Update vom 1. August 2025
Gesundheitskasse prüft Gynäkologen
In der Frauenarzt-Affäre schaltet sich nun die Österreichische Gesundheitskasse (ÖGK) ein. »Ich habe die mediale Berichterstattung verfolgt und den Auftrag erteilt, den Vorwürfen nachzugehen«, sagt ÖGK-Obmann Andreas Huss gegenüber DOSSIER. »Ich lasse prüfen, ob eine Kündigung des Vertrags mit dem Frauenarzt gerechtfertigt beziehungsweise möglich ist.« Die Kündigung eines Kassenvertrags sei »nicht einfach«, denn die Ärztekammer hat ein gewichtiges Wort mitzureden. Huss: »Die Ärztekammer muss feststellen, ob das Verhalten des Frauenarztes das Standesansehen verletzt.«
Doch nicht in allen Fällen ist die ÖGK auf die Zustimmung der Ärztekammer angewiesen, um einen Kassenvertrag zu kündigen. Über die elektronische Leistungsinformation (LIVE) können sich Versicherte informieren, welche medizinischen Leistungen ihr·e jeweilige·r Ärzt·in der ÖGK in Rechnung gestellt hat. Nicht zuletzt dieser Umstand könnte den umstrittenen Gynäkologen den Job kosten. Denn »wenn einer Ärztin oder einem Arzt nachgewiesen werden kann, dass Leistungen verrechnet wurden, die nicht gerechtfertigt waren oder im schlimmsten Fall gar nicht erbracht wurden«, sagt ÖGK-Obmann Huss, kann die Gesundheitskasse auch selbst tätig werden. »Das wäre Betrug an der Gemeinschaft der Beitragszahler·innen und würde die Kündigung des Kassenvertrags rechtfertigen.«
Auf dem Prüfstand stehen beispielsweise die Verrechnung von Schwangerschaftstests, PAP-Abstrichen zur Krebsvorsorge, Ultraschall-Untersuchungen oder Beratungen zum Thema Abtreibung. »Wir überprüfen auch Doppelverrechnungen, also wenn eine Leistung sowohl der Patientin privat in Rechnung gestellt als auch zusätzlich der ÖGK verrechnet wurde«, sagt Huss. Er rät Patient·innen, online und via LIVE die verrechneten Leistungen zu kontrollieren und sich bei Auffälligkeiten zu melden.
Die DOSSIER-Story »Freibrief für den Frauenarzt« hat die Politik alarmiert. »Wir sind über die im Artikel dargestellten Vorwürfe zutiefst schockiert«, heißt es in einer schriftlichen Stellungnahme des Gesundheitsministeriums an DOSSIER. »Gynäkologische Ordinationen müssen sichere Orte für Frauen sein – Orte, an denen sie sich respektiert und geschützt fühlen können. Wenn sich die Vorwürfe bestätigen, ist das in jeder Hinsicht untragbar und muss Konsequenzen haben. Einzelfälle wie dieser dürfen nicht das Vertrauen in einen ganzen Berufsstand beschädigen.«
Das Gesundheitsministerium werde den konkreten Fall unter die Lupe nehmen. »In unserer Funktion als Aufsichtsbehörde über die Österreichische Ärztekammer haben wir sofort die Disziplinarakten zu diesem Fall angefordert. Wir werden diese sorgfältig prüfen«, schreibt das Ministerium. »Sollte sich bestätigen, dass hier seitens der Disziplinarbehörde Versäumnisse vorliegen sollten, werden wir umgehend die Herstellung des gesetzeskonformen Zustands seitens der zuständigen Stellen einfordern.«
»Handlungsbedarf bei der Berichtspflicht«
Das Ministerium will darüber hinaus für mehr Transparenz bei Disziplinarverfahren sorgen: »Wir sehen Handlungsbedarf bei der Berichtspflicht der Ärztekammer gegenüber dem Gesundheitsministerium. Schon vor Bekanntwerden dieses konkreten Falles war geplant, den jährlichen Disziplinarbericht an das Ministerium umfassender zu gestalten, was nun zügig umgesetzt wird.« Bereits im März 2025 hatte der Rechnungshof einen Bericht veröffentlicht, in dem er Verbesserungspotenzial bei der Aufsicht über die Ärztekammern sieht.
Auch der Beschwerdeprozess für Patient·innen soll erleichtert werden. »Wir arbeiten an einer öffentlich zugänglichen Informationsseite auf der Website des Sozialministeriums. Diese soll Betroffenen eine erste Orientierung geben: Wie funktioniert der Beschwerdeweg? Wo bekomme ich Hilfe? Welche Stellen sind zuständig?«, heißt es in der Stellungnahme. Beschwerden von Patient·innen müssen ernst genommen werden, denn: »Solche Vorfälle verunsichern Patient·innen, werfen ein schlechtes Licht auf viele, die verantwortungsvoll handeln, und belasten ein Gesundheitssystem, das gerade jetzt unter großem Druck steht – ein System, das auf Vertrauen und Verlässlichkeit angewiesen ist.«
Tatsächlich laufen Meldungen von Missständen Gefahr, im Behördendickicht verloren zu gehen. So sind im Fall von Problemen mit Kassenärzt·innen in Wien viele verschiedene Stellen zuständig: der Disziplinarrat der Österreichischen Ärztekammer, die Schieds- und Schlichtungsstelle der Ärztekammer für Wien, der Patient·innenombudsmann der Ärztekammer für Wien, die Wiener Pflege- und Patient·innenanwaltschaft der Stadt Wien sowie die jeweilige Ombudsstelle der Österreichischen Gesundheitskasse, der Sozialversicherung der Selbständigen und der Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter, Eisenbahnen und Bergbau. Auch die Kundenservicestellen der Sozialversicherer beziehungsweise der Krankenfürsorgeanstalt der Stadt Wien können bei Problemen mit Kassenärzt·innen kontaktiert werden.
Ein weiteres Problem: der fehlende Austausch zwischen den Stellen, weshalb Anzeigen teilweise wegen mangelnder Zuständigkeit ad acta gelegt werden. Die Errichtung einer zentralen Stelle, bei der sämtliche Beschwerden zusammenlaufen und gespeichert werden, wird derzeit im Gesundheitsministerium diskutiert.
