Niederösterreich: Sporen der Angst

Niederösterreich schottet Asylquartiere von der Öffentlichkeit ab. Missstände blieben so lange unbemerkt.

Asyl14.11.2013 

Die politische Verantwortung liegt bei der zuständigen Landesrätin.

Klaus Schwertner, Generalsekretär der Caritas der Erzdiözese Wien

Der Betreiber eines Asylquartiers in Niederösterreich weiß nicht so recht, was er tun soll. Er steht im winzigen Büro seiner Unterkunft, hinter ihm reihen sich in Regalen dicke Aktenordner, an der Wand hängen Kinderzeichnungen. Eigentlich wollte DOSSIER Fragen zu seiner Unterkunft klären, mit ihm über Mängel in seinem Quartier, wie etwa Schimmel, sprechen. „Ich würde diese Fragen ja beantworten“, sagt der Mittvierziger mit Brille und Stoppelfrisur, „aber ich darf nicht mit Ihnen sprechen.“ Das Land Niederösterreich gestattet keinem Quartierbetreiber Gespräche mit Journalisten ohne vorherige Zustimmung des Landes, weil „es sich bei den zu versorgenden Personen unter anderem auch datenschutzrechtlich um besonders schutzbedürftige Personen handelt."

So erklärt Herman Priller, Büroleiter der zuständigen Landesrätin Elisabeth Kaufmann-Bruckberger (Team NÖ), die außergewöhnliche Vorgangsweise des Landes in einer E-Mail. Dabei sind Gespräche mit Journalistinnen und Journalisten weniger bedrohlich als der Schimmel, der in insgesamt 16 der 43 in Niederösterreich untersuchten Quartiere wächst. Um sicherzugehen, dass es sich tatsächlich um Schimmel handelt, bat DOSSIER zwei Experten für Schimmelschäden, unabhängig voneinander alle Fotoaufnahmen aus der Recherche zu sichten, auf denen der Verdacht dokumentiert war. Zwei Unterkünfte in Niederösterreich besuchte DOSSIER gemeinsam mit Peter Tappler, einem Gerichtssachverständigen für Schimmelbelastungen in Innenräumen.

Die besten 5

 QuartierOrtBew.
1.2320 Schwechat35,5
2.3150 Wilhelmsburg35
3.3100 St. Pölten34
4.2832 Thernberg32
4.3180 Lilienfeld32
4.3180 Lilienfeld32
5.3872 Amaliendorf30,5
5.3943 Schrems30,5
5.3100 St. Pölten30,5
5.3860 Heidenreichstein30,5

In der Unterkunft NÖ 53 in Muthmannsdorf bei Wiener Neustadt packte Tappler seine Messgeräte erst gar nicht aus. „Da brauche ich nicht messen“, sagte er nach wenigen Minuten. Der Schimmelbefall sei sichtbar so ausgeprägt, dass eine Sanierung des Hauses notwendig sei. Ähnlich verlief der Besuch im zweiten Quartier. In Grimmenstein (NÖ 47), wo zurzeit rund 40 Asylsuchende wohnen, baute Peter Tappler seine Messgeräte in der Küche auf. „Ich mache das zwar erst seit 24 Jahren“, sagt Tappler, „aber solche Zustände habe ich, ganz offen gestanden, noch nie erlebt. Das ist für mich schockierend, weil man unter solchen hygienischen Zuständen sicher nicht leben kann“. Zwei Wochen später lagen dann auch die Ergebnisse von Tapplers Messung vor:

Es handelt sich um einen großen baulichen Schaden der Kategorie 3 nach UBA (Anmerkung DOSSIER: Umweltbundesamt). Die Freisetzung von Pilzbestandteilen – vor allem an den Schadensbereichen in der Küche und im Gang – sollte unmittelbar unterbunden werden und die Ursachen des Schadens (durchfeuchtete Mauern, unbrauchbare Arbeitsfläche und Installationen) sind kurzfristig zu sanieren. Die Betroffenen sind auf geeignete Art und Weise über den Sachstand zu informieren, eine umweltmedizinische Betreuung sollte erfolgen.

