Interview

„Mich wundert, dass der Staat das durchgehen lässt“

Aron Kampusch war Croupier, bis sich ein Spieler das Leben nahm. Heute behandelt er Spielsüchtige.

Glücksspiel3.8.2016 

16 Jahre lang arbeitete Aron Kampusch als Croupier für die Casinos Austria, lernte das Spiel zu kontrollieren und Spieler einzuschätzen – bis sich einer das Leben nahm. Er hatte zuvor an Kampuschs Tisch alles verloren. Der Croupier wechselte die Seiten: Heute ist Kampusch klinischer Psychologe und war unter anderem als Suchttherapeut für das Anton-Proksch-Institut in Wien tätig. Im Interview spricht er über die Wirkung und die versteckten Botschaften der Glücksspielwerbung.

Was stört Sie an Glücksspielwerbungen? 

Kampusch: Jede Werbebotschaft, die suggeriert, dass ich mir durch Spielen ein neues Leben oder eine neue Identität kaufen kann, ist abzulehnen. Zum Beispiel die klassischen Botschaften bei Lotto oder Euromillionen: Heute noch Putzfrau, und morgen wohne ich im Sheraton Plaza. 

Die Österreichischen Lotterien sagen, dass in ihren Werbungen immer ein Augenzwinkern beabsichtigt ist.

Die Auswirkungen des Spielens werden überzeichnet, aber die Werbungen suggerieren: Ich bin hässlich, aber wenn ich gewinne, bin ich schön. Ich bin einsam, aber wenn ich gewinne, dann bin ich sozial erfolgreich. Spielerschutz ist mir deshalb so wichtig, weil ich aus eigener Erfahrung weiß, was unregulierte Werbebotschaften bewirken können und wie leicht man vor allem ein süchtiges Gehirn damit beeinflussen kann.

Die Chance auf einen Gewinn ist verschwindend klein, bei Euromillionen zum Beispiel 1 zu 117 Millionen. Warum spielen Menschen trotzdem?

Spieler haben überhaupt kein Gespür für mathematische Wahrscheinlichkeiten, das hat der Homo sapiens generell nicht. Damit kann die Glücksspielindustrie sehr gut arbeiten.

In der Werbung wird die geringe Wahrscheinlichkeit gar nicht angesprochen.

Offensichtlich gehen die Unternehmen davon aus, dass für ihre Produkte etwas nicht gilt, das etwa bei Tabakwaren selbstverständlich ist: die Informationspflicht. Auf jeder Zigarettenpackung liest man „Rauchen ist gesundheitsschädigend“. Warum muss bei einer Glücksspielwerbung nicht dabeistehen „Glücksspiel ist zufallsbasiert“? Mich wundert, dass der Staat das durchgehen lässt.                                   

Pathologische Spieler würden sich wohl davon nicht abhalten lassen. Was unterscheidet Spieler von Nichtspielern?

Ein zentraler Begriff ist das „magische Denken“: Spieler interpretieren die Realität anders als Menschen, die kein Spielsuchtproblem haben. Sie glauben tatsächlich, dass sie den Ausgang eines Spiels, beispielsweise durch die Höhe des Einsatzes oder die Anzahl der gespielten Tipps, beeinflussen können. Die Werbung verstärkt dieses Denken. Die Casinos Austria haben etwa mit dem Slogan „Sind Sie ein Glückskind? Beweisen Sie es!“ geworben. Was soll ich beweisen? Dass ich den Zufall beeinflussen kann?

Gibt es noch andere Mechanismen, wie Glücksspielwerbung Spieler anspricht?

Die Werbung arbeitet sehr oft mit Glückssymbolen, dadurch wird wiederum das magische Denken ausgelöst: Eine schwarze Katze, Glücksschweine, die Zahl 13 – da muss ich gar nichts mehr dazuschreiben.

Die Österreichischen Lotterien argumentieren, dass sich niemand ernsthaft von Aberglauben leiten lässt.

Das ist für mich ein Widerspruch: Warum sollten die Anbieter viel Geld ausgeben, um mit solchen Symbolen zu werben, wenn Sie nicht daran glauben, dass sie wirken? Ein anderes Beispiel: Auf der Website eines konzessionierten österreichischen Anbieters gibt es ein Horoskop, das Ihnen je nach Sternzeichen empfiehlt, was Sie spielen sollen – als Schütze sollten Sie heute unbedingt ins Kasino gehen und Black Jack spielen, als Wassermann lieber Roulette. In den USA wäre das gänzlich unmöglich: Wenn ich dort versprechen würde, an einem Freitag den 13. hätten Sie höhere Chancen zu gewinnen, dann wäre es das gewesen. Ich möchte aber gar nicht so sehr mit den Anbietern ins Gericht gehen. Sie tun, was sie tun dürfen.

In Österreich ist Glücksspielwerbung nur vage geregelt. Im Glücksspielgesetz steht nur, dass die Anbieter dabei einen „verantwortungsvollen Maßstab wahren“ müssen.

Dieser Zustand resultiert aus einem grundsätzlichen politischen Versagen. Man kann also Glückspielbetreibern nicht vorwerfen, dass sie in einer Art und Weise werben, die ihre Umsätze erhöht, solange der Staat keine Grenzen setzt. 

Dieses Interview entstand in Zusammenarbeit mit Studierenden des Studiengangs „Journalismus und Medienmanagement” der FH Wien.