Der Staat wird Cannabis bald wie Alkohol behandeln, glaubt Strafrechtsprofessor Alois Birklbauer. Er sieht aber auch Risiken in der Liberalisierung: Diese dürfe nicht wie eine Einladung zum Konsum wirken.
Zur Person:
Alois Birklbauer ist Universitätsprofessor und Leiter der Abteilung Strafrechtswissenschaften und Medizinstrafrecht an der Johannes-Kepler-Universität Linz.
DOSSIER: Wie charakterisieren Sie Österreichs Drogenpolitik im Hinblick auf Cannabis?
Alois Birklbauer: Die österreichische Drogenpolitik folgt aktuell der Redensart „Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass“. Es gab allerdings mit der Reform Anfang 2016 insofern eine „Liberalisierung“, als dass der Konsum von Cannabis als Gesundheitsproblem identifiziert und daher bei der Gesundheitsbehörde verortet wurde. Das heißt, dass Strafverfahren im Regelfall eingestellt werden und man therapeutische Maßnahmen bevorzugt – nicht nur auf Cannabis bezogen, sondern auf alle Suchtmittel unterhalb der Grenzmenge.
Was war die Überlegung des Gesetzgebers dahinter?
In Österreich wollte man den Schritt der Entkriminalisierung im Sinne einer Freigabe nicht setzen, auch weil es gegen internationale Verpflichtungen, wie etwa die UN-Suchtgiftkonvention, verstoßen hätte. Also hat man es bei einer formalen Strafbarkeit belassen, die aber bei Kooperation mit der Gesundheitsbehörde entfällt. Sollte ein Gesundheitsproblem vorliegen, werden therapeutische Maßnahmen, etwa Gespräche, als ausreichend angesehen. Damit geht man in gewisser Weise pädagogisch an die Sache heran, was ich für sehr gut halte. Vor allem junge Menschen werden dadurch nicht kriminalisiert, sondern aufgeklärt.
Was passiert nach aktueller Rechtslage, wenn jemand mit Cannabis von der Polizei erwischt wird?
Bei allen Drogen kommt es auf die Grenzmenge an. Die von Cannabis liegt bei 20 Gramm THC-Reinsubstanz. Der durchschnittliche Reinheitsgehalt bei Cannabis liegt aber nur bei etwa zehn Prozent der Gesamtmenge. Das heißt ich kann demnach bis zu 200 Gramm dabeihaben. Wenn diese Grenze nicht überschritten wird, wird man zwar von der Polizei vernommen, doch der Fall wird relativ rasch an die Gesundheitsbehörde weitergeleitet. Den handelnden Polizisten fehlt da teilweise noch das Verständnis, für sie ist eine kleine Menge zwei bis drei Gramm. Das gilt vor allem für ältere Polizisten, die noch ein ganz anderes Regime mitgekriegt haben.
Wie sehen Sie die öffentliche Diskussion zum Thema Cannabis?
Die öffentliche Diskussion wird sehr unsachlich geführt, weil das Thema zum einen sehr stark mit der Migrationspolitik verknüpft wird und zum anderen keine geschützten Räume zugelassen werden. In anderen Ländern ist es zum Beispiel durchaus üblich, sogenannte Drogenkonsumationsräume zu haben. Das sind geschützte Bereiche, in denen ein Spritzentausch vorgenommen werden kann. Das gibt es in Österreich faktisch gar nicht.
Welche Rolle spielen Medien in der Diskussion?
Ich bin Oberösterreicher, und bei uns wurde ein Automat aufgestellt, um saubere Spritzen zu bekommen. Die kleinformatige Presse hat sofort getitelt: „Abgabe von Drogen durch Automaten“, obwohl die Spritzen selbstverständlich leer waren. Der Automat wurde in der Folge an einen anderen Platz verlegt, den nur Insider kannten. Das ist nicht nur eine „Aus den Augen, aus dem Sinn“-Taktik, sondern auch ein Beispiel für die unsachliche Diskussion. Was ist dabei, saubere Spritzen abzugeben, um das HIV- oder Hepatitis-Risiko zu vermindern?
Was sind aus Ihrer Sicht die weitverbreitetsten Irrtümer in Bezug auf Drogen?
Einer der größten Irrtümer ist die Verteufelung von Cannabis als Einstiegsdroge, weil das den Zugang zum eigentlichen Thema erschwert. Wir wissen aus der empirischen Forschung, dass die klassische Einstiegsdroge nicht Cannabis, sondern Alkohol ist. Substanzkonsum – verboten oder legal – kann ein Hinweis auf psychische Probleme sein. Man sieht hier aber nur den kriminellen Aspekt und nicht den Hilfeschrei, den ein kranker Mensch aussendet. Hier gibt es viele Missverständnisse. Es bräuchte eine stärkere Aufklärungsarbeit.
In den vergangenen zwei Jahren gab es sowohl eine Liberalisierung als auch eine Verschärfung in der Gesetzgebung. Wie beurteilen Sie das?
Die Novelle 2016 hat den Gesundheitsaspekt in den Vordergrund gerückt. Doch schon wenige Monate später kam der Gegenschlag, der vor allem auf Wien bezogen war, um das Dealen in U-Bahn-Stationen in den Griff zu bekommen. Hier hat man plötzlich eine Strafverschärfung eingeführt, die Dealer im öffentlichen Raum im Visier hat. Alleine die Tatsache, dass das Dealen im Hinterhof niedriger bestraft wird, als wenn es in der Öffentlichkeit passiert, ist aus sicherheitspolitischen Überlegungen gefährlicher. Diese zweite Novelle war letztlich ein Kniefall vor jenen, die die Liberalisierung durch die erste Novelle abgelehnt haben.
Laut dem aktuellen Drogenbericht erfolgen über 80 Prozent der Anzeigen nach dem Suchtmittelgesetz aufgrund von Cannabis. Warum ist der effiziente Einsatz von polizeilichen Ressourcen kein Thema in Österreich?
Das war der zentrale Grund für die Novelle Anfang 2016, man wollte diese Ressourcen effizienter nützen. Deswegen gab es auch ein Einverständnis aus dem Innenministerium. Aber ich bin bei dieser Debatte etwas vorsichtig: Man muss sich fragen, welche Zeichen dadurch gesetzt werden. Nicht alles, was straffrei ist, ist gut. Wenn etwa Cannabis legalisiert wird, so könnten es junge Menschen als Signal verstehen, dass der Konsum von Cannabis gut ist. Aber er ist nicht gut, so wie Alkohol trinken auch nicht gut ist.
Glauben Sie, dass Cannabis in Österreich in zehn Jahren legal erhältlich sein wird?
Ich gehe fast davon aus, dass der Staat Cannabis bald wie Alkohol behandeln wird – auch vor dem Hintergrund einer Qualitätskontrolle und um den Schwarzmarkt zu beseitigen. Ich bin durchaus optimistisch, aber diese Diskussion muss sachlich geführt werden, damit es nicht einer Einladung zum Konsum gleichkommt.