Tappler stellte in der Küche eine gegenüber der Außenluft um das Sechsfache erhöhte Konzentration an Schimmelpilzsporen fest und empfahl:

Die Räume sollten aufgrund akuter Gesundheitsgefährdung bis zu einer fachgerechten Sanierung nicht mehr benutzt werden.

In Muthmannsdorf und Grimmenstein sind weiterhin Menschen untergebracht. Doch Schimmel ist nicht das einzige Problem der niederösterreichischen Grundversorgung. In einem Viertel der Quartiere sei nach Aussagen von Asylsuchenden der Umgang, den die Betreiber pflegen, unfreundlich, respektlos und diskriminierend. In 13 Quartieren müssen die Bewohner auf alten und beschädigten Matratzen schlafen. In einer Unterkunft gibt es eine Ungezieferplage, die der Betreiber nicht in den Griff bekommt.

Die Verantwortlichen im Land bestreiten die Recherche-Ergebnisse von DOSSIER:

Wie mitgeteilt, werden in unseren Vertragsquartieren von den versorgten Asylwerbern weit über 1.000 Wohnräume bzw. hunderte Sanitärräume genutzt. Unter diesen Umständen kann es leider vorkommen, dass von den Betreuungsorganisationen und unseren Außendienstmitarbeitern Mängel nicht sofort wahrgenommen, mitgeteilt oder beseitigt werden können. (...) Eine zuletzt mit den beiden Betreuungsorganisationen durchgeführte Gesamtschau ergab, dass nur bei einer geringen Anzahl an Quartieren diverse Mängel festgestellt wurden, die aber ebenfalls rasch beseitigt wurden oder die notwendigen Arbeiten derzeit stattfinden. Insofern passt das von Ihnen dargestellte Bild nicht zu den von uns und von uns beauftragten Betreuungsorganisationen.

Die schlechtesten 5

 QuartierOrtBew.
1.2840 Grimmenstein5
2.2723 Muthmannsdorf8
3.3622 Mühldorf11
4.3105 St. Pölten12
5.2326 Maria Lanzendorf12,5

Das Land beauftragt den Flüchtlingsdienst der Diakonie und die Caritas Wien mit der Betreuung der in Niederösterreich untergebrachten Asylsuchenden. Für die Kontrolle der Unterkünfte sei die Caritas aber erst in zweiter Linie verantwortlich, sagt Klaus Schwertner, Generalsekretär der Caritas der Erzdiözese Wien im Gespräch mit DOSSIER. Primär ginge es bei der Betreuung darum, sich um die Menschen zu kümmern und sie bei deren Verfahren zu unterstützen. Trotzdem seien der Landesregierung sämtliche Mängel in detailreichen Berichten wiederholt gemeldet worden. „Das waren manchmal größere, manchmal kleinere Missstände. Manchmal haben sich Dinge auch verbessert. Dann gibt es wiederum andere Dinge, die geblieben sind, bei denen sich sehr, sehr wenig oder nichts verändert hat“, sagt Schwertner. „Wir können Empfehlungen abgeben – die politische Verantwortung liegt bei der zuständigen Landesrätin.“

Weder Landesrätin Kaufmann-Bruckberger noch der zuständige Beamte, der Leiter der Abteilung Staatsbürgerschaft und Wahlen Peter Anerinhof, standen für ein Interview zur Verfügung. Anders als viele der Betreiberinnen und Betreiber, die ihre Sicht der Dinge trotz der Anweisung des Landes DOSSIER gegenüber darstellten. Sie erzählten von den Herausforderungen des Alltags, bezogen Stellung zu den Vorwürfen, erklärten Versäumnisse oder gestanden diese ein. Aus Sorge, ihre Verträge zu verlieren, baten jedoch fast alle darum, nicht zitiert zu werden.