Illegal – egal

Seit Jahren zocken illegale Online-Kasinos Spieler·innen in Österreich ab. Warum und wie der Staat und selbst große Medien zu Komplizen werden.

Text Florian Skrabal – in Kooperation mit ORF Eco; Grafiken Jakob Listabarth

Glücksspiel2.11.2023 

In Kooperation mit dem ORF-Wirtschaftsmagazin Eco

Illegales Online-Glücksspiel floriert in Österreich. Eine Recherche von DOSSIER und dem ORF-Wirtschaftsmagazin Eco zeigt erstmals die Dimension des Problems. In den vergangenen Jahren sind hunderte Millionen Euro an Spielverlusten angefallen. 

Die krummen Geschäfte laufen direkt vor unser aller Augen ab: Online-Kasinos aus aller Welt bewerben ihre Angebote in den größten Medien Österreichs – obwohl hierzulande nur ein Anbieter eine Zulassung hat. Und auch der Staat spielt mit. Jährlich kassiert der Finanzminister Millionen an Abgaben aus dem illegalen Angebot.

Fünf Fakten zum illegalen Online-Glücksspiel in Österreich, die man kennen sollte.

1. Die Dimension: 440 Millionen Euro

Österreich hat ein Glücksspielproblem. Recherchen von Eco und DOSSIER erlauben erstmals eine Annäherung an das Ausmaß des finanziellen Schadens, der durch illegales Online-Glücksspiel entsteht.

Dafür haben wir Daten der zehn größten Prozessfinanzierer angefragt und ausgewertet. Prozessfinanzierer sind Unternehmen, die im Auftrag von Spieler·innen Spielverluste zurückfordern und mitunter auch Gerichtsverfahren vorfinanzieren. Im Gegenzug erhalten sie einen Anteil, um die 30 Prozent des Streitwerts, wenn sie gewinnen. 

Eco und DOSSIER haben den Firmen zugesichert, ihre jeweiligen einzelnen Fallzahlen nicht offenzulegen. Insgesamt berichten die Prozessfinanzierer von knapp 25.000 Verfahren, die sie seit 2019 entweder bereits durchgefochten haben oder zurzeit für Klient·innen führen. Der Streitwert der Verfahren liegt insgesamt bei rund 440 Millionen Euro. Bisher wurden davon nach Angaben der Prozessfinanzierer knapp 194 Millionen Euro von den illegalen Glücksspielanbietern zurückbezahlt. 

2. Juristisch glasklar

Nur die wenigsten Fälle gingen verloren, berichten die Prozessfinanzierer unisono. Das liegt daran, dass die Sache juristisch glasklar ist. Auch wenn illegale Glücksspielunternehmen gern etwas anderes behaupten und mit ausländischen Lizenzen argumentieren, ist Online-Glücksspiel in Österreich streng geregelt.

»Anbieter von Online-Glücksspielen, die über keine Konzession nach dem österreichischen Glücksspielgesetz verfügen, üben ihre Tätigkeit in Österreich gesetzwidrig aus«, ist auf der Website des Obersten Gerichtshofs bei einem richtungsweisenden Urteil zu lesen. Daher seien »die von ihnen mit österreichischen Spielern abgeschlossenen Glücksspielverträge unwirksam und der Spieler hat Anspruch auf Rückerstattung seines Einsatzes«. 

In Österreich darf laut Gesetz nur ein Unternehmen Online-Glücksspiel anbieten: die Österreichische Lotterien GmbH mit ihrer Website win2day.at. Egal ob Online-Roulette, Online-Poker oder Online-Slots – jedes andere Glücksspielangebot, das Menschen hierzulande über das Internet erreicht, ist illegal. 

3. Die Werbemillionen

Trotzdem schaffen es Online-Kasinos aus Österreich und aller Welt, ihr hierzulande verbotenes Geschäft unters Volk zu bringen. Mit maximaler Reichweite. Mit Werbung zur Primetime. Mit Inseraten und »Geschichten« in Zeitungen. 

Eine DOSSIER zugespielte Erhebung der Bruttowerbeausgaben von »Anbietern mit aktivem Glücksspiel- und/oder Sportwettenangebot« durch das Marktforschungsunternehmen Focus zeigt: Mit 6,5 Millionen Euro Bruttowerbewert schaltete Lottoland in diesem Jahr bisher am meisten Werbung in Österreichs Medien – sogar mehr als der einzige legale Anbieter von Online-Glücksspiel, Win2day.

