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Spielfrei

Ein Jahr nach dem Automaten-Verbot geht die Diskussion um die Zukunft des Glücksspiels in Wien in die nächste Runde. In den Gerichtssälen wird unterdessen die Vergangenheit aufgearbeitet. Dabei kommt das Versagen von Politik und Behörden zum Vorschein.

Glücksspiel9.12.2014 

Aufmacherbild: PID/Houdek

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Silvia Saric wartete nicht bis Mitternacht, um den Stecker zu ziehen. Der Schirm des Glücksspielautomaten blieb in ihrem Café im 5. Wiener Gemeindebezirk schon am Silvesterabend schwarz. In den Wochen zuvor hatte die Wirtin die Diskussionen verfolgt: Bereits im November hatten die Abgeordneten des Wiener Gemeinderats beschlossen, das Kleine Glücksspiel in der Hauptstadt zu verbieten. Zum Ärger der Automatenindustrie, allen voran des Markführers, der Novomatic AG. Über die Medien richtete der Konzern der Stadtregierung aus, das Verbot ignorieren zu wollen. In dieser Silvesternacht musste es eine Entscheidung geben. Und so machte sich die Wirtin am Vormittag des 1. Jänners 2015 auf den Weg zur nahegelegenen Reinprechtsdorferstraße. Nirgendwo in Wien drängten sich die Glücksspiellokale so dicht aneinander wie hier – 26 Standorte auf knapp einem Kilometer Straßenlänge. „Als ich die ‚Außer Betrieb'-Zettel an den Türen gesehen habe, war mir alles klar", sagt sie heute.

Für Saric, die nur einen Automaten aufgestellt hatte, war das Kapitel damit erledigt, nicht aber für Novomatic. Dass der niederösterreichische Glücksspielkonzern nicht kampflos abziehen würde, war ob seiner Marktstellung nicht verwunderlich. Über Tochterunternehmen betrieb Novomatic Ende 2014 knapp 1.400 der rund 2.600 genehmigten Automaten in Wien. Das entsprach einem Marktanteil von 54 Prozent, der größte Konkurrent, die Firma KNY, lag bei lediglich zwölf Prozent.

So kam es, dass elf Unternehmen, darunter zehn Novomatic-Tochterfirmen, noch im Dezember 2014 Anträge beim Verfassungsgerichtshof (VfGH) einbrachten. Sie beriefen sich auf ihr „wohlerworbenes Recht zum Betrieb von Münzgewinnspielapparaten" – ein letzter Versuch das Verbot zu kippen. Noch einmal musste die Stadtregierung zittern, hohe Schadensersatzzahlungen drohten. Am 12. März 2015 entschied der VfGH schließlich: Die Bestimmungen seien „nicht verfassungswidrig". Seit fast einem Jahr ist Wien damit praktisch spielfrei – dabei war das nicht so geplant.

Bereits 2014 hat das Finanzministerium Lizenzen zur Eröffnung von drei neuen Casinos inklusive Spielautomaten* in Wien vergeben, infolge einer Beschwerde der unterlegenen Casinos Austria wurde der Bescheid des Ministeriums allerdings wegen schwerer Verfahrensmängel aufgehoben, die Vergabe musste neu aufgerollt werden. Als Konsequenz durften 2015 in Wien nur jene 200 Automaten im Casino in der Kärntner Straße legal betrieben werden – so wenige waren es in den drei vorangegangenen Jahrzehnten nie. Diese Situation fachte die Diskussionen zusätzlich an: Helfen Verbote bei der Bekämpfung von Spielsucht? Oder werden Spieler lediglich in die Illegalität gedrängt? Wie klein war das Kleine Glücksspiel tatsächlich? Und welche Rolle spielten die Behörden vor dem Verbot? Diese Fragen sind über die Stadtgrenzen hinaus interessant. Mit Ende 2015 steht die Steiermark vor einer ähnlichen Situation wie Wien: Alte Konzessionen verlieren ihre Gültigkeit, Einzelaufstellung von Automaten ist dann nicht mehr erlaubt. Das Interesse der Glücksspielbranche, der Politik und der Spielsuchtforschung konzentriert sich deshalb auf die Entwicklung in der Bundeshauptstadt.

*In der Printversion des Artikels war an dieser Stelle fälschlicherweise von „Automatencasinos" die Rede. Der Fehler wurde korrigiert: Es handelt sich um Lizenzen für Vollcasinos, in denen neben klassischen Casinospielen auch Spielautomaten betrieben werden dürfen.

War das Verbot ein Erfolg?

