Baukartell: Betrug unter der Brücke

Auf Anordnung der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft wurden Ende Juni zwanzig Hausdurchsuchungen wegen möglicher illegaler Absprachen bei der Errichtung der Heiligenstädter Hangbrücke durchgeführt. Die Justiz ermittelt gegen sechs Firmen und 13 Privatpersonen.

Text: Ashwien Sankholkar

Andere Themen20.7.2021 

Aufgeschoben ist nicht aufgehoben. Am 2. Juni 2020 trudelte im Whistleblower-System der Wirtschaft- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) ein brisanter Hinweis ein: Sechs Bauunternehmen sollen sich bei einem Vergabeverfahren der Stadt Wien Anfang 2020 illegal abgesprochen haben. Konkret ging es um die Errichtung der Heiligenstädter Hangbrücke mit einem Auftragswert von rund 22 Millionen Euro.

Das Bundesamt für Korruptionsprävention und Korruptionsbekämpfung (BAK) wurde noch im Sommer von der WKStA mit Ermittlungen beauftragt und forderte im Oktober 2020 Amtshilfe von der Stadt Wien. Die zuständige Magistratsabteilung 29 (Wiener Brückenbau und Grundbau) lieferte sämtliche Unterlagen aus dem Vergabeverfahren prompt.

Der Verdacht der Ermittler erhärtete sich, doch die Corona-Pandemie verhinderte ein zügiges Vorantreiben der Ermittlungen. Nicht nur polizeiliche Einvernahmen wurden wegen der Lockdowns verschoben, sondern auch zur Aufklärung der Vorwürfe erforderliche staatsanwaltschaftliche Zwangsmaßnahmen. Im Frühjahr 2021 war es dann so weit.

Die Ermittlungen im Baukartell-Strafverfahren (Aktenzahl: 29 St33/16f) wurden ausgeweitet und zwanzig Razzien in Kärnten, Salzburg und Wien angeordnet. Der DOSSIER vorliegenden „Anordnung der Durchsuchung und Sicherstellung“ vom 29. April 2021 zufolge wurden nicht nur die Firmenzentralen der drei größten Baukonzerne des Landes – Strabag, Porr und Swietelsky – sowie der mittelgroßen Baufirmen Leithäusl, Massivbau und Steiner Bau gestürmt. Auch Privatwohnungen von 13 Baumanagerinnen und Baumanagern wurden gefilzt.

Kleidung und Autos der beschuldigten Personen waren laut Anordnung penibel unter die Lupe zu nehmen, denn im Kleiderschrank und im Kofferraum hatten die Kartellermittler in der Vergangenheit immer wieder brisantes Material entdeckt.

Außerdem sollten die Ermittler „Mobiltelefone, Tablets, PC's/Workstations, Laptops, Server, Storage-Systeme, Festplatten, USB-Sticks, Speicherkarten, Sicherungsbänder und andere elektronische Vorrichtungen“ beschlagnahmen.

Im 29 Seiten starken Hausdurchsuchungsbefehl werden die mutmaßlichen Tathandlungen detailliert beschrieben. Oberstaatsanwalt Andreas Bernat ermittelt wegen verbotener wettbewerbsbeschränkender Absprachen nach Paragraf 168b Strafgesetzbuch sowie nun auch wegen des Verdachts des schweren Betrugs.

Was war geschehen?

Die 1973 errichtete Heiligenstädter Hangbrücke, eine vielbefahrene Straße, die Wien und Klosterneuburg verbindet, war in die Jahre gekommen. Massive Schäden an Unter- und Überbau machen eine komplette Erneuerung notwendig.

Also startete die Stadt Wien, konkret die MA 29, Ende 2019 den Vergabeprozess – nur um diesen wenige Monate später wieder abzubrechen. „Im Frühjahr 2020 fiel die Entscheidung zur Neuausschreibung der Bauarbeiten“, heißt es heute dazu auf der Website der Stadt.

Doch wieso wurde abgebrochen? Lag es an den exorbitant teuren Angeboten, die bei der Stadt eingetrudelt sind? Laut Ausschreibungsunterlagen hatte man bei der Stadt den Auftragswert einst auf rund 18,5 Millionen Euro geschätzt – die abgegebenen Angebote waren aber teilweise mehr als doppelt so hoch.

Im Juni 2020 erreicht die WKStA dann der Hinweis, der die jüngst durchgeführten Hausdurchsuchungen auslöst: „Der Anzeiger äußerte den Verdacht, im Zuge des oben genannten Vergabeverfahrens der Magistratsabteilung 29 seien Absprachen zwischen einigen Bietern erfolgt, um die Stadt Wien zur Vergabe zu einer überhöhten Auftragssumme zu veranlassen“, so die Durchsuchungsanordnung.

Und weiter: „Die Beschuldigten hätten sich bei ihrer Tatbegehung den besonderen Ausscheidungsmechanismus zunutze gemacht, den die Stadt Wien verwendet habe, um sowohl offensichtlich überhöhte als auch offensichtlich unterpreisige Angebote ohne großen Aufwand ausscheiden zu können.“

Der Teufel steckt im Median

Der Mechanismus ist simpel: Wer 30 Prozent über oder unter dem Medianpreis liegt, wird automatisch ausgeschieden. Mit Median wird in der Statistik der Wert bezeichnet, der genau in der Mitte der Datenverteilung liegt. Doch der Automatismus ist korruptionsanfällig.

Durch den von der MA 29 „gewählten automatischen Ausscheidemechanismus ergibt sich eine Manipulationsmöglichkeit für die Bieter. Wenn genügend Bieter überhöhte Angebote abgeben, verschiebt sich der Median nach oben und realistische, günstigere Angebote werden automatisch ausgeschieden. Als ‚günstigstes‘ Angebot verbleibt dann nur mehr das günstigste von den abgesprochenen Angeboten übrig“, so die Durchsuchungsanordnung.

Folgende Angebotssummen wurden für die Heiligenstädter Hangbrücke abgegeben:

1

Bietergemeinschaft Strabag / Swietelsky

44.396.810,52 Euro

2

Porr Bau

42.300.648,28 Euro

3

Bietergemeinschaft Massivbau/Leithäusl

41.228.883,72 Euro

4

Steiner Bau

38.640.842,14 Euro

5

Baugesellschaft Implenia

28.618.240,72 Euro

6

Hochtief Infrastructure

25.126.128,72 Euro

Bei einer geraden Anzahl an Bietern wird aus den mittleren Angeboten ein Durchschnittswert gebildet und von diesem die 30-Prozent-Schwankungsbandbreite errechnet. Im konkreten Fall wurden die Offerte von Massivbau/Leithäusl und Steiner herangezogen und 39,9 Millionen Euro als Referenzwert kalkuliert. Dazu heißt es in der Durchsuchungsanordnung:

Im gegenständlichen Fall war dies jenes der Steiner Bau GmbH. Daraus ergibt sich der begründete Verdacht, dass die beschuldigten Unternehmen Strabag AG, Swietelsky AG, Leithäusl GmbH, Porr Bau GmbH, Massivbau GmbH und Steiner Bau GmbH vereinbart haben, den geschätzten Auftragswert weit zu überbieten, um den Median künstlich zu erhöhen. Diese Absprache diente dazu, die nicht an der Absprache beteiligten Unternehmen – Implenia Baugesellschaft und Hochtief Infrastructure GmbH –, die realistische Angebote nahe dem geschätzten Auftragswert gelegt haben, aus dem Vergabeverfahren auszuscheiden. Dazu musste lediglich eine ausreichende Zahl an Bietern weit über dem Median anbieten.

Immens hohe Einzelpositionen

Eine Detailanalyse der Offerte durch BAK und WKStA ergab weiter, dass Strabag, Porr und Co willkürlich einzelne Positionen exorbitant hoch angesetzt haben dürften, um eine hohe Angebotssumme zustande zu bringen.

Zwei Beispiele: Die Strabag veranschlagte „Baustellengemeinkosten“ mit rund 13 Millionen Euro und lag damit zehn Millionen Euro über dem Wettbewerbspreis der Hochtief Infrastructure GmbH. Die Porr wiederum schraubte die Kalkulation für ein „wasserdichtes Arbeits- und Schutzgerüst“ derart nach oben, dass es um fünf Millionen über dem Angebot des Billigstbieters lag. Das auffällige Ergebnis bei diesen Positionen: Die Strabag lag um das 19,5-Fache und die Porr um das Zehnfache über der Kostenschätzung der Stadt Wien.

„Bei einer lebensnahen Betrachtung der von den Beschuldigten vorgelegten Angebote ergibt sich der konkrete Verdacht, dass es zwischen den beschuldigten Unternehmen zu wettbewerbswidrigen Vereinbarungen/Absprachen im Vorfeld der Angebotslegung gekommen ist“, schreibt Oberstaatsanwalt Bernat, der gegen das mächtige Baukartell ermittelt.

Porr, Strabag und Steiner bestreiten die Vorwürfen des versuchten Betrugs und der illegalen Absprache.

„Wir haben die Vorwürfe sofort intern prüfen lassen“, sagt Porr-General Karl-Heinz Strauss gegenüber DOSSIER. „Der forensische Bericht wurde mir diese Woche zugestellt und ist entlastend. Wir haben uns nichts vorzuwerfen.“

Diana Klein, Pressesprecherin der Strabag: „Wir haben durch eine Hausdurchsuchung vom Projekt Heiligenstädter Hangbrücke, bei dem wir als Teil eines Konsortiums mit einem anderen österreichischen Unternehmen angeboten haben, erfahren. Die internen Ermittlungen wurden umgehend aufgenommen. Bis dato haben sie keinerlei Hinweise zutage gefördert, die auf ein Fehlverhalten eines Angehörigen unseres Unternehmens hinweisen.“

Steiner-Bau-Chef Wolfgang Steiner: „Ich bin von den Beamten einvernommen worden. Mehr habe ich nicht zu sagen.“ Die Vertreter der Baufirmen Leithäusl, Massivbau und Swietelsky waren für Stellungnahmen nicht erreichbar.

Absprachen mit System

Fakt ist: Die Hangbrücke am Wiener Stadtrand ist kein Einzelfall.

„Nach der Verdachtslage besteht in Österreich ein langjähriges, fest im Wirtschaftsleben verankertes System von wettbewerbsbeschränkenden Absprachen bei Vergabeverfahren vorwiegend im Bereich des Tief- und Straßenbaus, an dem überwiegend marktführende österreichische Bauunternehmen beteiligt, aber auch eine Vielzahl von mittelständischen Unternehmen wiederholt eingebunden sind“, heißt es in einem WKStA-Statement gegenüber DOSSIER.

Die Hangbrücke ist laut WKStA nur ein Beispiel, dass in der Baubranche etwas gehörig falsch läuft: „Durch dieses System dürfte über einen Zeitraum von zumindest einem Jahrzehnt bei hunderten von Bauvorhaben der Sinn und Zweck von Vergabeverfahren, nämlich Bauprojekte, die überwiegend mit Steuergeldern finanziert werden, möglichst kostengünstig abzuwickeln, unterlaufen worden sein.“

Im vergangenen Jahr wurden zwar laut WKStA-Mediensprecherin Elisabeth Täubl „Strafanträge gegen 23 Angeklagte wegen Vorteilsannahme zur Beeinflussung und wegen Vorteilszuwendung zur Beeinflussung beim Landesgericht Klagenfurt und Landesgericht für Strafsachen Graz eingebracht“. Doch das Strafverfahren ist noch längst nicht abgeschlossen, wie die Causa Heiligenstädter Hangbrücke nahelegt.

Im Ermittlungsverfahren wurden 1.500 Bauvorhaben geprüft. Bei Razzien in den Jahren 2017 und 2018 sei „umfangreiches Beweismaterial sichergestellt“ worden, so Täubl. Aktuell stehen „680 namentlich bekannte Beschuldigte, darunter circa 135 Verbände“ im Visier. Geprüft wird nicht nur der Verdacht auf wettbewerbsbeschränkende Absprachen, sondern seit kurzem auch auf schweren Betrug.

Letzteres könnte für geständige Managerinnen und Manager ein böses Nachspiel haben. Mit den Geständnissen haben sie die Schuld auf sich genommen und ihr Unternehmen vor einer Anklage nach dem Unternehmensstrafrecht gerettet, doch wegen der Ausweitung der Kartellermittlungen auf schweren Betrug drohen ihnen nun bis zu zehn Jahre Gefängnis.

Kooperation zur Show?

Die Bundeswettbewerbsbehörde (BWB) hat im Oktober 2020, im April 2021 und im Juli 2021 weite Teile des seit 2017 laufenden Baukartellverfahrens abgeschlossen. Die kartellrechtlichen Ermittlungen umfassen den Zeitraum 2002 bis 2016 und wurden parallel zum WKStA-Strafverfahren geführt. Die BWB-Verfahren endeten mit Bußgeldanträgen gegen Porr und Strabag. Letztere kam mit 45,37 Millionen Euro Geldstrafe gelinde davon.

„Strabag kooperierte kontinuierlich und umfassend im Rahmen des Kronzeugenprogrammes“, begründete die BWB den Antrag auf eine gemilderte Geldbuße. „Zudem wurde durch Strabag ein zertifiziertes Compliance-System in Verbindung mit einem neuartigen Monitoring-System eingeführt, um zukünftige Zuwiderhandlungen gegen das Kartellverbot hintanzuhalten.“

Bei der Hangbrücke sind Ermittler der WKStA wohl anderer Meinung.