Vöcklabrucks versteckte Klosteuer

Geschönte Budgets durch hohe Gebühren – eine gängige, mitunter aber rechtswidrige Praxis. Die Bürger zahlen drauf, wie Vöcklabruck zeigt.

von Peter Sim

Aktuelles11.12.2018 

Wer in Vöcklabruck die Blumen gießt, aufs Klo geht oder den Müll entsorgt, finanziert Sozialeinrichtungen, unterstützt den örtlichen Fußballverein und fördert das Kulturprogramm des Stadtsaals.

Mehr als 17,5 Millionen Euro entnahm die Gemeinde in den Jahren 2010 bis 2016 aus dem Gebührenhaushalt und stopfte damit Budgetlöcher  der Rechnungshof nennt diese Praxis eine Steuer ohne rechtliche Grundlage.

Kleine Gemeinden machen es und große, im Süden und Westen, Osten und Norden des Landes  Vöcklabruck in Oberösterreich tut es, Krems in Niederösterreich, Bludenz in Vorarlberg sowie die Stadt Salzburg, Eisenstadt, Knittelfeld, Stockerau und die Bundeshauptstadt Wien.

Sie alle verschieben Überschüsse aus den Gebührenhaushalten ins allgemeine Budget und eignen sich so Millionen Euro an, die den Gemeinden nicht zustehen. 

Obwohl der Rechnungshof diese Praxis als rechtswidrig einstuft und der Verfassungsgerichtshof die Verwendung der Gebühren für andere Zwecke untersagt, drohen den Gemeinden keine rechtlichen Konsequenzen.

Paradebeispiel Vöcklabruck

In Vöcklabruck, der Hauptstadt des gleichnamigen Bezirks im Westen Oberösterreichs, wird deutlich, wie teuer das für die Bürgerinnen und Bürger werden kann.

Die Gemeinde verrechnet den gut 12.400 Bewohnern und Bewohnerinnen hohe Gebühren für Wasser, Abwasser und Abfall. In einem Bericht (Oberösterreich 2016/1) stellt der Rechnungshof einen Vergleich mit der weniger als 80 Kilometer entfernten Gemeinde Wals-Siezenheim (rund 13.000 Einwohner) an.

Für eine 80 Quadratmeter große Wohnung wurden 2013 in Vöcklabruck 261 Euro und somit fast doppelt so hohe Gebühren wie Walz-Siezenheim in Rechnung gestellt.

Der Vergleich der Kanalbenutzungsgebühren zu Gemeinden mit noch niedrigeren Gebühren, zum Beispiel St. Veit an der Glan, fällt noch drastischer aus: die Einwohner Vöcklabrucks zahlten fast sechsmal mehr.

Grundsätzlich dürfen Gemeinden höhere Gebühren einnehmen, als sie für den laufenden Betrieb benötigen  und so Überschüsse erwirtschaften. Das Doppelte der jährlichen Kosten darf maximal verrechnet werden, um die Erhaltung der Anlagen und etwaige künftige Investitionen zu finanzieren und so die Wasserversorgung, ein funktionierendes Kanalsystem und eine effiziente Müllabfuhr sicherzustellen.

Doppeltes Äquivalenzprinzip nennt das Finanzausgleichsgesetz des Jahres 1993 diese Praxis, es gilt bis heute. Jedoch sind der Verwendung der Gebührenüberschüsse enge Grenzen gesetzt. Grenzen, die Vöcklabruck seit knapp einem Jahrzehnt regelmäßig überschreitet.

Wasser zu Wasser und Müll zu Müll

Die Gewinnentnahmen aus dem Wasser-, Abwasser- und Abfallhaushalt erreichten im Zeitraum 2010 bis 2013 in Vöcklabruck rund 9,8 Millionen Euro, berichtet der Rechnungshof und warnt: Werden die Gewinnentnahmen dauerhaft zur Kostenabdeckung außerhalb der Gebührenhaushalte verwendet, entspricht dies der Einhebung einer Steuer ohne Rechtsgrundlage.

