Daten und Text: Jakob Kaufmann, Stefan Kocher, Peter Sim
Visualisierung: Fabian Lang
Sie leben in Völkermarkt, es ist Montag kurz vor Feierabend, der Hals kratzt schlimm und Sie brauchen eine·n Hals-Nasen-Ohren-Ärzt·in. Was tun? Genau, eine Suche im Internet.
Die Websites der Landes-Ärztekammern führen Verzeichnisse der niedergelassenen Ärzt·innen, inklusive Fachrichtungen, etwaiger Zusatzdiplome, Öffnungszeiten und der Info, ob Sie für die Behandlung bei Wahlärzt·innen bezahlen müssen oder ob die Kosten durch die Sozialversicherung zur Gänze gedeckt sind.
Von 2017 bis 2019 hat ein Team rund um die Simulationsforscher Nikolas Popper und Matthias Wastian Pionierarbeit geleistet und alle Daten der Landeskammern-Websites heruntergeladen und aufbereitet.
Damit wurde der sogenannte Versorgungsatlas erstellt, eine »Informationsplattform, die einen Überblick über das regionale ärztliche Angebot im niedergelassenen Bereich in Österreich liefert«, so die Projektbeschreibung damals.
Genau dieses Big Picture interessierte auch uns – keine einfache Angelegenheit.
Die Websites der Landeskammern sind unterschiedlich aufgebaut. Während manche Seiten detaillierte Zusatzinformationen enthalten, sind andere mit Auskünften weniger großzügig.
Hypnose auf Norwegisch von einem diplomierten Höhenmediziner? Findet man in Wien. Allgemeinmediziner·innen, die jemanden verstehen, der oder die kein Deutsch spricht? In Niederösterreich unmöglich, hier gibt es keine Angaben zu Fremdsprachen.
Über 40 Stunden dauerte es, bis wir die Daten zusammengetragen hatten. Ausgewertet war da noch nichts. Auf den kommenden Seiten haben wir die Daten analysiert und mit offiziellen Daten der Ärztekammer, der Österreichischen Gesundheitskasse und der Statistik Austria angereichert. Hier einmal nur so viel: Im Kärntner Völkermarkt müssen Sie auf einen Nachmittagstermin für Ihren Hals bis Donnerstag warten, an Vormittagen haben Sie bessere Chancen.
Akkordarbeit im Kassenbereich
Bund, Länder, Sozialversicherung und Ärztekammer legen fest, wie viele Ärzt·innen es in Österreich braucht, um die Gesundheitsversorgung im niedergelassenen Bereich sicherzustellen. Im Jahr 2009 waren 6.885 sogenannte Kassenplanstellen besetzt, 2019 nur noch 6.815. Im selben Zeitraum behandelte jede·r Ärzt·in um fast 16 Prozent mehr Patient·innen pro Quartal.
Die medizinische Kaste
Sechs Jahre dauert das Medizinstudium. Danach beginnt für die meisten die Ausbildung zum·r Allgemeinmediziner·in oder zum·r Fachärzt·in. Erstere dauert mindestens dreieinhalb Jahre, letztere mindestens sechs Jahre. Mehr als 60 verschiedene Fachrichtungen stehen bei der Fachärzt·innenausbildung zur Wahl, von der Plastischen Chirurgie bis zur Nuklearmedizin. Derzeit machen 7.285 Turnus-ärzt·innen eine dieser beiden Ausbildungen (Stand: 31.12.2020, in Vollzeitäquivalenten). Doch das war es noch nicht mit den Entscheidungen.
Als fertige Fachärzt·in oder Allgemeinmediziner·in können sie als Angestellte·r im Spital bleiben, sich mit einer Ordination selbstständig machen – oder beides. Von 9.090 Allgemeinmediziner·innen führen fast 53 Prozent eine Ordination, 13 Prozent sind gleichzeitig auch angestellt. Bei den Fachärzt·innen ist es umgekehrt: 52 Prozent sind ausschließlich angestellt.
Alle Niedergelassenen
Ehenbichler·innen sind medizinisch gut versorgt. Ein Neurologe, ein Urologe, ein Hals-Nasen-Ohren-Arzt mit Kassenverträgen und neun Wahlärzt·innen kümmern sich um das leibliche Wohl der gerade einmal 821 Einwohner·innen – Orthopäd·innen gibt es sogar zwei. Der Tiroler Ort hat damit die höchste Ärzt·innendichte aller Gemeinden Österreichs.
Auch im Spitzenfeld bei der Ärzt·innendichte liegt mit elf pro 1.000 Einwohner·innen Bad Tatzmannsdorf. Die zehn Wahlärzt·innen für Allgemeinmedizin dürften sich im größten burgenländischen Kurort jedoch hauptsächlich um die Kurgäste kümmern.
