Der 900.000-Euro-Tipp

Der Wohlfahrtsfonds der Ärztekammer für Wien zahlte beim Grabenhof-Deal für mündliche Tipps hohe Provisionen. Der Vorgang wird nun von einem externen Gutachter untersucht.

Von: Ashwien Sankholkar

Ärztekammer  

Es war wohl einer der größten Immobiliendeals des Jahres 2021 in Österreich. Die Beamtenversicherung (ÖBV) verkaufte den Grabenhof in der Nähe der Pestsäule am Wiener Graben um 327,5 Millionen Euro. Mehr als 10.000 Quadratmeter Mietfläche im Zentrum Wiens wechselten so den Eigentümer. Die Verwunderung über den Besitzwechsel war groß.

Denn Immobilien im Premiumsegment sind international gefragt und in Wien selten am Markt. Um den Preis zu treiben, werden solche Toplagen in der Regel europaweit ausgeschrieben.

Daher war es erstaunlich, dass die ÖBV quasi unter Ausschluss der Öffentlichkeit nach Käufern suchte. Die größte Überraschung war, dass die Prime-Immobilie nicht an Investoren wie René Benko oder einen Immobilienfonds ging, sondern an den biederen Wohlfahrtsfonds der Ärztekammer für Wien (WFF). 

Die Standesvertretung ist in Wien bereits seit Jahren ein Player bei Immobilieninvestments. Doch in der 128-jährigen Ärztekammer-Geschichte stellt die Grabenhof-Transaktion einen Meilenstein dar. So viel Geld lässt die Kammer selten springen. In der Regel veranlagt der WFF äußerst konservativ und gilt als zurückhaltender Investor. 

Doch beim Grabenhof gab es mehrere Tabubrüche, wie aus DOSSIER exklusiv vorliegenden WFF-Protokollen hervorgeht: So wurde ein Kredit über 300 Millionen Euro für den Liegenschaftserwerb aufgenommen.

Außerdem freuten sich zwei Privatpersonen über insgesamt 900.000 Euro von der Kammer. Dabei handelte es sich um keine üblichen Maklerprovisionen, sondern um die Abgeltung für mündliche Tipps. Der Vorgang wird nun von einem externen Gutachter untersucht.

Skandalöse Vergangenheit

Der WFF ist für die Altersvorsorge von Wiener Ärzt·innen sowie deren Hinterbliebenen verantwortlich. In der Ärzt·innenschaft ist er wegen der hohen Pflichtbeiträge umstritten. Laut Ärztekammer müssen angestellte Mediziner·innen bis zu 14 Prozent des Bruttogehalts abliefern, und bei niedergelassenen Haus- oder Fachärzt·innen sind es bis zu 31.000 Euro im Jahr.

Zudem hat der WFF seit den Achtzigerjahren einen schlechten Ruf, weil er damals zum Sanierungsfall wurde. 

„Damals gab es viele alte Ärzte mit jungen Frauen“, erinnert sich Ärztekammer-Präsident Thomas Szekeres. Die jungen Witwen mussten aus dem WFF üppig bedient werden – und das auf Kosten der aktiven Ärzt·innen. Damals stand das WFF-System an der Kippe und konnte nur mit Krediten bzw. Solidaritätsbeiträgen aus der Ärzt·innenschaft gerettet werden.

Auch nach der Sanierung sorgte der WFF für Wirbel. Im Jahr 2011 berichtete das Nachrichtenmagazin Profil, dass „die Wiener Ärztekammer über Jahrzehnte einem Versicherungsmathematiker bewusst freihändig Aufträge zugeschanzt hat, ohne dessen Leistungen auch nur ansatzweise zu hinterfragen“.

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Heute ist der WFF zwar saniert und steinreich. Doch ein Kritikpunkt bleibt: Intransparenz. 

„Mangels schriftlicher Verträge bestanden Unklarheiten über den Auftragsumfang einzelner externer Dienstleister“, heißt es im Rechnungshofbericht über den Wohlfahrtsfonds der Ärztekammer für Wien aus dem Jahr 2011.

