Interview

»Das ganze System ist aus der Zeit gefallen«

Arbeits-Unfähigkeit sollte es »nie mehr geben«, Lohn statt Taschengeld dafür eingeführt werden. Arbeits- und Wirtschafts-Minister Martin Kocher (ÖVP) überrascht im Interview mit klaren Ansagen. Warum setzt sie die Regierung dann nicht um?

Von Georg Eckelsberger (DOSSIER), Lisa Kreutzer und Artin Madjidi (andererseits)

Ausgleichstaxe28.11.2023 

Diese Recherche ist in Zusammenarbeit mit der inklusiven Redaktion »andererseits« entstanden

Martin Kocher (ÖVP) ist als Minister für Arbeit und Wirtschaft auch dafür zuständig, dass Menschen mit Behinderungen Zugang zum Arbeitsmarkt haben. Wir haben ihn mit den Ergebnissen unserer Recherchen konfrontiert.

Artin Madjidi: Im März 2019 wurde ich mit 20 Jahren als arbeitsunfähig eingestuft. Warum werden Menschen wie ich als arbeitsunfähig eingestuft? Und ist das fair?

Martin Kocher: Es war bisher so, dass man mit 15 Jahren mit einer Behinderung sehr häufig als arbeitsunfähig eingestuft wurde. Dann konnte man nicht mehr am Arbeitsmarkt tätig sein. Und dann konnte man auch die Angebote des Arbeitsmarkt-Service (AMS), was Qualifizierung oder Lehrausbildung angeht, nicht mehr nutzen. Wir wollen das jetzt per Gesetz auf das Alter von 25 Jahren erhöhen. Die Hoffnung ist, dass dann mehr junge Menschen am ersten Arbeitsmarkt einen Job finden und Inklusion besser gelingen kann.

Madjidi: Werden Menschen wie ich, die schon früh für arbeitsunfähig erklärt wurden, jetzt neu geprüft?

Kocher: Ob es einen Rechtsanspruch geben wird, kann ich noch nicht sagen. Aber es wird sicher eine Möglichkeit geben, denn das sollte grundsätzlich immer möglich sein. Was uns gelingen muss: nicht nur das Gesetz zu ändern, sondern auch die Praxis. Das heißt: Es wird vielleicht Phasen geben, wo man es gesundheitlich nicht so gut schafft zu arbeiten, dann später aber in den Arbeitsmarkt zurückkehren kann. Die Möglichkeit, es zu versuchen, und wenn es nicht klappt, auch einen Platz in einer Werkstätte eines Bundeslandes zu bekommen, die muss es geben.

Georg Eckelsberger:Das AMS wird laut Ihrem Gesetzes-Vorschlag für viele junge Menschen zuständig sein, die bisher als arbeitsunfähig eingestuft worden wären. Der Vorstand des AMS sagt aber in einer internen Stellungnahme, die uns vorliegt, dass »das AMS nicht in der Lage (ist), den Bedürfnissen der ins Auge gefassten Zielgruppe gerecht zu werden«. Haben Sie sich nicht mit dem AMS abgestimmt?

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