Welche Fakten zu Traiskirchen Erwin Pröll ignoriert

Aufnahmestopp im Flüchtlingslager Traiskirchen: Erwin Pröll ignoriert wichtige Fakten.

Asyl30.7.2014 

"Notwehr" nennt Niederösterreichs Landeshauptmann Erwin Pröll (ÖVP) sein Vorgehen: Mit einem gewerberechtlichen Bescheid setzte er einen Aufnahmestopp für Österreichs größtes Flüchtlingslager durch. Von Überbelegung kann in Traiskirchen aber keine Rede sein. Auch in anderen Bereichen werden die Tatsachen verdreht. DOSSIER bringt vier Fakten, die in der Diskussion bisher ausgeklammert wurden.

1. Traiskirchen ist nicht ausgelastet

Die Kapazitätsgrenze des Flüchtlingslagers ist nicht erreicht. Sie liegt bei 1.750 Personen, wie Karl-Heinz Grundböck, Sprecher des Innenministeriums, auf DOSSIER-Anfrage versichert: "Wenn man baupolizeiliche und feuerpolizeiliche Vorschriften umlegt, ergibt sich für die vorhandenen Gebäudestrukturen eine Kapazität von 1.750." Mit derzeit rund 1.400 Asylsuchenden ist man von der historischen Höchstbelegung von 6.000 Menschen während der Ungarn-Krise in den 1950er-Jahren weit entfernt. Tatsächlich stehen in der elf Hektar großen Erstaufnahmestelle in Traiskirchen heute Zimmer und ganze Gebäude leer.

2. Niederösterreich erfüllt Quote ohne Traiskirchen nicht

Landeshauptmann Erwin Pröll will jene Bundesländer in die Pflicht nehmen, die bei der Erfüllung der Unterbringungsquote säumig sind. Fakt ist: Würde die Belegung in Traiskirchen, wie von Pröll verlangt, auf 480 Personen reduziert, würde Niederösterreich im Bundesländervergleich vom zweiten auf den letzten Platz abrutschen. Niederösterreich erfüllt seine Quote, weil die Asylsuchenden in Traiskirchen in die Quote des Landes mit eingerechnet werden - doch selbst mit den aktuell rund 1.400 Menschen in der Erstaufnahmestelle liegt das Land um lediglich 79 Personen oder 1,7 Prozent über der für Niederösterreich geltenden Quote. Folglich müsste Pröll für die Menschen, die aus Traiskirchen verlegt werden sollen, auch Quartiere im eigenen Land schaffen, um die Quote weiterhin zu erfüllen - das Land Niederösterreich müsste dann für die zusätzlich anfallenden Kosten der Grundversorgung aufkommen. Die Kosten der Erstaufnahmestelle Traiskirchen trägt der Bund.

3. Weisung führt zu Bescheid

Erwin Prölls Vorgehen ist nicht neu - die Geschichte wiederholt sich: 2012 versuchte der damalige Traiskirchner Bürgermeister Fritz Knotzer (SPÖ), einen Aufnahmestopp per Bescheid durchzusetzen. Sein feuerpolizeilicher Bescheid, der "Gefahr im Verzug" als Grund für einen Aufnahmestopp anführte, wurde vom Unabhängigen Verwaltungssenat (UVS) aufgehoben. Die Begründung: behördliche Willkür. Nun ließ Erwin Pröll ebenfalls einen Bescheid ausstellen, diesmal einen gewerberechtlichen. "Es gab die Anordnung des Herrn Landeshauptmann, zu prüfen, welche Möglichkeiten es gibt", erklärt Heinz Zimper, Badens Bezirkshauptmann. Was konkret beanstandet wurde, will Zimper auf Grund des "offenen Verfahrens" nicht sagen. Es sei vorgesehen, die Anzahl der Flüchtlinge zu reduzieren - um wie viel? Das sei noch offen.

4. Menschenunwürdige Quartiere in Niederösterreich

Niederösterreichs Landeshauptmann rechtfertigt sein Vorgehen mit "menschlichen und sicherheitstechnischen" Beweggründen. Tatsächlich schnitt das Erstaufnahmezentrum Traiskirchen in einer 2013 von DOSSIER durchgeführten Untersuchung gut ab: saubere Zimmer und Sanitäranlagen, ein im Vergleich zu den Bundesländern besseres Verhältnis zwischen Asylsuchenden und Betreuungspersonen, eine Schule und ein eigenes Gebäude für Frauen. Im Gegensatz dazu herrschten in etlichen niederösterreichischen Quartieren miserable Zustände: Wie DOSSIER-Recherchen zeigen, brachte das Land rund ein Drittel der aufgenommenen Asylsuchenden nicht menschenwürdig unter. Im Jahr 2013 wiesen fast 40 Prozent der untersuchten Quartiere Schimmelbefall auf. In einem Viertel der Quartiere war nach Aussagen von Asylsuchenden der Umgang, den die Betreiberinnen und Betreiber pflegen, unfreundlich, respektlos und diskriminierend. In 13 Quartieren mussten Asylsuchende auf alten und beschädigten Matratzen schlafen. In einer Unterkunft gab es eine Ungezieferplage.

Zustände in zwei niederösterreichischen Quartieren, August 2013