Österreichs teuerster Schnappverschluss

Der Rüstungskonzern Airbus verrechnete Österreich Wucherpreise für Eurofighter-Ersatzteile. Der teuerste Schnappverschluss des Landes kostete rund 10.600 Euro.

von Ashwien Sankholkar

Eurofighter16.7.2019 

In der Causa Eurofighter steckt mehr Sprengstoff, als bisher öffentlich bekannt war. DOSSIER exklusiv vorliegende Verschlussakten des österreichischen Bundesheeres und der Liechtensteiner Staatsanwaltschaft erhärten den Verdacht, dass der Airbus-Konzern die Republik Österreich systematisch abgezockt hat. Dem Rüstungsriesen droht nun eine Klagslawine. 

Konkret verrechnete die Eurofighter GmbH, eine Airbus-Tochter, jahrelang Wucherpreise für billige Abfangjäger-Ersatzteile. Das im Herbst erscheinende DOSSIER-Magazin „Wer zahlt, schafft an“ wird tiefe Einblicke in unveröffentlichte Airbus-Dokumente geben und das unfassbare Justizversagen in der Causa Eurofighter beleuchten. Einen Vorgeschmack bietet die Bundesheer-Verschlussakte „Flush Latch“.

Der Flush-Latch-Wucher 

Als Flush Latch (mitunter auch Flush Catch) wird in der Ersatzteildatenbank des Bundesheeres ein spezieller Verschlusstypus bezeichnet: ein circa zehn Zentimeter langer, acht Zentimeter breiter Schnappverschluss zur Verriegelung etwa von Tankdeckeln am Rumpf des Eurofighter Typhoon.

So wie bei den kleineren Schnappsystemen Assembly Latch und Thumb Latch handelt es sich beim Flush Latch um ein Bauteil, das seriell in großen Stückzahlen angefertigt wird. Kein Hochtechnologieprodukt, bei einem Defekt kann es einfach nachbestellt werden.

Dieser einfache Schnappverschluss könnte Airbus zum Verhängnis werden.

Besagter Flush Latch wurde vom US-Hersteller Hartwell im Jahr 2012 um weniger als 3.000 Euro angeboten, wie das Heeresnachrichtenamt herausfand. Italiens Luftwaffe zahlte im Jahr 2016 rund 6.000 Euro – Anbieter war Airbus. Österreichs Flush-Latch-Zulieferer, die Eurofighter GmbH, verlangte hingegen im selben Jahr rund 10.600 Euro, also ein Plus von 76,7 Prozent.

Und Eurofighter wurde immer dreister: Im Jahr 2018 forderten sie sogar rund 13.500 Euro plus Umsatzsteuer, also rund 16.200 Euro. Das grenzt an Wucher.

Zum Vergleich: Ein fabrikneuer Mittelklasse-Pkw vom Typ Škoda Fabia Ambition kostet in etwa so viel wie die kleine Jetklappe. Bei den 15 österreichischen Abfangjägern mit standardmäßig jeweils neun Flush Latches würde eine Runderneuerung aller Schnappverschlüsse mit 2,19 Millionen Euro brutto zu Buche schlagen. Die Beschaffung des Ersatzteils Flush Latch wurde 2018 jedoch auf Eis gelegt – zumindest vorerst. 

Die Ungleichbehandlung beim Verkaufspreis wurde vom Bundesheer nicht mehr stillschweigend akzeptiert; die Ersatzteilbeschaffung genauer unter die Lupe genommen. Die zentrale Frage: Werden wir von Airbus abgezockt? Ja, lautet die Antwort der internen Revision des Bundesheeres. Ihre Ermittlungen ergaben willkürliche Preiserhöhungen.

Oberst Michael Bauer, Sprecher des Verteidigungsministeriums, bestätigt die DOSSIER-Recherchen: „Die Revision untersuchte den Bereich Ersatzteillieferungen beim Eurofighter. Es wurden überhöhte Preise festgestellt. Die Finanzprokurator wurde eingeschaltet, um den Sachverhalt zivil- und kartellrechtlich zu prüfen." 

Im Raum stehen nun der Verdacht der Wucherei und verbotene Preisabsprachen zum Nachteil der Republik Österreich. Dirk Erat, Kommunikationschef von Airbus Defence and Space, will sich zu den neuen Vorwürfen in Sachen Ersatzteillieferungen nicht äußern: „Zu Ihren Fragen kann ich aus Aspekten der Vertraulichkeit keine Stellung nehmen.“

Der brisante Sideletter

Die Preistreiberei erschließt sich aus den geheimen Eurofighter-Verträgen. So sind die Verrechnungsmodalitäten im sogenannten „In-Service-Support-Vertrag-3“ (ISS-3) penibel geregelt. Der ISS-3 wurde am 18. Februar 2016 für acht Jahre abgeschlossen. Darin werden Preise und Leistungen in Einmalbeauftragungen („Standing Tasks“) und in Einzelbeauftragungen („Discrete Tasks“) unterteilt. „Für die Einmalbeauftragungen im Rahmen des ISS-3 ist vom Bundesministerium für Landesverteidigung ein Gesamtfestpreis von netto 134 Millionen Euro zu bezahlen“ (Revisionsbericht vom Mai 2019).

