In Kooperation mit dem Wirtschaftsmagazin Eco des ORF
Julia Eckhart zieht einen plakativen Vergleich. »Man stelle sich vor, Drogenhändler würden damit beginnen, offen Kokain in Österreich zu verkaufen«, schreibt die Rechtsanwältin an den Obersten Gerichtshof (OGH).
Und weiter: »Die Kokainhändler würden ihre Einnahmen aus den Kokainumsätzen und -gewinnen ordnungsgemäß versteuern, sodass der Staat am Kokainhandel ordentlich mitverdient, und der Staat würde keinerlei repressive Maßnahmen ergreifen, um den Kokainhandel und die damit verbundenen Gefahren zu unterbinden. Wäre das nicht absurd? Würde man dem Staat nicht vorwerfen, er mache sich mitschuldig?«
Genau das hält Eckhart der Republik in Zusammenhang mit illegalem Online-Glücksspiel in Österreich vor. Seit 2019 vertritt die Grazer Anwältin einen Spieler, der in einem verbotenen Onlinecasino viel Geld verloren hat.
30.150 Euro verspielte Eckharts Mandant nur von Jänner bis Februar 2019, und zwar bei Bet at Home. Jahrelang hatte Bet at Home auf seiner Website neben Sportwetten, für die das Unternehmen eigentlich bekannt ist und viel wirbt, ein Onlinecasino in Österreich angeboten.
So wie viele illegale Betreiber berief man sich auf eine Glücksspiellizenz aus Malta. Damit zog man das hierzulande geltende Monopol in Zweifel, stellte sich über das Gesetz und bot seine Glücksspiele trotzdem an, obwohl das in Österreich nur die Lotterien mit Win2day dürfen.
Seit der OGH 2021 in einem richtungsweisenden Urteil entschieden hat, dass sich Spieler·innen ihre Verluste von den illegalen Casinos zurückholen können, fegt eine Prozesswelle durchs Land. Knapp 25.000 Verfahren führten bisher nur die großen Prozessfinanzierer, wie Recherchen von DOSSIER und Eco schon im Herbst 2023 zeigten.
Gesamtstreitwert damals: rund 440 Millionen Euro. Allein Bet at Home hatte 2021 stolze 24,2 Millionen Euro an »Rückstellungen aus Kundenklagen« in seinen Büchern stehen. Doch die Chancen sich die Spielverluste von dem börsennotierten Unternehmen zurückzuholen, sind für Eckharts Mandant verschwindend gering.
Bet at Home stellte das Casino-Geschäft 2021 in Österreich ein und schickte jene maltesische Tochterfirma in die Insolvenz, die das hierzulande verbotene Glücksspiel angeboten hatte. Deswegen nimmt die Juristin nun die Republik in die Pflicht. Denn diese sei ihrer gesetzlichen »Pflicht hinsichtlich der Ahndung des illegalen Online-Glücksspiels nicht nachgekommen«. In den ersten beiden Instanzen scheiterte Eckhart.
Das Erstgericht wies ihre Klage ab, weil es keinen Zusammenhang zwischen der von ihr vorgebrachten mutmaßlich verletzten Gesetzesnorm und dem Schaden des Spielers sah. »Es wurde daher gar nicht geprüft, ob die staatlichen Organe ihre Pflichten erfüllt haben oder nicht«, sagt Julia Eckhart zu DOSSIER.
In zweiter Instanz argumentierte das Gericht anders: Das Glücksspielmonopol würde zwar dem Schutz der Vermögensinteressen einzelner Spieler·innen dienen, dies richte sich aber nur an die Glücksspielanbieter und nicht an den Staat. Seit April 2024 ist das Verfahren mit der Geschäftszahl 1Ob 77/24s beim OGH anhängig.
Gesetzesbruch ohne Konsequenzen?
Eckhart wirft dem Finanzministerium (BMF) beziehungsweise der dort angesiedelten Finanzpolizei und den Bezirksverwaltungsbehörden vor, ihren im Glücksspielgesetz »verankerten Kontroll-, Anzeige- und Strafpflichten hinsichtlich des illegalen Online-Glücksspiels, insbesondere auch hinsichtlich der Betreiber der Seite www.bet-at-home.com, schuldhaft und rechtswidrig nicht nachgekommen« zu sein.
In anderen Worten: Weil nicht kontrolliert und bestraft wurde, sei der »Schaden in Form von Spielverlusten« überhaupt erst entstanden. Im BMF und bei der Rechtsvertretung des Bundes, der Finanzprokuratur, sieht man das anders.