„Ich habe den Eindruck, dass wir das Kleine Glücksspiel sehr zurückgedrängt haben", sagt die zuständige SPÖ-Stadträtin Ulrike Sima. „Wir haben Rückmeldungen von Spielern und deren Angehörigen, dass sich die drastische Reduktion des Angebots und die Zugangsbeschränkungen äußerst positiv ausgewirkt haben", sagt Grünen-Klubobmann David Ellensohn. Die Sicht des ehemaligen Marktführers Novomatic klingt völlig anders: „Die Folgen sind leider sehr negativ, da es nun zwar hunderte illegale Glücksspielautomaten, aber keinerlei wirkungsvollen Spieler- und Jugendschutz sowie einen massiven Steuerentgang gibt", sagt Unternehmenssprecher Hannes Reichmann auf Anfrage. Das Büro der Wiener Finanzstadträtin Renate Brauner bestätigt: 50 Millionen Euro Vergnügungssteuer fehlten 2015 im Budget. Eine finanzielle Entscheidung sei das Verbot allerdings auch nicht gewesen.

Der Stadtregierung ging es um die Eindämmung des Kleinen Glücksspiels und der negativen sozialen Folgen. Denn die Glücksspielautomaten haben laut Studien nicht nur das höchste Suchtpotenzial aller Glücksspielarten. Sie waren zudem ungleich über die Stadt verteilt: Abgesehen von den Vergnügungszonen Wurstel Prater und Böhmischer Prater, wo Casinos mit hunderten Automaten standen, waren die Geräte vor allem in Bezirken zu finden, in denen die Einkommen der Bevölkerung niedriger waren. So gab es in Rudolfsheim-Fünfhaus, dem Bezirk mit dem niedrigsten Durchschnittseinkommen fast sieben Mal mehr Automaten pro 1.000 Einwohner als in Hietzing, dem 13. und einkommensstärksten Bezirk Wiens.

Wiens Politik und die Behörden haben der Ausbreitung der Automaten jahrelang zugesehen, und es verdichten sich Hinweise, dass sie der Industrie auch ungewollt in die Hände gespielt haben. Da gibt es etwa jenes Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt vom März 2015. Ein Konkurrent hatte ein Tochterunternehmen der Novomatic geklagt, weil deren Apparate nicht den gesetzlichen Vorgaben des Kleinen Glücksspiels entsprochen haben sollen. Der Richter wies die Klage ab, unter anderem weil aufrechte Bescheide der zuständigen Behörde, der Magistratsabteilung 36, vorgelegen seien. Deren Bewilligung hätte „jedenfalls auch den Spielablauf und die Spielgestaltungsmöglichkeit mitumfasst, weil nach dem Wiener Veranstaltungsgesetz geprüft wird, ob sich die Spielgestaltung innerhalb der gesetzlichen Beschränkungen hält", heißt es in dem noch nicht rechtskräftigen Urteil. Die Behörde hatte die Geräte genehmigt, also: alles rechtens.

Genau diesen Sachverhalt beurteilte eine Richterin desselben Landesgerichts im September 2015 jedoch ganz anders. In dem zweiten Verfahren klagte ein Spieler eine Novomatic-Tochter auf Schadenersatz. Sein Vorwurf: Die Automatenspiele „Book of RA" und „Lucky Lady's Charm", zwei der bekanntesten Novomatic-Titel, hätten ein Vielfaches des gesetzlich erlaubten Maximaleinsatzes von 50 Cent zugelassen – und seien demnach illegal gewesen. Diesmal entschied das Gericht erstinstanzlich gegen die Novomatic-Tochter Austrian Gaming Industries und verurteilte sie zu einer Zahlung von 107.420 Euro. Das Glücksspielunternehmen ging in Berufung, das Urteil ist ebenfalls noch nicht rechtskräftig.

„Keine Spezialisten“

In diesem zweiten Verfahren kommt das Versagen der für die Konzessionierung zuständigen Magistratsabteilung 36 zum Vorschein – die beklagten Parteien bauten ihre Verteidigungsstrategie zum Teil darauf auf. Novomatic argumentierte erneut mit den gültigen Konzessionen der Stadt Wien, weshalb sich das Gericht genauer mit der Arbeit der MA36 auseinandersetzte. „Es war und ist nicht Aufgabe der MA 36, Spielapparate auf ihre Gesetzeskonformität hin zu prüfen und zu genehmigen", heißt es im Urteil. Unter den Mitgliedern des „Spielapparatebeirats", den die Behörde „für die Abgabe von fachlichen Empfehlungen" eingerichtet hatte, hätten sich wiederum „keine Spezialisten" befunden. Hat die MA36 gesetzwidrige Angebote nicht nur geduldet, sondern durch Genehmigungen sogar legitimiert?
„Die Novomatic behauptet jetzt, wir hätten einen Persilschein ausgestellt. Das gibt unser Gesetz aber gar nicht her", sagt Stadträtin Sima. Wie die Richterin im zweiten Verfahren verweist auch Sima darauf, dass es eigentlich nicht Aufgabe der MA36 war, die Apparate zu kontrollieren. Trotzdem habe man sie stichprobenartig durch externe Gutachter prüfen lassen – das Problem dabei: „Nachdem es eine sehr überschaubare Anzahl von Gutachtern gegeben hat, war es sehr schwierig, einen Unabhängigen zu finden", sagt Sima: „Jeder der gekommen ist hat gesagt, alles ist bestens."