Kinderärzt·innen
Gleich zwei Kinderärzt·innen gibt es in der niederösterreichischen Gemeinde Kottes-Purk im Bezirk Zwettl. Bei nur 1.451 Einwohner·innen – weniger als 200 davon sind jünger als 14 Jahre – sind das 1,38 Kinderärzt·innen pro 1.000 Einwohner·innen.
Das ist bemerkenswert, immerhin mangelt es sonst an Kinderärzt·innen. Allerdings führen beide eine Wahlärzt·innenpraxis. Wieso das ein Problem ist, lesen Sie hier. In Graz gibt es zum Beispiel weniger als 30 Kinderärzt·innen bei mehr als 38.000 Kindern und Jugendlichen unter 14 Jahren.
Frauenärzt·innen
Die meisten Fachärzt·innen für Frauenheilkunde und Geburtshilfe pro Einwohner·in haben sich im 1. Wiener Gemeindebezirk angesiedelt. 47 sind es insgesamt, 43 davon sind Wahlärzt·innen. In der Josefstadt, dem 8. Wiener Gemeindebezirk, sieht es ähnlich aus: Von 36 Frauenärzt·innen sind 31 Wahlärzt·innen.
Die zweithöchste Frauenärzt·innendichte hat Heiligenkreuz im Lafnitztal. Im 1.262-Einwohner·innenort gibt es zwei Frauenärzt·innen für 635 Heiligenkreuzerinnen. In Österreich gibt es 1.469 Fachärzt·innen für Frauenheilkunde, fast zwei Drittel davon sind Wahlärzt·innen.
Freier Eintritt
Sucht man im Ärzt·innenverzeichnis nach Öffnungszeiten, tauchen fast ausschließlich Kassenärzt·innen auf. Bei ihnen gibt es auch Mindestöffnungszeiten. In Wien etwa muss eine Kassenordination zwei der folgenden drei Kriterien erfüllen: offene Praxis für zwei Stunden in der Früh (ab 7 Uhr), am Nachmittag (ab 13 Uhr) oder am Abend (nach 17 Uhr).
Solche Verpflichtungen gibt es bei Wahlärzt·innen nicht. Sie geben die Öffnungszeiten nur selten an, oft steht da lediglich »nach Vereinbarung«.
Insgesamt findet man Öffnungszeiten bei der Hälfte aller Einträge im Ärzt·innenverzeichnis. Die Auswertung zeigt: In Wien findet man den ganzen Tag offene Ordinationen, in den anderen Bundesländern tut man sich an den Nachmittagen oft schwer.
Besonders in Kärnten fallen viele Ordinationszeiten auf Vormittage: Während zum Beispiel am Montag um 10 Uhr 87 Prozent aller Kassenordinationen offen sind, sind es am Nachmittag um 16 Uhr nur 21 Prozent.
Gesundheit im Minutentakt
Wie lange sich Ärzt·innen pro Patient·in Zeit nehmen, weiß in Österreich niemand so genau. Es gibt allerdings eine Annäherung: Durchschnittlich wird alle 4:36 Minuten (Stand: März 2018) im niedergelassenen Bereich eine E-Card gesteckt und damit eine Leistung mit der Sozialversicherung abgerechnet.
In Niederösterreich ist die Frequenz mit unter vier Minuten am höchsten, in Kärnten mit 6:06 Minuten vergleichsweise gemächlich. Die tatsächliche Konsultation eine·r Ärzt·in ist keine Voraussetzung für so eine Steckung
Aneinander vorbeigeredet
Zumindest ist es nicht Latein. Von 18.499 niedergelassenen Ärzt·innen im Ärzt·innenverzeichnis gaben 6.688 an, eine Fremdsprache zu sprechen. Englisch, Französisch, Italienisch und -Spanisch sind die in der Ärzt·innenschaft geläufigsten Sprachen. Bosnisch, Kroatisch oder Serbisch können nach eigenen Angaben 220.
Nur 133 Ärzt·innen im ganzen Land geben an, Türkisch zu sprechen, damit sind das weniger als solche mit einem Diplom in Akupunktur in Graz. Hinweis: In Niederösterreich und dem -Burgenland gibt es keine Angaben zu Fremdsprachenkenntnissen.
Verdünnte Homöopath·innen
Während sich Verschwörungstheorien seit 2020 im Zusammenhang mit der Covid-19-Pandemie stark vermehrten, ist eine nicht-evidenzbasierte Heilpraxis am absteigenden Ast: die Homöopathie. Mitte der 1990er-Jahre entschieden sich noch mehr als 100 Mediziner·innen für dieses Zusatzdiplom, im Jahr 2020 waren es gerade einmal fünf. Doch verdünnt soll Homöopathie bekanntlich stärker wirken.
Hauptsache Bildung
Ärzt·innen sind in Österreich verpflichtet, sich laufend fortzubilden. Mit Zertifikaten und Diplomen zwischen Elektro-enzephalografie und Kneipp-Therapie ist die Richtung dabei sehr frei. Besonders geschult ist unsere Ärzt·innenschaft im Umgang mit Notfällen und Nadeln.