Interview

„Stellen Sie sich vor, es ist Lotto, und keiner geht hin”

„Stellen Sie sich vor, es ist Lotto, und keiner geht hin” – Die Österreichischen Lotterien über die „Verpflichtung zu werben”

Glücksspiel3.8.2016 

Die enge Zusammenarbeit zwischen den Österreichischen Lotterien und dem ORF hat Tradition: Vor 30 Jahren kam Lotto 6 aus 45 auf den Markt und die passende Glücksspielsendung ins ORF-Programm – zu beidseitigem Nutzen. Bis heute bezahlen die Lotterien den ORF und andere Medien „um eine positive Grundstimmung” für Glücksspiel zu schaffen. Warum Gewinnchancen in der Werbung keinen Platz haben und weshalb es keine Werbebeschränkungen für Glücksspiel braucht, erklären Lotterien-Pressesprecher Martin Himmelbauer, Marketingleiterin Elisabeth Römer-Russwurm, die Leiterin der Rechtsabteilung Barbara Hoffmann-Schöll und der Bereichsleiter „Responsible Gaming” Herbert Beck im Interview mit DOSSIER.

Wie unterscheidet sich Werbung für Glücksspiele von jener für andere Produkte?

Elisabeth Römer-Russwurm: Glücksspielwerbung funktioniert wie andere Werbung auch, sie muss sich im Werbeumfeld durchsetzen können. Darüber hinaus gibt es sehr enge Reglementierungen, die wir zu beachten und einzuhalten haben – und zwar die Responsible-Advertising-Richtlinien.

Was steht in den Richtlinien?

Herbert Beck: Zum Beispiel, dass Glücksspielwerbung keine Jugendlichen ansprechen darf. Generell dürfen keine vulnerablen Gruppen angesprochen werden; also Menschen, die Probleme mit Glücksspielprodukten bekommen könnten.

Die Information, dass zum Beispiel die Chance auf einen Euromillionen-Jackpot 40 Mal kleiner ist, als vom Blitz getroffen zu werden, wird in der Werbung aber nicht vermittelt.

Barbara Hoffmann-Schöll: Der Spieler entscheidet nicht aufgrund der mathematischen Wahrscheinlichkeit, ob er mitspielt. Das Informationserfordernis der Kunden wird anders gedeckt: über Information direkt auf den Losen oder unsere Website spiele-mit-verantwortung.at. Werbung kann man damit nicht überladen.

Martin Himmelbauer: Ganz besonders ist, dass wir stringent in allen Werbeformen den Hinweis auf unsere Seite haben. Wir haben ein eigenes Logo darunter, wo es genau um verantwortungsvolles Spielen geht. Wir haben uns freiwillig selbst auferlegt, ein Mindestalter von 16 Jahren einzuführen, obwohl es das Gesetz nicht vorschreibt. (Anm.: Die Teilnahme am Onlineglücksspiel ist unter 18 Jahren gesetzlich verboten.)

Für Produkte wie Tabak und Alkohol gibt es strenge Regeln, in welcher Form und Intensität diese beworben werden dürfen. Glücksspielwerbung ist hingegen praktisch unreguliert, obwohl Glücksspiel bekanntermaßen auch süchtig machen kann.

Herbert Beck: Der Prozentsatz der Bevölkerung, der einmal in seinem Leben krankhaft Glücksspielprobleme bekommt, liegt bei etwas unter einem Prozent. Zum Vergleich: Beim Alkohol sind es etwa sechs Prozent und bei Tabak wahrscheinlich deutlich darüber. Es ist also klar, dass man bei Glücksspiel nicht so harte Beschränkungen wie bei Alkohol oder Tabak braucht. Aufklärung auf jeden Fall, aber die ist durch die erwähnten Anhaltspunkte wie spiele-mit-verantwortung.at und durch Folder in den Kasinos und Annahmestellen gedeckt.                                       

Wir würden gerne über Glücksspiel im Fernsehen sprechen. Wenn die Lotterien in den vergangenen Jahrzehnten ein neues Glücksspiel vorgestellt haben, wurde es meist von einer Glücksspielsendung im ORF begleitet. Warum ist das so?

Römer-Russwurm: Da geht es vorrangig um die Öffentlichkeit der Ziehung. Damit die Spielteilnehmer die Resultate der Ziehung sehen, was wiederum für die Glaubwürdigkeit wesentlich ist.

Der ORF hat sieben Glücksspielsendungen im Programm: Lotto 6 aus 45, Euromillionen, Bingo, Brieflosshow, Money Maker, Zahlenlotto, Toitoitoi. Eine Frage zu Money Maker: Warum läuft die Sendung nur im Sommer?

Römer-Russwurm: Das hing mit der Frage zusammen, wann es möglich wäre, im ORF so eine Sendung unterzubringen. Das war nur im Sommer möglich. Da haben wir gesagt, wir machen ein saisonales Produkt von Juni bis September mit der TV-Ziehungsübertragung im Juli und August.

Warum laufen alle Sendungen auf ORF 2 und nicht auf ORF 1?

Römer-Russwurm: Das war damals eine Zielgruppenfrage, wobei wir uns heute auch fragen sollten, ob das noch adäquat ist.

Und private Sender sind keine Option für die Glücksspielsendungen?

Römer-Russwurm: Die haben eine wesentlich kleinere Reichweite, und wir hätten nicht den Effekt, dass möglichst viele Konsumenten die Ziehung sehen können.

