Decken statt Betten

Wie Österreich dabei versagt, Flüchtlinge zu versorgen: Lokalaugenschein in Traiskirchen.

Asyl10.7.2015 

Die Gänge wurden frisch gewischt, die Sanitäranlagen augenscheinlich kürzlich gereinigt – dennoch kann nichts über den kritischen Zustand des Flüchtlingslagers in Traiskirchen hinwegtäuschen. Über Jahre verweigerte das Bundesministerium für Inneres Journalistinnen und Journalisten den Zutritt zur Anlage. Nachdem in den vergangenen Wochen immer wieder Fotos von obdachlosen Flüchtlingen aus der Anlage an die Öffentlichkeit kamen, lud das Ministerium nun zum Pressetermin: Drei Stunden Lokalaugenschein im größten Flüchtlingslager des Landes, in dem die Republik Schutzsuchende aus aller Welt erstversorgt – und diese Versorgung offenbar nicht mehr gewährleisten kann.

Die Anlage bietet Kapazitäten für 1.820 Personen – seit knapp drei Monaten wird diese Grenze aber deutlich überschritten: 3.531 Flüchtlinge sind laut Angaben des Innenministeriums derzeit in Traiskirchen untergebracht. Die meisten von ihnen kommen aus Syrien, dem Irak und Afghanistan. DOSSIER hatte bereits im Dezember 2013 die Möglichkeit, die Unterbringungsqualität in der Bundesbetreuungsstelle zu untersuchen: Zum Zeitpunkt des ersten Besuchs waren lediglich 720 Flüchtlinge im Lager untergebracht. Die Unterkunft erreichte damals in der DOSSIER-Bewertung 33 Punkte und zählte somit zu den zehn besten Quartieren der gesamten Recherche.

Heute ist alles anders: Die Betreuungsstelle ist völlig überlastet, Obdachlosigkeit und mangelnde Versorgung der Schutzbedürftigen bestimmen den Alltag. Freie Betten gibt es schon seit Wochen nicht mehr: 1.200 Flüchtlinge haben derzeit kein Dach über dem Kopf und verbringen Tage und Nächte notdürftig in Decken gewickelt unter freiem Himmel. Sie schlafen auf den Grünflächen des Areals, zwischen Büschen, unter Bäumen oder entlang der Hausmauern. Der Großteil von ihnen sind erwachsene Männer, doch auch unbegleitete minderjährige Flüchtlinge sind darunter. 

480 weitere Personen sind in einem Zeltlager auf einem angrenzenden Fußballfeld untergebracht, darunter auch Familien mit kleinen Kindern. Als Notmaßnahme hat das Innenministerium hier auf dem Gelände der Sicherheitsakademie 60 Zelte aufgestellt. Die Ausstattung ist karg: Acht Feldbetten pro Zelt, nicht absperrbare Spinde und Kabeltrommeln – nach Angaben der Bewohnerinnen und Bewohner fließt der Strom allerdings nur in der Nacht. Die sanitäre Versorgung ist mangelhaft: Mobile Toiletten stehen vor Ort zur Verfügung, fließendes Wasser gibt es allerdings nur in der angrenzenden Betreuungsstelle. 

Die starke Überbelegung wirkt sich in der gesamten Anlage und auf sämtliche Lebensbereiche aus: Lange Warteschlangen bei der Essenausgabe, vor den Gemeinschaftsduschen, den Toiletten – man müsse bis zu einer Stunde auf den Zugang zu Warmwasser warten, berichten Flüchtlinge im Gespräch mit DOSSIER. 

Dass sich in absehbarer Zeit etwas an der Lage in Traiskirchen ändern wird, ist unwahrscheinlich: Länder und Gemeinden bieten seit Jahren zu wenige Unterkunftsplätze, die Asylsuchenden können nur schleppend in feste Quartiere überstellt werden. Die Pläne des Innenministeriums, in den kommenden Monaten 500 Personen in ein Quartier im slowakischen Gabcikovo zu verlegen, werden ebenfalls kaum Linderung bringen – aktuell werden in Traiskirchen pro Tag 250 bis 350 neue Asylanträge registriert.