Der Fall zeigt jedenfalls, dass große Glücksspielunternehmen wie Novomatic die gesetzlichen Rahmenbedingungen genau kennen und Spielräume immer wieder geschickt ausnutzen. So war in Wien bereits seit den 1980er-Jahren die Anzahl der Automaten pro Lokal auf zwei Stück begrenzt. Die Antwort der Glücksspielunternehmen: Trennwände und separate Eingänge. Aus einem Lokal wurden so mehrere winzige Kammern mit jeweils zwei Geräten, in der Branche „Fuchsbauten" genannt.

Ausgefuchst: Der Trick mit den Automatenkammern

Gerade in einkommensschwächeren Bezirken prägten die winzigen Lokale, die in der Branche „Fuchsbauten" genannt werden, über Jahre das Straßenbild. Durch die Teilung von Geschäftslokalen in mehrere getrennte Einheiten umging die Industrie erfolgreich die gesetzlichen Rahmenbedingungen, wonach lediglich zwei Automaten pro Lokal erlaubt waren: So konnte eine Vielzahl der erlaubten Geräte betrieben werden.

Seit dem Verbot ist die Rechtslage klar und die Arbeit der Behörden einfacher: Bis auf jene im Casino in der Kärntner Straße sind alle Glücksspielautomaten in Wien illegal. 391 Automaten beschlagnahmte die Finanzpolizei von Jänner bis Oktober 2015 bei ihren Razzien in Wien. Dabei stieß sie mitunter auf andere kreative Umgehungsmethoden: Wilfried Lehner, Leiter der Finanzpolizei, berichtet von versteckten Hinterzimmern, die Zugangstüren seien hinter Kästen versteckt oder durch Tastenschlösser gesichert gewesen. „Manche benutzen Funksteckdosen, um den Strom auszuschalten, wenn wir kommen. Der Wirt sieht, dass wir kommen und dreht den Automaten per Fernbedienung in der Hosentasche ab", sagt Lehner. Selbst auf mit Reizgasanlagen gesicherte Automaten sei die Wiener Finanzpolizei gestoßen.

Ein Anbieter umging das Verbot sogar systematisch: Die Firma Cashpoint, Tochter des deutschen Glücksspielkonzerns Gauselmann, ersetzte ihre Automaten lediglich durch PCs, von denen man auf die Cashpoint-Website, die von Malta aus betrieben wird, zugreifen konnte. Darauf fanden sich dieselben Automatenspiele wie zuvor – nur waren die maximalen Einsätze 400-mal höher als vor dem Verbot. DOSSIER zeigte diese Umgehungsmethode im Mai 2015 auf und konfrontierte Cashpoint.

Die Antwort des Unternehmens: „Sofern in einzelnen Lokalen PCs aufgestellt sind, handelt es sich um nichts anderes als bloße Internetzugänge, mithilfe welcher sämtliche Web-Inhalte abgerufen werden können." Wenig später beschlagnahmte die Finanzpolizei die Geräte. „Auch wenn jemand auf einem PC gegen Entgelt Glücksspiel anbietet, bietet er illegales Glücksspiel an. Das Delikt ist genau das gleiche – ob Münzgewinnspielautomat oder PC", sagt Finanzpolizist Lehner.

Illegale Automaten und die Spielsucht

Die Glücksspielindustrie wiederum fühlt sich von solchen Vorfällen bestätigt und benutzt sie sogar als Argument gegen Verbote: Bereits im Vorfeld der Gesetzesänderung hatte die Novomatic AG gewarnt, dass Spieler dadurch auf den illegalen Markt gedrängt würden. Bei der Frage, ob diese Befürchtung eingetreten sei, steht heute Wort gegen Wort: Auf lediglich 100 schätzt die Finanzpolizei die Zahl der illegalen Automaten. Das Marktforschungsinstitut „Kreutzer Fischer & Partner", deren Kundenliste viele große Glücksspielunternehmen Österreichs umfasst, will mindestens 640 illegale Geräte gezählt haben. „Wir glauben, dass die Zahl in Wahrheit noch viel höher ist", sagt Novomatic-Sprecher Reichmann. „Seit der Wien-Wahl halte ich nicht mehr viel von Marktforschung", entgegnet Stadträtin Sima. „Ich verlasse mich auf die Zahlen der Finanzpolizei."

