Sparen à la Guntramsdorf

Neues Rathaus nach Maß, ohne Ausschreibung: Durch einen dubiosen Deal setzte das verschuldete Guntramsdorf Millionen Euro in den Sand.

Von Peter Sim und Florian Skrabal

Aktuelles7.6.2017 

Die Budgetzeile ist unscheinbar: „Miete Rathaus ab 2013“, 100.000 Euro per anno, heißt es auf der letzten Seite des Dokuments. 2010 verfasste Michael Fajkis, damals stellvertretender Amtsleiter der Gemeinde Guntramsdorf, den 44-seitigen Maßnahmenkatalog zur Budgetsanierung. Der Eintrag ist ein Indiz, dass die Gemeinde das Vergaberecht umging.

In den folgenden Jahren lässt die Gemeinde das alte Rathaus abreißen, mietet ein neues Gebäude nebenan und kauft dieses schlussendlich. Kostenpunkt: acht Millionen Euro. War das so geplant? Dann hätte die Gemeinde das neue Rathaus ausschreiben müssen und sich wohl Millionen Euro erspart. Geld, das die Gemeinde bis heute bitter nötig hat.

Seit Jahrzehnten kreist der Pleitegeier über der Gemeinde im Süden Wiens. Besonders eng wurde es 2009. Guntramsdorf konnte seine Kreditraten nicht mehr bedienen und musste zum Familiensilber greifen: Um schnell Geld in die Kasse zu spülen, wurde ein Teil des Rathausplatzes verkauft. 5.523 Quadratmeter mitten im Ortskern gingen an eine private Baufirma, einer Tochterfirma des Porr-Konzerns.

Der Erlös von 1,72 Millionen Euro verschaffte der Gemeinde eine kurze finanzielle Verschnaufpause – doch zu welchem Preis? Der Grundstücksdeal steht am Anfang einer Geschichte, die der Gemeinde noch heute teuer kommt. Es ist eine Geschichte aus Missmanagement, Intransparenz und etlichen Ungereimtheiten – zum Vorteil weniger, zulasten vieler.

Die Prophezeiung des Amtsleiters

Im Zentrum stehen Guntramsdorfs ehemaliger Bürgermeister Karl Sonnweber (SPÖ) und der Amtsleiter der Gemeinde Michael Fajkis. Beide sind Männer vom Fach. Sonnwebers Expertise sind Immobilien und Fajkis Gemeindefinanzen. Von 2006 bis 2011 war Sonnweber Obmann der Baugenossenschaft Mödling, Fajkis arbeitete als Prüfer bei der niederösterreichischen Gemeindeaufsicht. Der Bürgermeister holte Fajkis 2003 nach Guntramsdorf, er sollte das Budget sanieren. Seine Arbeit wurde augenscheinlich geschätzt. Rasch kletterte Fajkis die Karriereleiter nach oben: vom stellvertretenden Amtsleiter zum Leiter der beiden gemeindeeigenen Unternehmen (ab 2004) bis zum Amtsleiter (ab 2014), schicker BMW als Dienstwagen inklusive.

Fajkis war es, der Anfang 2010 in die Tasten griff und den Sanierungsplan vorlegte; als Diskussionsgrundlage war er gedacht, die „nach einer politischen Grundsatzentscheidung“ verlange, „wie der Weg für Guntramsdorf weitergehen soll“, heißt es in der Einleitung.

Auf der letzten Seite findet sich der geplante Budgetposten, 100.000 Euro für die Miete des Rathauses ab 2013. Doch zu diesem Zeitpunkt besitzt die Gemeinde ein Rathaus. Warum plant Fajkis Miete zu zahlen?

Er selbst will dazu keine Stellungnahme abgeben. Aber der „sanierungsbedürftige Zustand des alten Rathauses“ war schon vor 2010 bekannt, schreibt der aktuelle Guntramsdorfer Bürgermeister Robert Weber (SPÖ) auf eine Anfrage von DOSSIER. Eine Generalsanierung des alten Rathauses soll ebenso im Gespräch gewesen sein wie eine Anmietung von Räumen in der ehemaligen Druckfabrik. Öffentliche Diskussionen oder Debatten im Gemeinderat, was aus dem Rathaus werden sollte, gab es jedoch nicht. Erst Jahre später folgt der Knall: Gefahr in Verzug! Das Rathaus sei nicht mehr benutzbar.

„Teilweise sind die Schadstellen bereits massiv, mit Betonabplatzungen und freiliegender Stahl-Bewehrung“, heißt es in dem Gutachten eines Büros für Bauphysik im April 2012. Das Rathaus sei in so schlechtem Zustand, dass eine Sanierung gleich teuer wie ein Neubau käme. Was für ein Zufall, dass am Rathausplatz gerade drei neue Gebäude entstehen, bei deren Gestaltung die Gemeinde gehörig mitredet.

