so viel: „Die Fälle sind rar gesät, ich kann nicht aus großer Erfahrung sprechen.“ Dabei kann oder will man bei der Wiener Polizei nicht einmal beantworten, ob die Anzeigen überhaupt bearbeitet wurden.

„Im Boulevard wird das Problem noch stärker“

Gabriele Faber-Wiener, Vorsitzende des PR-Ethikrats, eines Branchenkontrollorgans, berichtet von ähnlichen Erfahrungen. Dass immer öfter Kritik aus PR-Kreisen an den Methoden der Medien und dem Ausverkauf von Journalismus laut wird, macht den Missstand deutlich. „Es geht um Transparenz und Glaubwürdigkeit. Wir wollen nicht, dass Rezipienten manipuliert werden“, sagt Faber-Wiener. Das Problem gekaufter Berichterstattung ziehe sich durch die gesamte Medienlandschaft, in Boulevardmedien fänden sich aber besonders viele Verdachtsfälle.

„Qualitätsmedien schauen vermehrt auf Korrektheit, gleichzeitig gibt es den Boulevard, wo das Problem noch stärker wird“, sagt Faber-Wiener. Verantwortlich für die Ausbreitung der Schleichwerbung macht sie vor allem die Untätigkeit der Behörden: „Wir haben kürzlich drei für uns eindeutige Verdachtsfälle an die Landespolizeidirektion Wien weitergeleitet, keiner der der Fälle wurde weiter bearbeitet“, sagt sie. „Das kann so nicht weitergehen. Die Manipulation nimmt zu, und wir haben kein funktionierendes Medienrecht.“