Ebenfalls umstritten ist die Wirkung des Verbots auf Spielsüchtige. Dabei gibt es erste Anzeichen für einen Rückgang: Die Zahl der Automatenspieler außerhalb von Casinos sei in Wien seit 2009 um zwei Drittel zurückgegangen, so das Ergebnis einer Untersuchung des gemeinnützigen Hamburger Instituts für Interdisziplinäre Sucht- und Drogenforschung. In welchem Ausmaß das Verbot dafür verantwortlich ist, lässt sich laut Studienautor Jens Kalke aber nicht sagen, weil sich die aktuelle Erhebung sowohl auf 2014 als auch auf 2015 bezog. Automatenhersteller interpretieren rückläufige Zahlen aber ohnehin anders. Spieler hätten sich eben auf andere Angebote verlagert, an Gesetz und Steuer vorbei, hin zu illegalem Glücksspiel und ins Internet. Wieder gibt es Rückhalt von „Kreutzer Fischer & Partner": „Gerade die problematischen Spieler suchen sich ein neues Angebot und entziehen sich somit der Kontrolle", sagt dessen geschäftsführender Gesellschafter Andreas Kreutzer.

Wetten im Visier

Dass es der Stadt Wien trotz solcher Kritik mit der neuen Strenge gegenüber der Glücksspielbranche ernst ist, zeigt das geplante Wettgesetz. Fast hundert Jahre blieb das aus dem Jahr 1919 stammende alte Gesetz im Wesentlichen unverändert – und damit zahnlos. So drohten noch 2015 all jenen, die Wetten ohne Bewilligung der Landesregierung anboten, lediglich Geldstrafen von „bis zu 280 Euro".

Nach dem Automaten-Verbot wurde das Problem akut – und eine weitere Schwäche des Gesetzes offensichtlich. „Aufgefallen ist es mir erst in meinem Wohnbezirk als zwei neue Wettlokale aufgemacht haben und ich mir gedacht habe: Die habe ich gar nicht genehmigt, wie gibt es das eigentlich?", sagt Sima. Das Problem: Laut Gesetz reichte eine „Gewerbeberechtigung für die Vermittlung von Wettkunden" aus einem anderen Bundesland, um auch in Wien Wettlokale eröffnen zu können. Die meisten dieser Berechtigungen kamen aus Niederösterreich, Steiermark und Salzburg – tatsächlich wurden die Wetten von Malta oder Gibraltar aus angeboten. „Wir hatten fast 200 illegale Wettautomaten in Wien", sagt Sima. Das Schlupfloch wurde am 8. Juli 2015 geschlossen, die Höchststrafen für illegale Wettanbieter auf 22.000 Euro erhöht. Ende des Jahres soll ein verschärftes Wettgesetz folgen, das unter anderem Live-Wetten verbieten soll – sie gelten als Ersatzdroge für Automatenspieler. In Zukunft soll es zum Beispiel bei Fussballspielen nicht mehr möglich sein, auf den nächsten Eckball oder den Pausenstand zu setzen, sondern nur auf das Endergebnis.

Das strengere Wettgesetz wird auch Novomatic treffen. Über das Tochterunternehmen Admiral Sportwetten betreibt der Glücksspielkonzern 186 Wettlokale in Wien. „Wir begrüßen grundsätzlich eine klare und strenge gesetzliche Regelung dieses Bereiches, da sie auch effektiven Jugend- und Spielerschutz ermöglicht. Es darf allerdings zu keiner Überregulierung kommen", kommentiert das Unternehmen die geplante Gesetzesänderung. In der Zwischenzeit geht das Spiel für Novomatic auf anderer Ebene weiter.

Machtverschiebung bei Casinos

Nachdem Finanzminister Hans Jörg Schelling (ÖVP) im März 2015 beginnt die staatlichen Beteiligungen an den Casinos Austria neu zu ordnen, entwickelt sich ein Bieterkampf um den Glücksspielkonzern – auch Novomatic will Anteile. Die Verhandlungen laufen hinter den Kulissen, wenig dringt nach außen. Eine Chronologie der Ereignisse anhand der Medienberichte der vergangenen Monate: