Seltsame Einstellung

Unsere Geschichte über einen Hoteldeal von René Benko sorgte für Aufregung. Die Oberstaatsanwaltschaft hatte eine Anklage gegen Benko verhindert. Drei Jahre nach Verfahrensende begründet man nun die Einstellung öffentlich – und wirft Fragen auf.

Von Ashwien Sankholkar und Florian Skrabal

Aktuelles6.8.2019 

Offiziell stellte die Justiz das Verfahren gegen René Benko schon am 14. Oktober 2016 ein. Einzig: Davon mitbekommen hat die Öffentlichkeit bis Montag nichts; und das obwohl die Causa von öffentlichem Interesse ist – Milliardär Benko stand immerhin im Verdacht, Amtsträger der Gemeinde Lech am Arlberg für eine bevorzugte Behandlung im Rahmen eines Bauverfahrens bestochen zu haben.

DOSSIER liegt die Einstellungsbegründung zur Causa Schlössle (Aktenzahl 4 OStA 71/16h) vor. Sie zeigt, wie die Oberstaatsanwaltschaft (OStA) das Ruder und die Hauptaufgabe eines unabhängigen Gerichts übernommen hat: die Beweiswürdigung. Und das OStA-Papier enthält noch einige weitere bemerkenswerte Passagen.

So dürfte René Benko ein Zugang ermöglicht worden sein, der anderen Beschuldigten nur ungern zugebilligt wird. Die Wirtschafts- und Korruptionsstaatanwaltschaft (WKStA), die in dem Verfahren ermittelte, hatte ihren Anklageentwurf an die Oberstaatsanwaltschaft Wien bereits abgeschickt, da meldeten sich Benkos Anwälte bei der Oberbehörde. Sie legten neue Beweise vor, die die Unschuld ihres Mandanten untermauern sollten – mit Erfolg.

Leck in der Justiz?

Normalerweise sollte der Beschuldigte zu jenem Zeitpunkt eigentlich nichts über das Vorhaben der Justiz – anklagen oder nicht – wissen. Und wenn er Wind davon bekommt, verhält sich die Oberstaatsanwaltschaft für gewöhnlich zurückhaltend, insbesondere wenn ihr neue Beweismittel vorgelegt werden.

„Neue Beweise werden gemeinsam mit dem Vorhabensbericht zurück an den Staatsanwalt geschickt“, beschreibt Erich Müller das gängige Prozedere. Als ehemaliger Leiter der Wirtschaftsgruppe der Staatsanwaltschaft Wien ist Müller eine lebende Legende: Ende der Neunzigerjahre war er Ankläger im Konsum-Prozess und ermittelte auch rund um die Bawag-Karibikgeschäfte.

Müller war 2002 der erste Staatsanwalt, der die Causa Eurofighter untersuchte. Danach ging er in Pension. Müller: „Der Staatsanwalt würdigt die neuen Beweise und schreibt vielleicht einen neuen Vorhabensbericht. Er kann die Beweise aber auch ignorieren, wenn er sie für irrelevant hält.“ Das sei der übliche Vorgang.

Im Fall Benko lief es anders. Gab es ein Leck? Woher wussten die Benko-Anwälte vom Anklageentwurf? Der ist eigentlich vertraulich. „Wir kommunizieren die Enderledigung“, erklärt WKStA-Mediensprecher Konrad Kmetic. „Die inhaltliche Willensbildung wird nicht kommuniziert.“ Und wenn der fallführende Staatsanwalt nichts ausgeplaudert hat?

„Es könnten Amtsgeheimnisse verraten worden sein“, mutmaßt Ex-Staatsanwalt Müller. „Auch möglich, dass alles nur ein Zufall war und es der Anwalt einfach versucht hat.“ Frei nach dem Motto: Hüft’s nix, so schodt’s nix. Denn ein guter Anwalt wisse, ob der Mandant mit einer Anklage rechnen müsse. Eine Eingabe an die OStA sei schnell geschrieben.

Im Justizministerium versteht man die Aufregung im Fall Benko nicht. Dass sich Anwälte bei der Oberstaatsanwaltschaft melden, sei nicht außergewöhnlich, sagt Strafrechtssektionschef Christian Pilnacek: „Natürlich kann sich jeder bei uns beschweren, wenn ihm ein Vorhaben nicht passt“. Das Vorgehen im Fall Benko sei gut begründet. Pilnacek: „Da wurde nichts falsch gemacht.“

Im Fall Benko entfalteten die Interventionen bei der OStA jedenfalls große Wirkung: Sie bildeten eine Grundlage für die Einstellung. So heißt es in der am 5. August 2019 veröffentlichten Einstellungsbegründung: „Bei Prüfung der Verdachtslage berücksichtigte die Oberstaatsanwaltschaft Wien diese Beweismittel.“

