Wenn der Filz zum Gesetz wird

Mehrfachfunktionen und Interessenkonflikte prägen Österreichs Sportförderung. Des Sportministers neue Gesetz wird das nicht ändern.

Text: Johann Skocek

Aktuelles21.6.2017 

Manche Menschen lassen komplexe Zusammenhänge einfach erscheinen. Wenn Marcel Hirscher Slalom fährt, verschwinden Risiken, Leiden und Techniktüfteleien hinter harmonischen Bewegungen, die Publikum und TV-Kommentatoren begeistern. Abseits von Pisten und Torstangen bleiben Zusammenhänge in der medialen Berichterstattung oft auf der Strecke; selbst wenn sie sich ebenso anschaulich an Menschen zeigen: an Werner Nachbauer zum Beispiel.

Nachbauer tüftelt nicht nur an Marcel Hirschers Rennsportausrüstung und erforscht, wie Ski gleiten. Er ist Professor für Biomechanik an der Universität Innsbruck und geht der Optimierung des Zusammenspiels von Körper und Sportgeräten nach. Dafür erhält er neben seinem Einkommen von der Uni auch Geld vom Österreichischen Skiverband (ÖSV). Nebenbei sitzt er im Sportfördergremium „Team Rot-Weiß-Rot (TRWR) des Sportministeriums, das Jahr für Jahr über rund vier Millionen Euro Förderungen an Spitzensportler verteilt. Unter anderem an Athleten des Skiverbandes.

Gesetz im Sportausschuss

An Werner Nachbauer wird ein in Österreich weit verbreitetes System sichtbar: Interessen sind nicht voneinander abgegrenzt – und man kennt sich. Bereits 2009 kritisierte der Rechnungshof, dass Vertreter der Sportorganisationen als Förderempfänger auch die Fördervergabe kontrollieren. Die Kritik verhallte ungehört.

Die Unvereinbarkeiten im Sportförderwesen konnte Österreichs Politik bisher noch nicht auflösen. Sportminister, die sich an den Personalunionen von Fördergeldempfängern und -verteilern störten, fanden keinen Weg, damit Schluss zu machen. Hans Peter Doskozil (SPÖ), der Anfang 2016 das Amt des Sportministers übernahm, auch nicht.

Nach der mit einer Bronzemedaille mäßigen Ausbeute bei den Olympischen Sommerspielen in Rio kündigte Doskozil im August 2016 eine fundamentale Reform der Bundessportförderung an. Nun soll das Gesetz am 21. Juni im Sportausschuss des Nationalrats abgenickt werden. Auch wenn der Ausschussvorsitzende Dieter Brosz (Grüne) Einwände erhebt, genügt die einfache Mehrheit von SPÖ/ÖVP im Nationalrat. Um diese hatten die Regierungsparteien wenige Wochen zuvor noch gerungen.

Denn zwei Organisationen protestierten gegen Doskozils ersten Entwurf, der Österreichische Skiverband und das Österreichische Olympische Comité (OÖC). Sie verlangten höhere Förderungen und mehr Einfluss im Fördervergabeprozess – und setzen sich schließlich mit der Hilfe des Innenministeriums durch, dazu aber später.

Doskozil öffnete auch die Unvereinbarkeitsregelungen im Gesetzesentwurf, sodass nun Ehrenamtliche wie ÖSV-Präsident Peter Schröcksnadel in den über Förderzusagen bestimmenden Gremien, nämlich den Kommissionen für Breiten- sowie für Leistungs- und Spitzensport, sitzen dürfen. Dabei zeigen gerade Schröcksnadel und andere Vertreter des ÖSV, wohlgemerkt ein privater Verein, immer wieder, wie sie zu Transparenz und Unvereinbarkeiten stehen.

Win-win-win-Situation

Auch Professor Nachbauer kann an seinen Mehrfachtätigkeiten nichts Unrechtes entdecken. „Ich berate bei der Vergabe der Fördergemeinschaft und vergebe keine Gelder“, schreibt er. „Meine Verbindung zum ÖSV ist allseits bekannt. Wo bitte soll sich daher eine Unvereinbarkeit ergeben?“ Die Antwort ist einfach. Dadurch, dass eine Person, die vom ÖSV bezahlt wird, Steuermittel in dessen Richtung (mit)lenken kann. Zudem fließt das Geld in beide Richtungen: Denn Nachbauer, oder besser gesagt seine Universität, bekommt auch vom ÖSV Geld.

Als Professor am Institut für Sportwissenschaften an der Universität Innsbruck leitet Nachbauer das Technologiezentrum Ski- und Alpensport, das der Universität, dem Österreichischen Skiverband (zu je 30 Prozent), dem Rodelverband (10 Prozent) und einem „Verein der Unternehmen“ des Technologiezentrums (30 Prozent) gehört. In diesem Verein verknüpfen Skifirmen und andere Sportartikel- und Technologieunternehmen ihre Interessen an den Endabnehmern und der universitären Forschung und Entwicklung.

Der ÖSV lässt sich die Nutzung von öffentlichen Forschungseinrichtungen Geld kosten. Dem universitären Sektor seinerseits sind Drittmittel von Privaten immer willkommen. Nach Auskunft der Uni Innsbruck hat der ÖSV der Uni seit 2004 insgesamt rund 800.000 Euro „Forschungsfördermittel“ überwiesen. Ungefähr so viel, wie der ÖSV-Star und sechsfache Weltcupsieger Marcel Hirscher in einem Jahr an Preisgeldern verdient.

Die Verbindungen zwischen Nachbauer und ÖSV gehen weit zurück: In Innsbruck erzählt man, dass der Professor schon als Student für den Skiverband Ski testete und sich damit ein paar Schilling verdiente. Wie viel er heute, 40 Jahre später, bekommt, sagt Nachbauer nicht: Er will über „die finanzielle Seite der Zusammenarbeit mit dem ÖSV“ keine Auskunft geben.

Das ist sein gutes Recht. Die Universität Innsbruck bestätigt, dass Nachbauer die Nebentätigkeit gemeldet hat, sie verletzt keine Dienstvorschrift. Peter Schröcksnadel verweigert dennoch zu Nachbauers Arbeit und Beziehung zum ÖSV eine Stellungnahme.

Schröcksnadels Spiele

ÖSV-Präsident Peter Schröcksnadel ist das prominenteste Beispiel für das verfilzte System der österreichischen Sportförderung: Fördermittelverteiler und -empfänger, Verbandspräsident und Sportlervermarkter alles in einem. Die Ankündigung von Minister Doskozil, die Bundessportförderung fundamental zu reformieren, war auch ein Schuss vor seinen Bug.

Denn Schröcksnadels Einfluss geht weit über den Skisport hinaus: Doskozils Vorgänger, Sportminister Gerald Klug (ebenfalls SPÖ), hatte 2013 ausgerechnet den ÖSV-Funktionär Schröcksnadel „gebeten“, die „Koordinierungsfunktion“ für das Sommersportprojekt „Rio 2016“ zu übernehmen. Damit hatte sich Klug mit einem Schlag alle potenziellen Wickel mit dem mächtigsten Sportfunktionär des Landes vom Hals geschafft, gleich dem Prinzip: „If you can't beat them, join them.“ 

Die Rechnung „mehr Subvention = mehr Medaillen“ ging nicht auf. Im August 2016 war der Schmerz über das Versagen bei den Olympischen Sommerspielen in Rio noch frisch. Trotz Spitzensportförderung von rund 40 Millionen Euro im Jahr und einer jährlichen Zusatzförderung für Olympia-Kandidaten von rund fünf Millionen kam das Team mit einer einzigen Bronzenen nach Hause.

Da man vier Jahre zuvor in London gar keine Medaille gewonnen hatte, handelte es sich wohl um die teuerste Plakette aller Zeiten. Geschätzte Kosten: 100 Millionen Euro für eine Bronzemedaille. Der TV-Sender Puls 4 hat ihr und einem weiteren Mehrfachfunktionär vom Österreichischen Olympischen Comité (ÖOC) eine Episode der Sendereihe „Bist du deppert“ gewidmet: Peter Mennel.

Die ÖSV-ÖOC-Achse

Schröcksnadel ist Vizepräsident des Österreichischen Olympischen Comités (ÖOC), der dort für das Tagesgeschäft zuständige ÖOC-Generalsekretär Peter Mennel dient dem ÖSV wiederum als Finanzreferent. Den Vorarlberger Skiverband leitet Mennel als Vizepräsident und die Eishockey-Bundesliga als Präsident.

Das Problem ist die Personalunion von Fördergeber und -nehmer und Förderungsabrechner. Zum Beispiel bei der Vorbereitung auf die Olympischen Jugendspiele. Mennel kontrolliert als ÖSV-Finanzreferent Fördergelder, die er dem ÖSV als ÖOC-Generalsekretär überweisen hat lassen. Ähnliches gilt für die Eishockey-Bundesliga und die aus Spielern der Klubs zusammengesetzte Nationalmannschaft, wenn sie zu Olympischen Winterspielen fährt.

Zurück zu Doskozils Reformversuch: Ausgerechnet ÖSV und ÖOC, in denen Schröcksnadel und Mennel da wie dort gewichtig mitreden, hatten gegen den Vorschlag des Ministers Einwand erhoben. Sie ließen nicht locker, bis ihre Forderungen im Gesetzesentwurf standen. Wie das funktionierte, lässt sich anhand der parlamentarischen Stellungnahmen zum Gesetzesentwurf nachvollziehen.

Hilfe kam aus dem Innenministerium unter Minister Wolfgang Sobotka (ÖVP), das als „Spiegelministerium“ von Doskozils Heeres- und Sportministerium von Anfang an in die Verhandlungen eingebunden war und eine vernichtende Stellungnahme abgab. Durch das Gesetz

„können die intendierten Ziele, nämlich leistungs- und wirksamkeitsorientierte Vergabe sowie Erhöhung von Effizienz und Transparenz bei der Mittelvergabe bei gleichzeitiger Verwaltungsvereinfachung, nicht umgesetzt werden“.

Außerdem fände das ÖOC nicht „den gebührenden Stellenwert“. Im Text, den schließlich SPÖ und ÖVP dem Parlament vorlegten, sind diese Punkte „korrigiert“.

Unvereinbarkeiten im Gesetz

Kernstück von Doskozils Reform ist eine neu einzurichtende Bundes-Sport-GmbH. Die 100-Prozent-Tochter der Republik ersetzt den von Sportminister Klug 2013 eingerichteten Bundessportförderungsfonds (BSFF) und das Spitzensportsubventionsinstrument „Team Rot-Weiss-Rot“, in dem auch Werner Nachbauer mitarbeitet.

Ein wirtschaftlicher und ein sportlicher Geschäftsführer werden die GmbH leiten. Sie erarbeiten mit den Förderwerbern die (für vier Jahre gültigen) Förderpläne. Doch sie entscheiden nicht über die Förderungen, sondern sie legen ihre Vorhaben je einer Kommission für Breiten- und Spitzensport vor. In dieser sitzen wiederum zwei Vertreter des Ministeriums und vier Vertreter von Sportorganisationen, weshalb der Rechnungshof in einer Stellungnahme festhält: „Um allfällige Unvereinbarkeiten zu vermeiden, sollte den Vertretern von Förderempfängern lediglich eine beratende Funktion zukommen.“ 

Auch die Besetzung des Aufsichtsrates sieht der Rechnungshof kritisch. Hier hatte das ÖOC einen Sitz für sich reklamiert – und bekommen. Dass das nunmehr einzige Kontrollgremium „mit Vertretern der Sportorganisationen, welche gleichzeitig auch Förderempfänger sind“, besetzt ist, sei problematisch. Der Rechnungshof verweist auf den Public-Corporate-Governance-Kodex des Bundes, dem zufolge ein

„Mitglied des Überwachungsorgans (...) nicht sein (darf), wer in einer geschäftlichen oder persönlichen Beziehung zum Unternehmen oder dessen Geschäftsleitung steht, die einen nicht nur vorübergehenden Interessenkonflikt begründet.“

Wegen Misserfolgs verlängert

Unvereinbarkeit hin, Interessenkonflikt her, das Gesetz ist auf Schiene. Bereits Mitte Mai 2017 verkündete Minister Doskozil im Spiegelsaal des „Haus des Sports“ gemeinsam mit drei der ÖVP zuzurechnenden Sportfunktionären eine Neuigkeit, die eigentlich gar keine war: Maria Rauch-Kallat (ÖVP), Präsidentin des Österreichischen Paralympischen Committees, und Peter Mennel klatschten Beifall für die Botschaft des Ministers, dass erneut Peter Schröcksnadel das „Olympia-Projekt 2020“ leiten werde, zumindest bis zum 1. Jänner 2018.

Bis zum voraussichtlichen Inkrafttreten des neuen Gesetzes, demzufolge die Steuerung des Olympiaprojekts von anderen übernommen werden soll, verteilt Schröcksnadels Übergangsregime also wieder eine Sonderförderung für Olympiasportler von fünf Millionen Euro pro Jahr. Die misslungenen Olympischen Sommerspiele 2016 waren einst Anlass für Doskozils Reformschwur. Warum erhielt nun ausgerechnet Schröcksnadel, der das Olympiaprojekt „Rio 2016“ in den Sand gesetzt hatte, das Vertrauen des Ministers?

Alles beim Alten - nicht ganz

Während die mächtigen Organisationen wie das ÖOC und der ÖSV auch in Zukunft kräftig mitentscheiden, müssen sich die heimischen Sportfachverbände womöglich nicht nur mit dem alten Filz abfinden, sie haben noch die Bevormundung durch das ÖOC zu befürchten. Denn dessen „Olympiazentren“ stehen als förderwürdige Einrichtungen im Gesetz.

Das sind Anlaufstellen in sechs Bundesländern, in denen Sportlern verschiedenste medizinische und trainingswissenschaftliche Services geboten werden. Bundesmittel können künftig in Landeseinrichtungen fließen. Der Hochleistungssport braucht hochwertige, zentrale Betreuungseinrichtungen, Österreich marschiert jedoch rückwärts in die alten Zeiten. Stattdessen feiern provinzielle Denke und Föderalismus fröhliche Auferstehung.

Das ÖOC verfügt über keine medizinische oder sportwissenschaftliche Qualifikation, um „Olympiazentren“ zu zertifizieren und Sportlern ihre Nutzung vorzuschreiben. ÖOC-Generalsekretär Mennel tut das dennoch.

Einzig Werner Nachbauer wird seine Funktion als Fördergeldverteilungsberater im „Team Rot-Weiß-Rot“ wohl verlieren. Das System, für das auch er steht und das vom Rechnungshof zum wiederholten Male beanstandet wird, bleibt mit der Reform unangetastet. Der Sportförderfilz hat nun ein Gesetz, auf das er pochen kann.

Teaserbild: Manfred Werner, Austrian Airlines, SPÖ Presse und Kommunikation