Die Kammer reagierte auf Kritik, allerdings gab es eine Ausnahme: „Als Reaktion auf aufgetretene Unstimmigkeiten schloss die Ärztekammer seit 2009 mit allen externen Dienstleistern (ausgenommen die Immobilienverwalter) erstmalige oder neu gefasste schriftliche Verträge ab“, so der Rechnungshof.  

Die Geschichte von Max & Moritz

Der Heimlichtuerei bei Immogeschäften blieben Tür und Tor geöffnet – bis heute. Selbst wenn es wie beim Grabenhof-Deal um gewaltige Summen geht. Laut DOSSIER-Informationen erhielten zwei Privatpersonen insgesamt 900.000 Euro für ein und denselben Tipp – und das soll sich so zugetragen haben:

Im März 2021 steckte Max Huber (Name der Redaktion bekannt, Anm.) dem Finanzdirektor der Kammer, dass die Beamtenversicherung den Grabenhof verkaufen wolle. Einen Tag später wurde der Finanzchef von Moritz Mayer (Name der Redaktion bekannt, Anm.) angerufen – und wieder ging es um den Grabenhof.

Die Ärztekammer war am Hauskauf interessiert und stand vor einem Dilemma: Wen sollte man für den Fall eines späteren Zuschlags für den Tipp bezahlen? Max oder Moritz?

Im Kammeramt entschied man sich für einen originellen Weg: Nach Unterzeichnung des Kaufvertrags im November 2021 wurden beide bezahlt. Max erhielt 500.000 Euro und Moritz 400.000 Euro. Intern wurde das nicht an die große Glocke gehängt.

Abgesehen von den Rechnungen der Tippgeber wurde wenig schriftlich dokumentiert. Denn Max und Moritz sollen nur Mündliches geliefert haben. Mit anderen Worten: Leicht verdientes Geld.

In der Privatwirtschaft kommen Tippgeber-Fees immer wieder vor. Doch zur gegenseitigen Absicherung wird in der Regel die Schriftform gewählt.

Warum das beim Grabenhof-Deal nicht geschehen ist, wird derzeit im Auftrag der Ärztekammer von einem externen Gutachter untersucht. Er soll die Tippgeber-Sache rechtlich abklopfen. Das Prüfergebnis soll bis zur nächsten Sitzung des WFF-Verwaltungsausschusses am 29. April vorliegen.

„Mündlich reicht nicht mehr“, sagt Michael Lazansky. Der seit Juni 2021 amtierende Vorsitzende des WFF-Verwaltungsausschusses wusste bis vor kurzem nichts über die teuren Telefonate vom März 2021. Lazansky: „In Zukunft werden wir strenger sein. Die Dokumentation muss schriftlich erfolgen und lückenlos sein.“

Im Gegensatz zum Kammeramt wird im Verwaltungsausschuss alles penibel dokumentiert. „Der Erwerb des Grabenhofs wurde ausführlich diskutiert und einstimmig beschlossen“, sagt Lazansky.

Zukunftsvorsorge auf Kredit

Im Vergleich zu gewerblichen Immobilienentwicklern gilt der WFF traditionell als extrem risikoscheu. Der aus 19 Ärzt·innen bestehende Verwaltungsausschuss achtet darauf, dass unnötige Risiken vermieden werden.

Doch beim Grabenhof-Deal musste alles schnell gehen, weil eine günstige Kreditfinanzierung in Aussicht war. Noch im Juni 2021 stand in der WFF-Satzung eine Obergrenze für aufzunehmende Kredite von 39,97 Millionen Euro. Die Passage wurde „aus Gründen der Rechtsklarheit gestrichen”, erklärt die Ärztekammer Wien.

Zur „Aufbringung der Mittel“ heißt es im Paragraf 9 der WFF-Satzung vom Dezember 2021: „Die Mittel, die für die dauernde finanzielle Sicherstellung der Versorgungsleistungen und Unterstützungsleistungen aus dem Wohlfahrtsfonds erforderlich sind, sind durch Fondsbeiträge der Fondsmitglieder (...), wie sie in der (...) beschlossenen Beitragsordnung festgesetzt werden, nach Maßgabe der Vorschriften dieser Satzung aufzubringen.“

Demnach sind für die Veranlagung lediglich die Pflichtbeiträge (rund 92 Millionen Euro pro Jahr) bzw. die Mieteinnahmen aus WFF-Häusern (rund 7,2 Millionen Euro) vorgesehen. Wie passt ein Großkredit über 300 Millionen Euro da hinein?

