Krank vor Gericht

Eine Long-Covid-Patientin klagt erfolgreich auf Berufsunfähigkeit. Der Fall könnte nicht nur Folgen für Gesundheits- und Sozialsystem haben, er zeigt auch erstmals öffentlich, wie schwer sich der Staat bisher mit dem Krankheitsbild tut.

Text: Georg Eckelsberger, Eja Kapeller; Illustration: Tom Linecker

Gesundheit18.3.2022 

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»Der Klägerin ist derzeit eine regelmäßige Arbeits­leistung nicht zumutbar«, steht im Urteil des Landesgerichts Graz vom 19. Jänner 2022. Auf den ersten Blick wirkt das wie juristische Routine. Rund 50.000 Menschen stellen jedes Jahr einen Antrag auf Berufsunfähigkeit oder das vorübergehende Rehageld bei der Pensionsversicherungsanstalt (PVA), davon zieht jede·r Vierte wegen eines abgelehnten Antrags vor Gericht.

Doch das Urteil mit der Aktenzahl 38 Cgs 167/21y-12 ist anders. Es könnte ein Präzedenzfall sein. Der Grund dafür sind zwei Wörter, die in der Entscheidung stehen: Long Covid.

Zehn- bis hunderttausende Menschen könnten in Österreich schon jetzt oder sehr bald an Long Covid leiden. Seit Beginn der Pandemie bis Anfang März 2022 gab es fast drei Millionen positive Testergebnisse, dazu kommt die Dunkelziffer. Nach Schätzungen der Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK) werden zehn bis 14 Prozent aller Erkrankten unter Spätfolgen leiden.

Wie viele genau, lässt sich nicht sagen. Wie in vielen anderen Bereichen des Gesundheitssystems ist die Datenlage schlecht. In diesem Fall liegt das nicht nur daran, dass Daten nicht ordentlich erhoben werden. Es scheitert schon am Begriff. Denn unter Long Covid wird viel gefasst, darunter fallen alle langfristigen Nachwirkungen einer Covid-19-Infektion – etwa auch Lungenschäden.

Doch um die geht es hier nicht. In dieser Geschichte geht es um jene Spätfolgen einer Covid-19-Infektion, die Wissenschaftler·innenimmeröfter mit einer anderen Krankheit in Verbindung bringen: ME/CFS oder, ausgeschrieben: Myalgische Enzephalomyelitis/Chronisches Fatigue-Syndrom. Dabei handelt es sich um eine schwere Multisystemerkrankung, die als Folge von Virusinfektionen auftreten kann – so anscheinend auch nach einer Corona-Infektion.

Hauptsymptome sind eine allumfassende Erschöpfung, die sich durch Ruhe nicht bessert, die Verschlechterung des Gesundheitszustandes durch Anstrengung (in der Fachsprache: Post-Exertional Malaise/PEM), Konzentrations- und Schlafschwierigkeiten. Dazu kommt eine Vielzahl an weiteren Symptomen.

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