Welche dieser Glücksspielsendungen wird von den Lotterien finanziell unterstützt, und wie hoch ist diese finanzielle Unterstützung? 

Himmelbauer: Natürlich fließt Geld, unentgeltlich macht es der ORF nicht. Das wäre ja blauäugig. Zur Höhe der Unterstützung: Bei geschäftlichen Vereinbarungen ist bei uns im Land Usus, sie nicht an die große Glocke zu hängen. Aber ein wichtiger Aspekt dazu: Eines der am stärksten wachsenden Segmente des Glücksspiels über die letzten Jahre, um nicht zu sagen Jahrzehnte, war gar nicht in der TV-Werbung präsent: das Automatenglücksspiel. Es ist nicht das Fernsehen allein, das Wachstum und Präsenz generiert. Und noch etwas: Wir sind der einzige lizenzierte Onlineanbieter, also Monopolist, und haben einen Markanteil von nur ungefähr 52 Prozent. Bwin weist seit Jahren nicht mehr aus, wie viel Umsatz sie in Österreich haben. Würden wir nicht werben, wären wir wahrscheinlich gar nicht mehr da.

Römer-Russwurm: Wenn wir nicht kommunizieren, besteht das Risiko, dass die Kunden in den illegalen Bereich abwandern. Dort gibt es die Schutzmaßnahmen nicht, die es bei uns gibt. Es ist also auch eine Verpflichtung zu werben.

Was genau ist „mediale Unterstützung“, und wie viel Geld wird dafür ausgegeben?

Hoffmann-Schöll: Das stammt aus dem Jahr 1986. Damals wurde eine Zweckwidmung der Steuerleistungen der Österreichischen Lotterien eingeführt, die der Sportförderung, der Förderung karitativer Zwecke und der Förderung von Behinderten zugutekommen sollte. Ein Teil davon war auch für Medien gedacht, weil der Gesetzgeber eine Studie hatte, wonach 800 Millionen Schilling an Glücksspieleinsätzen ins Ausland fließen, die er gerne im Inland gehabt hätte. Damit wollte man eine positive Grundstimmung schaffen, weil man befürchtete: Was, wenn Lotto 6 aus 45 eingeführt wird, und es geht keiner hin? Oder in allen Medien gesagt wird: Das ist ein Blödsinn, schade ums Geld. Das wollte die Republik Österreich nicht. So hat sie dieses Konstrukt, das aus juristischer Sicht einzigartig ist, geschaffen: die generelle mediale Unterstützung. Später ist das in unsere Hände gewandert, weil man nach dem Beitritt zur Europäischen Union vermeiden wollte, auch nur in den Geruch des Anscheins einer staatlichen Beihilfe zu kommen.

Himmelbauer: Wir haben eine Rahmenvereinbarung mit dem Verband Österreichischer Zeitungen (VÖZ) und eine mit dem ORF. Der ORF war 1986 allein auf weiter Flur. Man hat gesagt: Wir arbeiten auch mit denen, damit die Information, dieses Verständlichmachen der Themen rund um das Glücksspiel, sichergestellt ist. Denn wie gesagt: Stellen Sie sich vor, es ist Lotto und keiner geht hin. Wenn keiner spielt, ist der Jackpot bei null. Dann macht das alles keinen Sinn.

Wie funktioniert das in der Praxis?

Himmelbauer: Aus dem Bereich Corporate Communications gehen Informationen zu aktuellen Promotionen raus, also zum Beispiel zu einem neuen Rubbellos. Die Informationen schicken wir an einen Verteiler. Wann etwas wo und in welcher Größe erscheint, macht der VÖZ mit seinen Partnermedien aus. Die Mittel fließen von uns an den VÖZ.

Die Beiträge sind als Werbung gekennzeichnet?

Himmelbauer: Sie sind als Werbung gekennzeichnet, sind aber keine klassische Werbung, die wir direkt schalten. Das wird vom VÖZ nach einem marktkonformen Schlüssel verteilt.

Wir haben uns auch die Glücksspielsendungen im öffentlichen Rundfunk in Deutschland und der Schweiz angesehen. Der ORF hat mehr Glücksspielsendungen im Programm als sämtliche deutschen und Schweizer Öffentlich-Rechtlichen zusammen.

Himmelbauer: 1986 gab es nur den ORF, man hat daher eine Kooperation mit dem ORF geschlossen. Die Lotto-Ziehung muss außerdem in einem Studio produziert werden. Und das macht man am Küniglberg, weil es die Räume dafür gibt. Da gibt es auch die Moderatoren. Mit der Liberalisierung des TV-Marktes haben wir auch Kooperationen mit der ATV-Gruppe abgeschlossen und kooperieren auch mit Puls 4. Wir können aber nicht drei Ziehungen produzieren.                                     

Die Moderatorinnen und Moderatoren arbeiten teilweise auch in anderen Programmen des ORF. Wie kommt es zur Auswahl der Moderatoren?



Römer-Russwurm: ORF-Moderatorinnen sind Angestellte des ORF und werden auch vom ORF für die Ziehungssendungen ausgewählt. Zu den Ziehungen: Das, was wir zur Verfügung stellen, sind die Ziehungsgeräte, der Ziehungsablauf und die Ziehungsaufsicht. Die redaktionelle Gestaltung der Sendungen ist Aufgabe des ORF.

Dieses Interview entstand in Zusammenarbeit mit Studierenden des Studiengangs „Journalismus und Medienmanagement” der FH Wien.