Ärztekammer-Pressesprecher Hans-Peter Petutschnig schreibt im Statement gegenüber DOSSIER: „Kreditaufnahmen des Verwaltungsausschusses gab es schon in der Vergangenheit. Rein rechtlich darf der Verwaltungsausschuss alle notwendigen zivilrechtlichen Verträge abschließen, um das Vermögen zu verwalten.“ 

Ein Goldschatz im Wohlfahrtsfonds

Das WFF-Vermögen inklusive Grabenhof liegt aktuell bei rund 1,3 Milliarden Euro, wie die Ärztekammer gegenüber DOSSIER bestätigt. In den WFF-Bilanzen 2020 waren die Wertpapiere (Aktien- und Anleihenfonds) mit 561 Millionen Euro der größte Aktivposten, gefolgt von Immobilien (rund 310 Millionen Euro) und Golddukaten (3,03 Millionen Euro).

Mittlerweile steckt mehr als die Hälfte des WFF-Vermögens in Betongold und stellt ein Klumpenrisiko dar.

Ärztekammer-Sprecher Petutschnig: „Der Wiener Wohlfahrtsfonds verfolgt seit Jahrzehnten eine Immobilienpolitik, die vorsieht, dass wir nur Liegenschaften in Wien innerhalb des Gürtels zukaufen und diese gegebenenfalls entwickeln. Als Wohlfahrtsfonds der Wiener Ärzt·innen legen wir ganz bewusst den Fokus auf Wien und beteiligen uns nicht an irgendwelchen anderen spekulativen Immobilienprojekten.“

Doch sollte eine Wohlfahrtseinrichtung überhaupt mit Immobilien spekulieren? Die Grabenhof-Bewertungen lagen im Vorjahr weit auseinander.

„Der Verkäufer, die Beamtenversicherung, hatte das Objekt mit einem Verkehrswert von 189 Millionen Euro in den Büchern“, schreibt die Tageszeitung Kurier. „Eine große Immobilienstiftung stieg als Bieter bei 200 Millionen aus.“ Zwei Angebote schafften es in die letzte Bieterrunde. 

Ein Offert kam von Jamal Al-Wazzan, dem Platzhirsch bei Luxusimmobilien in der Bundeshauptstadt. Der gebürtige Iraker zählt laut Standard zu den größten Vermietern von Geschäftslokalen in der Wiener City. Dass auch er mehr als 300 Millionen Euro geboten haben soll, will Al-Wazzan gegenüber DOSSIER nicht kommentieren. Angesichts steigender Inflationsraten und niedriger Kreditzinsen könne auch ein sehr teures Haus wie der Grabenhof mittel- bis langfristig ein profitables Geschäft sein, meint er. 

Al-Wazzan über den Grabenhof-Deal: „Sicher ist das eine Immobilienspekulation, aber eine, die zu 99 Prozent aufgehen wird.“ Die Wohlfahrtsfondsmanager rechnen nicht nur mit einer langfristigen Wertsteigerung. Auch mittelfristig soll viel Geld reinkommen.

Die günstige Finanzierung macht es möglich. Sie war auch ein wesentlicher Grund dafür, dass die Ärztekammer preislich pokern konnte. Der Kredit bei der Unicredit Bank Austria läuft über zehn Jahre und kostet weniger als ein Prozent Zinsen. Das ist extrem wenig. Weil die Geschäftsmieten wegen der Indexanpassungen in den nächsten Jahren erhöht werden, rechnet die Kammer mit steigenden Nettogewinnen. 

Schon jetzt gilt: Bei jährlichen Mieteinnahmen von über vier Millionen Euro und fixen Zinszahlungen von unter drei Millionen Euro würde dem WFF bereits im ersten Jahr mehr als eine Million Euro übrigbleiben. Damit wären dann auch die 900.000-Euro für die Tippgeber wieder drinnen.