Warum ist die österreichische Bevölkerung weiter als die Politik, wenn es um Cannabis geht?
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Drogen

Warum ist die österreichische Bevölkerung weiter als die Politik, wenn es um Cannabis geht?

Die ÖVP ist zum Beispiel dafür, dass die Kosten für medizinisches Cannabis zukünftig gänzlich von der Krankenkasse übernommen werden. Aber sagen möchte sie das nicht.

Dieser Artikel ist Teil unseres Schwerpunkts zum Thema Cannabis in Österreich, den Dossier und VICE zusammen gestartet haben, um einen sachlichen Beitrag zu einer Debatte zu leisten, die in Österreich meist sehr emotional geführt wird.

Eine Partei kommt in Österreich wunderbar leicht darum herum, sich zum Thema Cannabis äußern zu müssen.

Das zeigte etwa der ehemalige Vizekanzler Reinhold Mitterlehner, als er 2014 schlicht sagte: "Ich sehe keine Notwendigkeit, in diese Debatte einzusteigen". Und die gab es aus politischer Sicht tatsächlich nicht. Die ÖVP hätte nur verlieren können. Doch die neue ÖVP ist für einen leichteren Zugang zu medizinischem – auch bisher nicht erlaubtem natürlichem – Cannabis. Und auch dafür, dass die Kosten von der Krankenkasse übernommen werden. Im Wahlprogramm steht das allerdings nicht. Stattdessen wird gefordert, dass Dealen mit harten Drogen in jedem Fall mit Freiheitsentzug bestraft werden soll. Cannabis ist hier durch das "harte" exkludiert, wird aber selbstverständlich nicht extra erwähnt.

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Die SPÖ vertritt überraschenderweise eine viel härte Drogenpolitik: Kein natürliches Cannabis für medizinische Zwecke, der Zugang soll nicht erleichtert und die Kosten sollen nicht von der Krankenkasse übernommen werden. Doch nach Außen werden diese Positionen kaum transportiert.

"Ich sehe keine Notwendigkeit, in diese Debatte einzusteigen." - Reinhold Mitterlehner

Drogenpolitik wird von Österreichs Parteien kaum diskutiert – und wenn, dann alles andere als sachlich. Von den Haschtrafiken im Wahlkampf zur Nationalratswahl 2002, die von der ÖVP erfunden wurden, um das Horrorszenario einer grünen Regierungsbeteiligung zu zeichnen, über die Forderung des LiF zu einer liberalen Drogenpolitik, bis hin zur Mitgliederversammlung der NEOS 2014, die sich der Parteichef etwas anders vorgestellt hatte.

Doch die Debatte muss geführt werden. Nur weil offensichtliche Probleme totgeschwiegen werden, verschwinden sie nicht automatisch. Denn wie man Cannabiskonsum und seine Kriminalisierung auch betrachten möchte: Einerseits wird Patientinnen und Patienten der Zugang zu Medikamenten erschwert, andererseits befinden sich aufgrund der derzeitigen Gesetzeslage 30 bis 50 Prozent (also bis zu 4,5 Millionen) der Österreicherinnen und Österreicher in der Illegalität – oder zumindest nicht in der Legalität.

Und es muss die Frage gestellt werden können, wie ein Staat mit dieser Tatsache umgehen möchte und kann. Denn die Bevölkerung kifft – ob das den Parteien nun politisch gelegen kommt, oder nicht. Und weil der Diskurs auf parteipolitischer Ebene kaum möglich ist, muss er in der Bevölkerung geführt werden. Es gibt Veränderungen, die von unten kommen müssen, Meinungen, die erst in der Bevölkerung mehrheitsfähig sein müssen, um auch in der Politik eine Mehrheit finden zu können. Und dazu können Medien einen großen Beitrag leisten.

Die Bevölkerung kifft – ob das den Parteien nun politisch gelegen kommt, oder nicht.

Und genau daher gibt es diesen Schwerpunkt: Dossier und VICE möchten in dieser Reihe zum Thema Cannabis in Österreich einen sachlichen Beitrag zur Debatte leisten. Dafür haben wir uns angesehen, wie die Berichterstattung und politische Auseinandersetzung in den vergangenen Jahren ausgesehen haben, was die Parteien derzeit unter anderem über medizinisches Cannabis und Legalisierung denken, was Konsumenten in Österreich dürfen, und was sie beachten sollten, wie die Rechtslage in Europa aussieht, wie effizient Österreichs Drogenpolitik ist, wie verschieden Cannabis-Konsumenten in Österreich sein können und in welch absurde Situationen sie kommen können.

Auf dass die Berichterstattung sachlicher wird und weggeht von jener, "die Cannabis teilweise als ebenso gefährlich wie Plutonium, Crack und Glyphosat einstuft", wie Klaus Hübner, Pressesprecher von ARGE Canna, manche Medienberichte beschreibt.