In einem Schriftsatz, der DOSSIER und Eco vorliegt, führt man unter anderem aus: Das Klagsvorbringen sei »verjährt« sowie inhaltlich »unvollständig und unschlüssig«. So sieht man auch einen niedrigen Streitwert. Außerdem könne man nicht »mit überwiegender Wahrscheinlichkeit« davon ausgehen, dass die Spielverluste nicht eingetreten wären, wenn man anders vorgegangen wäre.
Denn die beklagte Partei, also die Republik, habe »zahlreiche Maßnahmen zur Verhinderung des illegalen Online-Glücksspiels« gesetzt: Medienunternehmen seien angezeigt worden, wenn sie »Werbesujets von Anbietern illegaler Online-Glücksspiele veröffentlichten«. Man überprüfe »routinemäßig in regelmäßigen Abständen« auch App-Stores auf illegale Glücksspielangebote.
Zum konkreten Fall führt die Finanzprokuratur aus: »Da bet-at-home.com über eine Lizenz der Malta Gaming Authority verfügte«, habe das BMF der Aufsichtsbehörde in Malta geschrieben, »in aufrechte und neu zu erteilende Glücksspielkonzessionen eine Vertriebsbeschränkung für Internetglücksspiele in Österreich aufzunehmen«. Auf einen Punkt geht man jedoch nicht ein: Wie oft wurde Bet at Home kontrolliert beziehungsweise bestraft?
Denn im BMF wusste man, dass Bet at Home jahrelang gegen das Gesetz verstieß.
Kontrollen? Unbekannt!
Das einstige Start-up aus Wels hat bis heute Firmensitze in Oberösterreich und zahlt hier Steuern. Bei öffentlichen Auftritten brüstete sich der Unternehmenssprecher mitunter damit, dass man mit dem Onlinecasino in Österreich mehr Geld als mit Sportwetten verdiene.
Wie etliche andere illegale Betreiber führte auch Bet at Home Abgaben aus dem illegalen Glücksspiel an das BMF ab. Und vor einigen Jahren wurde die Finanz sogar mit einer Betriebsprüfung vorstellig: Bet at Home bekam eine saftige Nachzahlung aufgebrummt, wie man im Geschäftsbericht des Konzerns nachlesen kann. Wie oft aber wurde Bet at Home vom BMF wegen illegalen Glücksspiels kontrolliert oder gar bestraft?
Bei Bet at Home ließ man eine entsprechende Anfrage unbeantwortet. Aus dem BMF heißt es knapp: Man dürfe wegen »der abgabenrechtlichen Geheimhaltungspflicht« keine Auskunft zu einzelnen Unternehmen erteilen.
Gut, und wie viele Kontrollen von mutmaßlich illegalem Online-Glücksspiel gab es in den vergangenen Jahren insgesamt?
»Online-Kontrollen können nicht gesondert ausgewertet werden«, schreibt ein BMF-Sprecher. Und warum nicht? »Die Datenbank bietet keine Möglichkeit, zwischen Übertretungen im Online- und terrestrischen Bereich zu unterscheiden, da die Tatbestände identisch sind.« Das ist spannend.
Wenn es nämlich um Kontrollen von illegal betriebenen Glücksspielautomaten geht, schafft man es durchaus, konkrete Zahlen zu liefern. So zog Finanzminister Magnus Brunner (ÖVP) im Februar 2024 eine »erfolgreiche Jahresbilanz der Finanzpolizei« und führte aus: »Waren es 2020 österreichweit noch 689 Kontrollen, so verzeichnet die Finanzpolizei 2022 316 Kontrollen sowie 385 beschlagnahmte Geräte und 2023 nur noch 282 Kontrollmaßnahmen und 435 Beschlagnahmungen.«
Wie eine Recherche im Medienarchiv zeigt, geht die Finanzpolizei seit Jahren öffentlichkeitswirksam gegen illegales terrestrisches Glücksspiel vor. Immer wieder sind Journalist·innen dabei, wenn Finanzpolizist·innen zwielichtige Lokale betreten, Automaten beschlagnahmen oder diese gar zertrümmern. Und Zeitungsberichte über Kontrollen von illegalem Online-Glücksspiel? Wir konnten keine finden.
Dabei sei »das Aufspüren illegaler Seiten im Netz leichter als von Glücksspielautomaten in irgendwelchen Lokalen mit verschlossenen Türen«, sagt Anwältin Julia Eckhart. Denn im BMF kenne man die Anbieter ohnehin – oder um bei Eckharts Vergleich zu bleiben: Man weiß, wer die »Dealer« sind, weil viele von ihnen Abgaben aus dem verbotenen Geschäft bezahlen.