Auch der Weisungsrat befasste sich mit der Causa – auch er äußerte keine Bedenken gegen die von der OStA beabsichtigte Einstellung. Auch das wirft Fragen auf. Denn in ihrer Begründung hält die Oberbehörde fest: „Zu einem auf eine bevorzugte Behandlung abzielenden Beeinflussungsversuch wurden von vereinzelten Zeugen Vermutungen geäußert, andere Zeugen verneinten Derartiges wiederum dezidiert.“

Gleich vier Zeugen „vermuteten“ gegenüber der Justiz eine versuchte Beeinflussung durch den Milliardär. Sie waren Anfang September 2011 bei einem Gespräch mit Benko anwesend.  Zur Erinnerung: Im Zentrum des Verdachts gegen Benko stehen eine Besprechung am 6. September 2011 sowie eine Gemeinderatssitzung knapp zwei Wochen später. Benko war damals bei der Gemeinde vorstellig geworden, um über sein geplantes Projekt – ein Luxuschalet in Oberlech – zu sprechen.

„Das wurde von René Benko so artikuliert“

Zwei Themen standen auf der Agenda: die Abgeltung des Vorkaufsrechts der Gemeinde Lech an der Immobilie, die Investor Benko wenige Monate zuvor erworben hatte, sowie baurechtliche Verfahren.

Laut einem Aktenvermerk des Gemeindesekretärs bot Benko 250.000 Euro für die Abgeltung des Vorverkaufsrechts. Außerdem wäre er „bereit, im Rahmen einer zeitlich vernünftigen Abwicklung der Genehmigungsverfahren für sein Projekt im Nachhinein einen Betrag in der Höhe von 250.000 Euro für Projekte der Gemeinde zur Verfügung zu stellen“. Genau darin vermuteten vier der acht damals anwesenden Personen eine mögliche Einflussnahme.

So gab Gemeinderat Stefan Bischof gegenüber der Staatsanwaltschaft an, er habe die Aussage so empfunden, dass René Benko „bereit wäre 500.000 Euro für Rechtssicherheit, nämlich den Verzicht des Ausjudizierens zu bezahlen und damit aber auch gewährleistet haben möchte, dass im Bauverfahren keine Probleme auftauchen.“

Elmar Beiser, damals ebenfalls Gemeinderat, heute Vizebürgermeister von Lech, erklärte, die „weiteren 250.000 Euro seien für überhaupt keine Leistung gestanden“. Ob es sich dabei um einen ernst gemeinten Beeinflussungsversuch gehandelt habe, wisse er nicht, so Beiser weiter; wahrscheinlich wolle man aber den Versuch machen, wenn man „es“ sagt.

Rechtsanwalt Dietmar Fritz, der damals für die Gemeinde an der Besprechung teilnahm, sah laut Einstellungsbegründung keinen Versuch, das Verfahren zu beeinflussen – widersprach sich aber selbst, als er von der Justiz gefragt wurde: „War damit eine Verfahrensbeschleunigung durch die Gemeinde Lech mit einer versprochenen Geldzahlung in Abhängigkeit gestellt?“ Des Anwalts Antwort: „Das wurde von René Benko so artikuliert.“

Sowohl Bischof als auch Beiser und Fritz wollten sich auf DOSSIER-Anfrage nicht dazu äußern. Ziviltechniker und Raumplaner Andreas Falch, der seinerzeit auch anwesend war, war bis Redaktionsschluss nicht für eine Stellungnahme zu erreichen.

Falch gab damals jedenfalls zu Protokoll, dass Benkos Aussage „von den Gemeindevertretern so empfunden worden sei, dass es eine Frechheit sei, über Verfahrensabläufe gegen Geldzahlung zu diskutieren“ – obgleich Falch nicht beurteilen könne, was Benko mit seinem Angebot erreichen wollte.

Für Oberstaatsanwaltschaft und den Weisungsrat war die Suppe zu dünn. Nach Benkos Version wollte dieser stets 500.000 Euro und die Summe einzig für die Abgeltung des Vorkaufsrechts bezahlen – was er am 15. November 2011 auch tat.

„Ein Versuch, die Gemeinde durch ein Angebot von 250.000 in ihrer Verfahrungsabwicklung zu beeinflussen, habe nicht stattgefunden", heißt es in der Einstellungsbegründung. Benko habe „lediglich eine Splittung der Fälligkeit des Betrags von 500.000 Euro, der allein für den Verzicht auf das Ausjudizieren des Vorkaufsrechts vorgesehen war, erreichen wollen.“ Das blieb dem Milliardär verwehrt, er zahlte den Betrag auf einmal. Dafür konnte er s.ein Projekt, das Luxuschalet N, sonst ohne Probleme umsetzen.