Denn im Gegensatz zu Steuern, für die die Bürger und Bürgerinnen keine direkte Gegenleistung erwarten dürfen, müssen Gebühren dafür verwendet werden, wofür sie verrechnet werden: Wassergebühren für die Wasserversorgung, Abwassergebühren für den Kanal und Abfallgebühren für die Müllentsorgung.

Vöcklabruck entnahm in vier Jahren fast zehn Millionen Euro an Überschüssen aus den Gebührenhaushalten und speiste sein allgemeines Budget. In den Jahren 2014 bis 2016, das zeigen DOSSIER-Recherchen, flossen weitere 7,7 Millionen Euro.

Es machen doch alle so

Gegenüber dem Rechnungshof argumentiert die Gemeinde, dass die zweckfremde Verwendung von Gebühren in Österreich gängige Praxis sei. Zudem kämen die Überschüsse der Bevölkerung zugute, fasst der Rechnungshof die Stellungnahme Vöcklabrucks zusammen:

Die Verwendung von Überschüssen aus dem Wasser-, Abwasser- und Müllhaushalt für allgemeine Budgetzwecke treffe außerdem auf viele Städte Österreichs zu. Ohne diese letztlich den Bürgern zugutekommenden Überschüsse seien viele Einrichtungen des Gemeinwohls wie Kultur-, Sport- und Sozialeinrichtungen nicht mehr finanzierbar und müssten reduziert oder eingestellt werden.

Dass Gebührenüberschüsse zweckentfremdet wurden, streitet die Gemeinde nicht ab. Eine ungewöhnliche Reaktion, hat doch der Verfassungsgerichtshof diese Praxis in mehreren Erkenntnissen untersagt.

Der innere Zusammenhang

Seit mehreren Jahrzehnten wiederholt der Verfassungsgerichtshof in zahlreichen Erkenntnissen, dass die Überschüsse nur für Projekte ausgegeben werden dürfen, die in einem inneren Zusammenhang mit den Gebühreneinnahmen stehen.

Müssen bei Arbeiten am Kanalnetz zum Beispiel Straßen aufgegraben werden, dürfen diese Arbeiten aus dem Gebührenhaushalt finanziert werden. Zu einer versteckten Steuer dürfen die Gebühren nicht werden.

Die Verantwortlichen in Vöcklabruck dürften den Ernst der Lage mittlerweile erkannt haben: Auf eine Anfrage von DOSSIER argumentieren sie nun anders als noch gegenüber dem Rechnungshof.

Zehn Jahre Galgenfrist

Jetzt wird es (die Überschüsse, Anm.) wie ein inneres Darlehen behandelt, das auf zehn Jahre läuft, schreibt die Leiterin der Buchhaltung der Gemeinde auf die Anfrage von DOSSIER. Vöcklabruck will demnach die entnommenen Überschüsse in Zukunft zurückzahlen.

Die Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes erlaubt das: Eine Steuer ohne rechtliche Grundlage werden die Überschüsse demnach erst, wenn sie dem Gebührenhaushalt länger als zehn Jahre entzogen werden. Eine Gemeinde darf somit Gewinne durch überhöhte Gebühren für Wasser, Abwasser oder Müll für das allgemeine Budget verwenden, wenn sie diese zurückzahlt.

Woher die Verantwortlichen in Vöcklabruck jedoch das Geld nehmen wollen, bleibt offen: Seit dem Jahr 2010 stiegen Vöcklabrucks Schulden stetig  von knapp 18 Millionen auf fast 21,4 Millionen Euro im Jahr 2017, und das trotz des unfreiwilligen Darlehens der Bevölkerung durch die sprudelnde Geldquelle der überhöhten Gebühren für Wasser, Abwasser und Abfall.

 

Fernsehtipp: Angelika Niedetzky berichtet heute ab 20.15 Uhr auf Puls 4 in der Sendung „Bist du deppert!“ über die Gebührenentnahmen der Gemeinde Vöcklabruck und wie schwierig es für Bürger und Bürgerinnen ist, überhöhte Gebühren zurückzufordern.