Lottoland ist die Marke eines Unternehmens mit Sitz auf Malta. Im Juli 2023 »berichtete« die Wirtschaftsfachzeitung Medianetin einem lobhudelnden Artikel: »Hierzulande ist Lottoland im Jahr 2014 eingestiegen. Das Unternehmen gehört mittlerweile bereits zu den führenden Anbietern und möchte nun noch fokussierter in den österreichischen Markt investieren.« 

Auch auf krone.at finden sich redaktionelle »Berichte«, die nicht als Werbung gezeichnet sind, sich aber wie solche lesen. Ein Auszug aus einem Artikel, der im Oktober 2023 erschienen ist: »Dank Lottoland kann nun in Österreich an der beliebten US-Lotterie teilgenommen werden. Dafür ist lediglich eine Registrierung auf der Plattform notwendig.« 

Oder ein anderes Beispiel aus dem November 2021: »Das Mitspielen bei der ›dicken‹ spanischen Weihnachtslotterie El Gordo ist auch von Österreich aus ganz einfach. Seriöse Plattformen wie Lottoland bieten eine limitierte Menge der begehrten Lose an«, heißt es damals auf krone.at.  

Auf Anfrage schreibt eine Lottoland-Sprecherin, das Unternehmen vermarkte in Österreich »hauptsächlich Sportwetten«. Und weiter: »Grundsätzlich können Spieler aus Österreich aber auch an unserem Lotterie- und Kasinoangebot teilnehmen.« Aus Sicht von Lottoland sei das österreichische Glücksspielgesetz »nicht EU-rechtskonform«. 

Man verfüge über eine Lizenz der maltesischen Glücksspielbehörde. »Wir möchten auch anmerken«, so die Sprecherin, »dass wir sowohl für unser Sportwetten- als auch für unser Glücksspielangebot in Österreich die vorgesehenen Steuern bezahlen, auch wenn wir hierzulande keinen eigenen Standort betreiben.« Das ist kurios.

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4. Der Finanzminister kassiert mit

Obwohl Online-Glücksspiel in Österreich – bis auf die Ausnahme von Win2day – illegal ist, setzen Unternehmen wie Lottoland hierzulande Millionen damit um. Die illegalen Anbieter zahlen dafür tatsächlich Abgaben an den Staat – und zwar nicht wenig. 

Die Höhe der Abgaben geht aus der Beantwortung einer parlamentarischen Anfrage der Neos-Abgeordneten Stephanie Krisper hervor. Ende Juni 2023 legte Finanzminister Magnus Brunner (ÖVP) dem Parlament gegenüber offen, dass in drei Jahren (2020–2022) insgesamt rund 233 Millionen Euro an »selbstberechneter Glücksspielabgabe« bezahlt wurden. 

Finanzminister Brunner führt weiter aus: »Sämtliche Abgaben nach dem Glücksspielgesetz sind Selbstberechnungsabgaben.« Die Unternehmen seien verpflichtet, selbst die Abgaben zu berechnen und zu entrichten. Da bleibt nur Vertrauen.

Da die Anbieter illegal sind, sind sie auch nicht an das Bundesrechenzentrum angeschlossen. Also lassen sich ihre Angaben – oder besser gesagt: die Bemessungsgrundlage für die bezahlten Abgaben – nicht überprüfen. 

5. Türöffner Sportwette

Und was hat das alles mit Sportwetten zu tun? Viel. Wie DOSSIER in seiner aktuellen Ausgabe »Sportwetten – ein unsportliches Geschäft« berichtet, nutzen illegale Anbieter die in Österreich legale Sportwette, um Spieler·innen auf ihre Websites zu bringen. Und dort warten dann neben dem Sportwettenangebot Online-Kasinos – nur einen Klick entfernt, wie diese Screenshots veranschaulichen.

TV-Tipp:
Am 2. November 2023 strahlt der ORF um 22.30 Uhr ein Eco Spezial aus: »Illegales Online-Glücksspiel: Wie Spieler abgezockt werden und der Staat zuschaut«. Die Sendung wird am 3. November um 2.25 Uhr sowie am 6. November um 11 Uhr wiederholt und ist bis 8. November in der ORF-TVthek abrufbar. Schauen Sie rein!

Wie Glücksspiele und Sportwetten miteinander verstrickt sind, davon konnte man sich im Juli 2021 im Rahmen einer Podiumsdiskussion zum Sponsoring der Glücksspielindustrie ein Bild machen. Bis heute ist ein Video der Diskussion im Internet abrufbar

Claus Retschitzegger, Konzernsprecher von Bet at Home und Präsident der Österreichischen Vereinigung für Wetten und Glücksspiel, erklärte damals:

»Man muss wissen, dass Anbieter wie Interwetten, Bet at Home oder Bwin oder auch alle anderen in Österreich bekannten ja nicht nur die Sportwette anbieten, sondern natürlich auch andere Produkte wie Online-Kasino oder -poker.« Der Anteil der Online-Kasinos mache bereits mehr als die Hälfte des Gesamtertrags der Unternehmen aus. »Das heißt, dieser Bereich ist für uns extrem wichtig«, so Retschitzegger. 

Auch der einstige Interwetten-Sprecher Stefan Sulzbacher pflichtete bei: »Derzeit haben wir schon eine Quersubventionierung vom Kasinobereich rüber in die Sportwette.«