Text: Eja Kapeller
Mitarbeit: Christine Grabner, Magdalena Willert
Illustration: Ūla Šveikauskaitė
Eigentlich, sagt Christoph Skudnigg, hätte ihm dieser Fehler nicht passieren dürfen. Als Allgemeinmediziner in einer Wiener Lehrpraxis hatte er bereits viele Diabetiker·innen behandelt. Er kennt Symptome und Therapien, er weiß, was zu tun ist. Bis eine Afghanin mit erhöhten Blutzuckerwerten in die Ordination kommt und der junge Arzt sein Wissen plötzlich nicht mehr anwenden kann.
Er versteht die Frau nicht und sie ihn nicht. Mit Google Translate stößt Skudnigg bei der Anamnese bald an die Grenzen. Was ihm zur Diagnose bleibt, ist ein Zettel, den die Frau mitgebracht hat. Darauf steht in Handschrift: »Blutzuckerwert 400 mg/dl.«
Ab einem Zuckeranteil von über 250 Milligramm pro Deziliter Blut wird es gefährlich. Es kann zu Bewusstseinstrübungen bis hin zum lebensgefährlichen diabetischen Koma kommen. In der Ordination misst Skudnigg den Blutzucker bei seiner Patientin erneut: Er ist erhöht. Mit den wenigen Informationen, die er hat, muss er eine Entscheidung treffen.
Er verschreibt Metformin, ein blutzuckersenkendes Medikament, und überweist die Patientin in eine Spezialambulanz. Dort setzen die Ärzt·innen die Medikation fort. Nachdem die Werte der Patientin bei Kontrolluntersuchungen weiterhin hoch sind, erhöht Skudnigg die Dosis nach den Leitlinien. Was er nicht weiß: Damit gefährdet er die Gesundheit seiner Patientin.
Nach Wochen kommt die Frau zur Kontrolle und klagt über Beschwerden. Mit Gesten signalisiert sie, dass ihr übel und schwindelig sei. Erst da bemerkt Skudnigg, dass er und die Ärzt·innen im Spital etwas übersehen haben: Die Frau nahm eine Zeitlang auch Kortison ein. Ein anderer Arzt hatte es ihr verschrieben. Der Wirkstoff hebt den Blutzuckerspiegel kurzfristig an. Durch die Behandlung mit Metformin wurde die Patientin künstlich in eine Unterzuckerung versetzt.
»Medizinisch gesehen ist das glimpflich ausgegangen«, sagt Skudnigg. »Es hat mich aber nächtelang schlecht schlafen lassen. Ich habe mich gefragt, ob das bei einem Patienten, der besser Deutsch spricht, auch passiert wäre.« Wohl nicht.
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