Maulkorb aus St. Pölten

Unzulässig: Betreibende von Asylquartieren in Niederösterreich dürfen nicht mit Medien sprechen.

Asyl1.8.2014 

Corinna Milborn, Infochefin des Privatsenders PULS 4, war verblüfft. Heute Vormittag wollten ihre Redakteure in einem Asylquartier im niederösterreichischen St. Andrä-Wördern drehen. Es hätte ein Beitrag über eine vom Land Niederösterreich organisierte Unterkunft für Asylsuchende werden sollen - ein Quartier, das gut geführt wird und im Land als positives Beispiel gilt. "Ich habe mit der Leiterin der Unterkunft telefoniert", sagt Milborn. "Sie hätte gerne mit uns gesprochen, aber sie hat auf die Landesregierung verwiesen. Denn die müsse uns erst eine Drehgenehmigung erteilen". PULS 4 wurde das verwehrt.

Seit Tagen beherrscht das Thema Asyl die innenpolitische Berichterstattung. Niederösterreichs Landeshauptmann Erwin Pröll verfügte mit einem Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Baden einen Aufnahmestopp im größten Flüchtlingslager des Landes, der Erstaufnahmestelle Ost in Traiskirchen. Seine Begründung: Eine menschenwürdige Versorgung der Asylsuchenden sei dort nicht zu gewährleisten, das Lager dreifach überbelegt. Wie DOSSIER-Recherchen zeigen: Falschinformationen.

Doch während alle Augen auf Traiskirchen gerichtet sind, bleibt die Qualität der Unterbringung von Asylsuchenden in den Bundesländern weitgehend ausgeblendet. In Niederösterreich schließt die Informationspolitik des Landes Journalistinnen von der Berichterstattung aus. Betreibern von Asylquartieren ist es verboten, mit Medienvertretern zu sprechen. Auf Anfrage verweisen sie auf eine Schweigeklausel in ihren Verträgen. Diese wurde als Vertragszusatz in Briefform im Sommer 2009 von Peter Anerinhof ausgeschickt, dem Leiter der niederösterreichischen Grundversorgung. In dem Schreiben, das DOSSIER vorliegt, heißt es:

Zur Gewährleistung einer einheitlichen und ordnungsgemäßen Informationspolitik im Bereich der Unterbringung und Versorgung von hilfs- und schutzbedürftigen Fremden wird somit darauf hingewiesen, dass das Betreten der Unterkünfte für hilfs- und schutzbedürftige Fremde durch Presse- bzw. Medienvertreter und die Weitergabe von Daten und Information im Zusammenhang mit der Unterbringung und Versorgung an Presse- bzw. Medienvertreter in jedem Fall vorher mit der Koordinationsstelle für Ausländerfragen abzuklären ist.

Mit anderen Worten: Ohne Erlaubnis des Landes dürfen Betreiber nicht mit Journalistinnen sprechen oder diese in ihr Haus lassen. In der Regel wird diese nicht erteilt, obwohl viele Quartiersgeber über Herausforderungen wie Probleme ihrer vom Staat übernommenen Aufgabe reden wollen.

Vertreter der Landesregierung rechtfertigen das Redeverbot mit der Sicherheit der Flüchtlinge. "Diese Informationspolitik hat sich in den letzten Jahren bewährt, es dient dem Schutz der Fremden", sagt Hermann Priller, Büroleiter der zuständigen Landesrätin Elisabeth Kaufmann-Bruckberger (Team NÖ). Welche konkreten Gefahren dadurch abgewehrt werden sollen, sagt Priller nicht. Nur so viel: "Es sind nicht alle dem Thema Asyl so positiv eingestellt wie wir."

Aus rechtlicher Sicht ist das Redeverbot mehr als fragwürdig. "Diese Art von Maulkorb und Einschränkung ist juristisch nicht zulässig", sagt Bernd-Christian Funk, Professor für Staats- und Verwaltungsrecht an der Universität Wien. Er sieht einen Eingriff in die freie Meinungsäußerung von Betreiberinnen und Asylsuchenden. "Diese Heime sind keine Gefängnisse. Rechtlich dürfen persönliche Kontakte und die private Kommunikation nicht eingeschränkt oder geregelt werden." Walter Berka, Verfassungsjurist an der Universität Salzburg, geht einen Schritt weiter: "Ein solches Redeverbot ist jedenfalls klagbar."

„Keine Probleme mit Brötchengeber”

Da das Land – wie Betreiber DOSSIER berichten – bei Verstößen gegen die Schweigeklausel mit Vertragskündigung droht, hat sich bisher kaum ein Betreiber widersetzt. Gegenüber DOSSIER sprachen mehrere Unterkunftsgeber diese Zwickmühle an: "Ich will keine Probleme mit meinem Brötchengeber", sagt ein Asylheimbetreiber. Laut Walter Berka eine berechtigte Sorge: "Mit ‘aufmüpfigen’ Betreibern wird man wahrscheinlich keinen weiteren Vertrag mehr abschließen oder diesen im Rahmen bestehender Kündigungsgründe auflösen. Gegen einen solchen faktischen Druck wird sich wenig machen lassen. Und ob Betreiber so viel Zivilcourage aufbringen, wenn diese auf ihre Kosten geht, ist fraglich."