Bei einem Gesamtkaufpreis von 1,6 Milliarden Euro für 15 Abfangjäger und 134 Millionen Euro Pauschale wäre es naheliegend, dass alle Ersatzteile inkludiert sind. Beim Eurofighter ist das nicht so. Laut Sideletter zum ISS-3 fallen zahlreiche Ersatzteillieferungen für den Eurofighter nicht in die 134-Millionen-Pauschale, sondern in die Kategorie Discrete Tasks. Die Konsequenz: Die Eurofighter GmbH kann für jede Schraube, jeden Gummiring oder jeden Tankdeckel zusätzlich kassieren – oft zu Fantasiepreisen.

„Der Ersatzteil Flush Latch für die Eurofighter wurde erstmalig im Jahr 2015 angekauft“, heißt es im Revisionsbericht vom Mai 2019. Die Flugzeug Union Süd GmbH (FUS) und die Eurofighter GmbH legten im Jahr 2015 gleichzeitig ein Angebot. Während Eurofighter 12.329 Euro pro Schnappverschluss forderte, waren es bei FUS 5.776 Euro, also weniger als die Hälfte. Die logische Folge: „Der Kauf durch das Bundesministerium für Landesverteidigung erfolgte bei FUS.“

Wobei festzuhalten ist, dass „der Lieferant von der Firma Eurofighter GmbH, welche um 12.329 Euro angeboten hatte, die damalige EADS Deutschland war. EADS Deutschland ist zudem die Muttergesellschaft der FUS, welche um 5.776 Euro angeboten hatte.“ EADS Deutschland (heute: Airbus Defence and Space) verfügte offenbar über zwei Preislisten: eine offizielle (FUS) und eine Ösi-Liste mit Wucherpreisen. 

Die Airbus-Konzernstrategen reagierten rasch. Das Auffliegen der doppelten Listenführung sollte bizarre Konsequenzen für die Österreicher haben: Es wurde fortan noch teurer. Denn bei der Bundesheer-Bestellung im Jahr 2016 gab die Flugzeug Union Süd GmbH gar kein Angebot mehr ab. Die Eurofighter GmbH war der einzige Lieferant, und die Airbus-Manager lachten sich ins Fäustchen. Die Republik Österreich war somit gezwungen, die Schnappverschlüsse zum höheren Stückpreis von rund 10.600 Euro zu erwerben. Zitat aus dem Revisionsbericht:

Sohin hatte das Bundesministerium für Landesverteidigung für die Beschaffung von je 10 Stück Flush Latch bei der Flugzeug Union Süd GmbH im Jahr 2015 gesamt 72.200 Euro für Ware inklusive Steuer und Nebenkosten und bei der Eurofighter GmbH im Jahr 2016 gesamt circa 127.926 Euro zu zahlen. Das heißt, dass durch den Entfall der Möglichkeit, direkt beim Zwischenhändler FUS zu kaufen, der Preis um circa 77 Prozent stieg. Der Nettostückpreis erhöhte sich um 85 Prozent.

Die Airbus-Manager liebten es offenbar, die Österreicher auszunehmen. Ihre Angebote wurden unverschämter, die Ersatzteile zunehmend teurer. „Das vorliegende Angebot von der Eurofighter GmbH vom November 2018 bedeutet gegenüber dem Preis vom Herbst 2016 nochmals einen Anstieg um circa 27 Prozent“, heißt es im Revisionsbericht vom Mai 2019. Die Preisschraube wurde Jahr für Jahr nach oben gedreht, obwohl die Kosten für Material und Herstellung konstant blieben. Pikant: Der Flush Latch wird nicht von Airbus, sondern vom US-Rüstungskonzern Hartwell produziert. Die FUS ist nur ein Zwischenhändler.

Im perfiden Spiel der Airbus-Manager wurde die Republik Österreich auf unterschiedlichen Ebenen gemolken. Im Revisionsbericht liest sich das so: „Zu beachten ist, dass bei Ersatzteilen – wie der Flush Latch – nicht nur der von Eurofighter festgesetzte Preis zu zahlen ist. Eurofighter GmbH verrechnet zusätzliche Levi-Kosten. Hier ist das Verfahren Supply Logistic Services SLS anzuwenden. Für die Versorgung mit Ersatzteilen ist eine Administrationspauschale von 17,6 Millionen Euro vereinbart.“  

Die Abzocke im Klartext: Die Republik zahlte 134 Millionen Euro Pauschale für die Lieferung von Spezialersatzteilen. Dennoch kassierte Eurofighter Wucherpreise für häufig kaputtgehende Komponenten. Bei diesen Einzelbestellungen schlug die Eurofighter GmbH zusätzlich Verwaltungskosten drauf, obwohl zuvor 17,6 Millionen Euro pauschal für Administrationsdienste eingehoben wurden. Aus Sicht der Heeresjuristen sollte die willkürliche Preisgestaltung auch einer strafrechtlichen Prüfung unterzogen werden. Doch das entscheidet die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA).

