Prima, Primär!

Das Modell der Zukunft heißt Primärversorgungseinheit. Was ist das überhaupt, und woran scheiterte es bisher? Ein Überblick.

Gesundheit25.3.2022 

Text: Eja Kapeller, Ashwien Sankholkar, Florian Skrabal
Illustration: S. R. Ayers

Hinter dem sperrigen Namen soll die eierlegende Wollmilchsau der Gesundheitspolitik stecken: Mit den Primärversorgungseinheiten (PVE) will man viele Probleme des österreichischen Gesundheitswesens lösen – seine Spitalslastigkeit, die Präventionslücken und nicht zuletzt auch den Ärzt·innenmangel in der Kassenmedizin. Und zwar so:

  • Der Erstkontakt mit Österreichs Gesundheitswesen erfolgt in der Regel in Spitalsambulanzen oder bei Einzelkämpfer·innen: den Hausärzt·innen in ihren Einzelordinationen. In PVE ist das anders. Dort arbeitet ein Team aus mindestens drei Allgemeinmediziner·innen, unterstützt von Diplomierten Gesundheits- und Krankenpfleger·innen und Praxismanager·innen. Bei Bedarf können weitere Berufsgruppen hinzugezogen werden: etwa Geburtshelfer·innen, Psycholog·innen, Diätolog·innen oder Sozialarbeiter·innen.
  • Dafür stehen verschiedene Organisationsformen zur Verfügung: Versorgungsnetzwerke, Gruppenpraxen oder Gesundheitszentren. Sie sollen folgende Vorteile bringen: längere Öffnungs- und kürzere Wartezeiten, eine umfassende Krankenbehandlung, koordinierte Versorgungswege für chronisch kranke Menschen.
  • Mit einem angepassten Honorierungssystem will man in PVE fördern, was bisher zu kurz kam: Prävention, Gesundheitsförderung, effektive und effiziente Leistungserbringung im niedergelassenen Bereich. Um das zu unterstützen, können neben Einzelleistungen und Pauschalen auch Bonuszahlungen für das Erreichen vereinbarter medizinischer Ziele abgerechnet werden. Wie genau das ausgestaltet ist, unterscheidet sich jedoch von Bundesland zu Bundesland.
  • Eine weitere langjährige gesundheitspolitische Forderung wird in PVE erfüllt: jene nach Daten und Evidenzbasierung. PVE sind verpflichtet, Diagnosen zu dokumentieren und an die Sozialversicherung zu übermitteln. Das soll es in Zukunft möglich machen, die Qualität der Versorgung zu messen. Im niedergelassenen Bereich ist das derzeit nur über Umwege möglich.
  • Letztlich sollen PVE den Beruf der niedergelassenen Hausärzt·innen attraktiver machen: weniger Bürokratie, das übernehmen die Praxismanager·innen. Mehr Teamarbeit und Zeit, sich auf ärztliche Kernkompetenzen zu konzentrieren. Die Praxis muss nicht auf eigene Rechnung geführt werden, Ärzt·innen können sich anstellen lassen – geregelte Arbeitszeiten inklusive.

Aus Sicht der Patient·innen sind PVE eine tolle Sache. Bei den niedergelassenen Ärzt·innen sind die Meinungen geteilt. Für die meisten ist es wohl ein Kulturschock. Um PVE erfolgreich zu führen, ist vor allem Teamwork gefragt.

Das erste Primärversorgungszentrum, das PHC Medizin Mariahilf, entstand aus einer Gruppenpraxis, wo sich die Ärzt·innen – darunter Ex-Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein – viele Jahre kannten und einander vertrauten. Die Alteingesessenen sind meistens Einzelkämpfer·innen und haben deshalb wenig Erfahrung darin, ein multiprofessionelles Team zu führen.

Platzhirsche fürchten Konkurrenz und die wirtschaftlichen Konsequenzen. Wegen längerer Ordinationszeiten könnten Patient·innen von Hausärzt·innen zu PVE abwandern. Die Folge: Investitionen in Einzelordinationen könnten sich nicht mehr rechnen, die Ablösesummen bei einer Praxisweitergabe sinken.

Um die Einführung von PVE zu bremsen, wurde daher lange auf Zeit gespielt – mit Unterstützung der Ärztekammer als Blockiererin. Darum liegt das 2017 gefasste Ziel – 75 PVE bis 2021 – bis heute in weiter ­Ferne. Derzeit gibt es 33 PVE in Österreich.

Arbeiten auf Augenhöhe und im Team ist vermutlich für viele alteingesessene Allgemeinmediziner·innen ungewohnt. In den PVE geben weiterhin Ärzt·innen den Ton an. Das hat die Kammer durchgeboxt. »In als Gruppenpraxen geführten Primärversorgungseinheiten (konnten) nur Ärztinnen und Ärzte Gesellschafterinnen oder Gesellschafter sein«, stellte der Rechnungshof im September 2021 fest.

Pfleger·innen sowie Vertreter·innen anderer Gesundheitsberufe, etwa Psycholog·innen und Psychotherapeut·innen, als PVE-Mitgesellschafter·innen? Eher aussichtslos.

Trotzdem: Junge Ärzt·innen lassen nicht locker. Geregelte Arbeits- und Urlaubszeiten sind ihnen wichtiger als eine eigene Ordination. Die eier­legende Wollmilchsau verbessert auch ihre Work-Life-Balance.

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