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61 Schüsse gibt die rumänische Polizei am 21. April 2024 auf den Mercedes-Sprinter-Transporter ab, während sie ihn durch die rumänische Stadt Dorohoi jagt. Dann erst kommt der Lieferwagen zum Stehen. Wie sich später herausstellt, haben zwei der Kugeln den Fahrer in Schulter und Niere getroffen.
Die Verfolgungsjagd nahe der rumänisch-ukrainischen Grenze dauert keine vier Minuten. Am Ende steigen zwei Polizisten aus ihrem Einsatzfahrzeug und nähern sich dem Transporter. Ein Beamter geht zur Fahrertür, mit vorgehaltener Waffe überprüft er den Lenker. Sein Kollege durchsucht die Ladefläche.
Er findet dort keine Drogen, Waffen oder Geld – aber etwas anderes von großem Wert: fast 100 Gasflaschen, gefüllt mit verbotenem Kältemittel – eingeschmuggelt aus der Ukraine und bestimmt für Klimaanlagen und Kühlräume in Berlin, Paris und Wien.
In jener Nacht in Rumänien zeigt sich die Schattenseite einer globalen Erfolgsgeschichte im Kampf gegen den Klimawandel. Sie beginnt vor fast 40 Jahren in Wien: 1985 unterzeichnen 198 Länder das Wiener Übereinkommen zum Schutz der Ozonschicht, zwei Jahre später werden konkrete Maßnahmen im Montrealer Protokoll festgeschrieben. Die ökologischen Hauptfeinde heißen damals: Fluorchlor-Kohlenwasserstoffe, kurz FCKW.
Sie werden zu jener Zeit in Spraydosen als Treibgas verwendet, als Reinigungsmittel und als Kühlmittel. Doch freigesetzt zerstören sie die Ozonschicht, heizen den Planeten auf und kommen deshalb weltweit auf die schwarze Liste.
Und tatsächlich: Der Plan geht auf. Der Kampf gegen FCKW und den Ozonabbau gilt heute als einer der größten Erfolge der internationalen Umweltpolitik. Doch die Geschichte ist damit nicht zu Ende.
Die Welt drehte sich weiter, und an die Stelle von FCKW traten HFKW, teilhalogenierte Fluorkohlenwasserstoffe. Es sind jene Gase, die im April 2024 auf der Ladefläche in Rumänien gefunden wurden und die sich heute in den meisten Klimaanlagen oder Wärmepumpen finden.
Auch in Österreich, wo sich nach den jüngsten Rekordsommern immer mehr Menschen Klimageräte angeschafft haben. Damit stieg auch die Nachfrage nach HFKW – und das befeuerte wiederum den Schwarzmarkt.
Im Unterschied zu FCKW enthalten HFKW zwar kein Chlor und zersetzen nicht die Ozonschicht. Doch sie sind alles andere als ungefährlich: Gängige HFKW sind mehrere tausend Mal klimaschädlicher als CO2.
Die EU, die USA und andere Industrieländer haben HFKW deshalb bereits zur heißen Ware erklärt – in Europa wird der Handel seit 2015 immer strenger reguliert: Der sogenannte »phase down« sieht vor, die Verfügbarkeit in der EU bis 2036 mit einem Quotensystem um 85 Prozent zu reduzieren und bis 2050 auf null zu bringen.
Der Rest der Welt hat sich verpflichtet, mit rund zehn Jahren Verzögerung nachzuziehen, darunter China, Indien und viele Länder Afrikas. Sie haben mehr Zeit für ihren »phase down« – das ist ein politisches Zugeständnis an die weniger wohlhabenden Regionen der Welt.
Und es ist einer der Gründe dafür, warum seither ein globaler Schwarzmarkt entstanden ist, auf dem Kältemittel geschmuggelt werden wie Kokain – wie in jener Nacht in Rumänien.
Das Land gilt als Einfallstor in die EU. Die geografische Lage macht es zu einem attraktiven Transitland. Es grenzt an Nicht-EU-Länder wie die Ukraine und die Republik Moldau, wo die Kontrollen weniger streng sind. Zudem gibt es in Rumänien viele Unternehmen, die mit Kältemitteln handeln.
76 Tonnen umfasste eine der bisher größten abgefangenen Lieferungen von illegalen Kältemitteln: In mehreren Tranchen hätte die Ware 2020 von der Türkei aus in die EU gelangen sollen. Doch das Europäische Amt für Betrugsbekämpfung wurde auf die Operation aufmerksam und warnte die rumänischen und bulgarischen Behörden.
Die abgefangenen Lieferungen gaben einen seltenen Einblick in das Geschäft der Kältemittel-Schmuggler: Wie Recherchen der rumänischen Investigativplattform Snoop zeigen, dürften auch führende Industrievertreter mit besten Kontakten zur rumänischen Regierung in die illegalen Geschäfte verwickelt gewesen sein.
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