Die geforderte Justiz

Die kämpft zusehends mit sich selbst. Zur Erinnerung: Im Zentrum des aktuellen Konflikts steht eine vertrauliche Dienstbesprechung vom 1. April 2019, wo Staatsanwälte und Ministerialbeamte in großer Runde die Vorgangsweise im seit 2011 laufenden Eurofighter-Strafverfahren diskutierten. In dieser Sitzung verhärteten sich die Fronten.

Die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft wollte alle Schmiergeldspuren, etwa auch in Richtung von Ex-Finanzminister Karl-Heinz Grasser (FPÖ), Ex-Verteidigungsminister Herbert Scheibner (FPÖ/BZÖ) und Alfons Mensdorff-Pouilly – dem Ehemann von Ex-VP-Gesundheitsministerin Maria Rauch-Kallat –, genauer untersuchen und die bis Ende 2018 von der Wiener Schwesterbehörde geführten Ermittlungen einer Revision unterziehen.

Strafrechtssektionschef Christian Pilnacek war dagegen: Keine neuen Ermittlungen oder Überprüfungen soll seine Vorgabe gelautet haben. Die WKStA solle auf der Ermittlungsarbeit der Staatsanwaltschaft Wien aufsetzen und im Zweifel offene Ermittlungen diskret einstellen. „Daschlogts es!“, sagte Pilnacek – und das war kein Aprilscherz.

Trotz aller Meinungsverschiedenheiten waren sich die Korruptionsjäger in einem Punkt einig: nämlich im Umgang mit der im Februar 2017 unter Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil (SPÖ) eingebrachten Strafanzeige gegen den Rüstungskonzern Airbus. Die Ermittlungen wegen Betrugs zum Schaden der Republik Österreich sollten diskret eingedampft werden.

Nach Kenntnis der Causa Flush Latch wäre das verfrüht.

Anders als die von der Justiz komplett versemmelte Eurofighter-Schmiergeldcausa, wo es auch um Geldflüsse aus Liechtenstein geht, steht der aktuelle Betrugsverdacht gegen Airbus auf solidem Fundament. Immerhin wurde die Strafanzeige im Februar 2017 von Finanzprokurator Wolfgang Peschorn eingebracht – und der weiß, was er tut.

Das diskrete Aus für die Betrugsermittlungen wäre ein Frontalangriff gegen den derzeitigen Innenminister und zuvor obersten Anwalt der Republik. Peschorn kennt die Causa Eurofighter wie seine Westentasche. Der angesehene Jurist würde wohl auch mehr Polizisten für die Soko Hermes – die Sonderkommission in Sachen Abfangjäger wurde nach dem griechischen Götterboten und Gott der Diebe benannt – zur Verfügung stellen, um die Ermittlungen zu beschleunigen.

Brigitte Tichy-Martin, Sprecherin des Justizministeriums, versucht auf DOSSIER-Anfrage zu beruhigen: „Wir haben ein erfahrenes Team, das die Causa Eurofighter aufarbeiten wird.“ Jedem Verdacht werde gewissenhaft nachgegangen – auch dem Ersatzteilwucher.

In der Causa Flush Latch wird die Finanzprokuratur ihre bislang kompromisslose Linie gegen Airbus wohl fortsetzen. Nach DOSSIER-Informationen soll bereits an einer Klagsschrift getüftelt werden. Entschieden wird freilich erst nach der Nationalratswahl. Mit Ernennung der neuen Bundesregierung wird auch Wolfgang Peschorn sein Amt als Innenminister zurücklegen und als Finanzprokurator zurückkehren – und dort die juristische Marschrichtung in Sachen Airbus vorgeben.

Der Treppenwitz zum Schnappverschluss: Die Spezialisten in der heereseigenen Fliegerwerft stellten Anfang Juli 2019 fest, dass in dem Bauteil eine Quasi-Sollbruchstelle eingebaut war. Kaputt ging immer nur eine kleine Stahlfeder. Diese wurde von der Abteilung Materialwirtschaft des Materialstabs Luft zur metallurgischen Untersuchung geschickt. Das Ziel: eine Feder nachzufertigen, um damit die defekten Verschlüsse zu reparieren.

„Nach Aussage der Abteilung Materialwirtschaft des Materialstabs Luft stellt der Austausch dieser Feder kein Problem dar“, heißt es im Revisionsbericht des Heeres. Im Vergleich zum Flush Latch wäre die Spiralfeder auch billiger – ihr geschätzter Stückpreis: 10 Euro.