In engster Zusammenarbeit

Zur Erinnerung: Ende Mai 2009 hat die Gemeinde Grundstücke an ein privates Unternehmen verkauft, die „EPS Rathausplatz Guntramsdorf Errichtungs- und Beteiligungsverwaltungs GmbH & Co KG“. Erst einen Monat davor war diese von Porr für dieses Bauprojekt gegründet worden. Der Kaufpreis des Rathausplatzes: 1,72 Millionen Euro. Ein Schnäppchen, wie sich kurz darauf zeigen sollte.

Denn den Preis schätzte ein Gutachter, der mit einer maximalen Bauhöhe von elf Metern kalkulierte. Das Siegerprojekt des zur gleichen Zeit ausgelobten Architekturwettbewerbs sah jedoch Bauhöhen von 16,5 Metern vor. Die Gemeinde genehmigte den Bauplan, auf einen Schlag war das Grundstück der Porr mehr wert, als beim Kauf - es durfte 5,5 Meter höher gebaut werden.

Nach welchen Kriterien die Auswahl des Siegerprojekts erfolgte, ist nicht öffentlich. „Der Architekturwettbewerb wurde in einem transparenten, jedoch anonymen Verfahren abgehalten“, schreibt Bürgermeister Weber auf eine Anfrage von DOSSIER. In der fünfköpfigen Jury saßen neben zwei Vertretern der Marktgemeinde Guntramsdorf, zwei Delegierte des Baukonzerns und der Vorsitzende der zuständigen Architektenkammer. 

Spatenstich mit Prominenz

Von einem Umzug des Rathauses in eines der neu errichteten Gebäude ist auch noch nicht die Rede, als ein halbes Jahr später der Spatenstich zum Bau des neuen Ortskerns mit drei Bürogebäuden erfolgt.  Investitionsvolumen: 15,2 Millionen Euro – da kommt die hohe Politik am 1. Oktober 2011 gerne nach Guntramsdorf: Bundesministerin für Frauen und den öffentlichen Dienst, Gabriele Heinisch-Hosek (SPÖ), ist da. Sie saß selbst von 1990 bis 2008 im Guntramsdorfer Gemeinderat und ist mit Fajkis Vorgänger, dem damaligen Amtsleiter Walter Heinisch, verheiratet. 

Gemeinsam mit Landeshauptmann Erwin Pröll (ÖVP), Bürgermeister Karl Sonnweber und dem Geschäftsführer des Bauträgers Porr Solutions, Johannes Karner, wird für die Fotografen geschaufelt. Ein Tag zum Feiern für die Politprominenz – bis auf eine kleine Truppe, die an jenem Tag nicht am Rathausplatz erschien. Obwohl ihr Landespatron höchstpersönlich gekommen war, blieb die ÖVP Guntramsdorf dem Event geschlossen fern.

Die Prophezeiung wird wahr

Seit Jahren kritisierten sie das Projekt. Als im April 2012 das Gutachten des Bauphysikers vorliegt und Gefahr in Verzug herrscht, muss schnell eine Lösung her. Die ÖVP Guntramsdorf hat einen Verdacht: "Es sind schon mehr als Gerüchte, dass es mit dem derzeitigen Projekterrichter eine Abmachung geben soll, sich in das neue Projekt einzumieten. Angeblich ist der vorderste Block, derzeit als Dienstleistungszentrum bezeichnet, mit rund 2.500 Quadratmetern dafür vorgesehen", ist in einem Dringlichkeitsantrag vom 28. Juni 2012 zu lesen. Das neue Rathaus sollte im Gemeinderat behandelt werden. Die regierende SPÖ reagierte nicht.

Was Amtsleiter Fajkis bereits 2010 mit der Budgetzeile vorwegnahm und der Opposition Mitte Juni 2012 dämmerte, wird ein halbes Jahr später Realität. Ein Angebot der Porr liegt auf dem Tisch: 2.650 Quadratmeter Bürofläche am Rathausplatz samt Keller und Garagen für 32.778 Euro Miete im Monat, exklusive Betriebskosten und Steuern. Fajkis hatte den Zeitpunkt der Mietausgaben für das neue Rathaus genau getroffen, lediglich die Höhe zu niedrig eingeschätzt.

Über den nicht öffentlichen Architekturwettbewerb redete die Gemeinde gehörig mit, was am Rathausplatz gebaut wurde. Diese Einflussnahme sei laut mehreren Vergaberechtsexperten entscheidend, ob das Gebäude öffentlich ausgeschrieben werden hätte müssen.

„Grundsätzlich unterliegen öffentliche Auftraggeber beim Mieten nicht den Regelungen des Vergaberechts“, sagt Rechtsanwalt Wolfgang Berger: „Wenn ein passendes Gebäude frei ist, dann kann sich die Gemeinde ohne öffentliche Ausschreibung einmieten. Mietkonstruktionen für noch zu errichtende Gebäuden werden jedoch oft genutzt, um eine Ausschreibungspflicht zu vermeiden“, sagt der Vergaberechtsexperte. Entscheidend sei, ob der zukünftige Mieter bei den Anforderungen an das Gebäude entscheidend mitbestimme. Ist das der Fall, läge ein Bauauftrag vor, der nach dem Bundesvergabegesetz 2006 eine öffentliche Ausschreibung verlange.

Die Gemeinde mietet nicht nur drei Jahre nach der Prophezeiung des Amtsleiters das neue Rathaus direkt neben dem alten, sie macht noch etwas: Sie verzichtet 19 Jahre lang auf ihr Kündigungsrecht.

Der Porr kommt das gelegen. Auf einen Schlag ist ein ganzes Bürogebäude vermietet. Trotz des Kündigungsverzichts wird der Mietvertrag nur zwei Jahre halten; doch nicht zum Nachteil des Bauunternehmens. Eine entscheidende Rolle spielte dabei die Gemeinderatswahl 2015.

Der politische Knall

Durch diese ging in Guntramsdorf eine Ära zu Ende. Bei den Wahlen 2005 und 2010 hatte die SPÖ noch die absolute Mehrheit erreicht (mit 61,9 beziehungsweise 56,3 Prozent), 2015 verlor sie 16 Prozentpunkte und blieb bei 40,3 Prozent der Stimmen stehen. Die SPÖ musste sich einen Regierungspartner suchen. Es wurde die erste rot-grün-pinke Koalition Österreichs, mit Elisabeth Manz von den Neos als Vizebürgermeisterin.

Eine Koalitionsbedingung der Neos: die Suche nach einem Ausstieg aus dem ungeliebten Mietvertrag für das Rathaus. Man wollte den Schaden begrenzen, wie Manz sagt, und das Rathaus kaufen.

Kaufen statt mieten

Die Gemeinde holte mehrere Gutachten ein, die den Wert des Rathauses schätzten. „Durch die 100-prozentige Auslastung für die nächsten 19 Jahre war das Gebäude natürlich viel wert“, sagt Manz. Der Mietvertrag hätte den Kaufpreis in die Höhe getrieben. Schlussendlich kaufte die Gemeinde das Gebäude um knapp 8,1 Millionen Euro exklusive Steuern. Der Verkauf von einem der drei Gebäude brachte mehr als die Hälfte der Gesamtinvestitionen des Bauprojekts ein. Für die Porr war das aber kein Thema mehr, sie hatte die Tochterfirma kurz zuvor an einen privaten Investor verkauft – Erlös: unbekannt.

 

Dass Vizebürgermeisterin Elisabeth Manz im Rahmen der Dreharbeiten für die Polit-Satire-Sendung „Bist Du deppert!“ auch ein Interview gab, sorgte für Verstimmung in der Koalition. Aufgehalten durch Amtsleiter Fajkis und Bürgermeister Weber erschien Manz zu spät zum Interviewtermin, in Begleitung der beiden.

Manz legte während der Recherchen zu dieser Geschichte ihr Amt als Vizebürgermeisterin zurück. Am 10. März 2017 löste sie die Koalition auf. Einer ihrer Gründe: „Einigen Vertretern der SPÖ schien es vor allem darum zu gehen, dass der Partei kein Schaden entsteht. Auch wenn das bedeutete, dass Dinge unter den Teppich gekehrt wurden.“

Dass der langjährige Kündigungsverzicht im Nachhinein ein Fehler war, räumt der aktuelle Bürgermeister Weber ein: „Hätte der Gemeinderat vor Abschluss des Mietvertrages gewusst, dass sich ein neuer Gemeinderat zwei Jahre später für Option 3 (kurzfristige Miete und Kauf; Anm.) entscheidet, so hätte man keinen langjährigen Kündigungsverzicht abgegeben.“ Sonst sieht man bei der Gemeinde keine Versäumnisse. Mehrere Aufsichtsbeschwerden der Opposition sowie eine anonyme Anzeige hätten zu keinen Ergebnissen geführt.

Die Gemeinde kämpft auch 2017 noch mit ihrem Budget. Der Sanierungsplan Fajkis griff zumindest beim Rathausdeal nicht: ein zu billig verkauftes Grundstück und ein ungünstiger Mietvertrag, der den Kaufpreis des neuen Rathauses in die Höhe trieb – alles ohne öffentliches Bieterverfahren, auf eine Ausschreibung verzichtete die Gemeinde.

Teaserbild: Google Earth, DOSSIER