Verdächtige Verschiebungen

Die Staatsanwaltschaft Wien ermittelt erneut gegen Martin Ho. Angezeigt wurde er vom Masseverwalter einer insolventen Firma, die früher Teil seiner Dots-Gruppe war. Ermittelt wird wegen betrügerischer Krida.

Text: Ashwien Sankholkar

Aktuelles3.5.2024 

Aufmacherfoto: Christian Jobst/ Leisure Communications

Die Staatsanwaltschaft (StA) Wien hat Martin Ho erneut im Visier. Auslöser ist der Konkurs einer Gesellschaft, die früher zu seiner Firmengruppe Dots gehörte. »Es wurde ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts nach Paragraf 156 Strafgesetzbuch eingeleitet«, bestätigt StA-Wien-Sprecherin Nina Bussek gegenüber DOSSIER. »Martin Ho wird als Beschuldigter geführt.« Ermittelt wird wegen betrügerischer Krida, also des Herbeiführens der Zahlungsunfähigkeit zum Schaden von Gläubiger·innen. Bei einer mutmaßlichen Schadenssumme von über 300.000 Euro liegt der Strafrahmen bei bis zu zehn Jahren Gefängnis. 

»Die Sachverhaltsdarstellung ist Anfang Dezember 2023 eingelangt«, sagt Bussek. Der vom Masseverwalter der Red Snapper Butter GmbH (ehemals: Chin Chin Gastronomie GmbH) eingebrachte Schriftsatz liegt DOSSIER exklusiv vor. Das fünfseitige Papier beschreibt, wie die Gesellschaft schrittweise in die Insolvenz gesteuert worden sein soll. Vermögen soll aus der Firma abgezogen worden sein, wodurch Gläubiger·innen geschädigt wurden, so der Vorwurf. Mehr als eine Million Euro sei laut Masseverwalter vor der Insolvenz zu Gesellschaften im Einflussbereich von Martin Ho verschoben worden. 

»Sämtliche in der Sachverhaltsdarstellung erhobenen Vorwürfe weisen wir als haltlos zurück«, sagt Alexander Khaelss-Khaelssberg, Mediensprecher von Martin Ho, gegenüber DOSSIER. »Wir gehen davon aus, dass das Ermittlungsverfahren eingestellt wird. Inhaltliche Details zu einem laufenden Verfahren werden von uns in der Öffentlichkeit nicht kommentiert.«

Rote Zahlen mit Red Snapper 

Im Zentrum der Vorwürfe steht die Red Snapper Butter GmbH, die bis November 2022 der Dots Beteiligung GmbH von Martin Ho und einer kleinen Gruppe von Dots-Managern gehörte – damals noch unter dem Namen Chin Chin Gastronomie GmbH. Kurz nach der Abtretung der Geschäftsanteile an den Ho-Freund Tarik E. wurde die Firma umbenannt. Im Juni 2023 ging das Unternehmen dann überraschend in Konkurs, und der Rechtsanwalt Clemens Richter wurde vom Wiener Handelsgericht zum Masseverwalter bestellt. Dem Advokaten fielen im Zuge der insolvenzrechtlichen Aufarbeitung einige verdächtige Verschiebungen auf, etwa Vermögenstransfers und Geldüberweisungen von Red Snapper an andere Ho-Firmen. 

»Aus der Gegenüberstellung der Zahlungseingänge und Zahlungsausgänge zwischen der Schuldnerin und der Dots Beteiligung GmbH und der Hogallery GmbH (eine weitere Tochter der Dots Beteiligung GmbH, Anm.) ergibt sich, dass im Zeitraum von März 2021 bis April 2023 von der nunmehrigen Schuldnerin Zahlungen an die Dots Beteiligung GmbH in Höhe von insgesamt 639.516,84 Euro sowie an die Hogallery GmbH Zahlungen in Höhe von 433.700,04 Euro geleistet wurden«, heißt es in der Sachverhaltsdarstellung. 

Bei der Überprüfung der Zahlungen sei der Masseverwalter »auf zahlreiche nicht nachvollziehbare Überweisungen gestoßen«. Deshalb bat er die Dots-Anwälte um Aufklärung und forderte die Übermittlung von Kauf- und Darlehensverträgen sowie sonstiger Vereinbarungen, doch »trotz ausdrücklichen Hinweises auf ihre Mitwirkungspflicht im Insolvenzverfahren gemäß den Paragrafen 99ff Insolvenzordnung« sei nichts zurückgekommen, wie der Masseverwalter schriftlich festhält. »Vor dem gesamten dargestellten Sachverhalt ist es umso befremdlicher, dass dem Einschreiter trotz wiederholter Aufforderung seitens der vormaligen Geschäftsführer und der vormaligen Gesellschafterin zu den gestellten Fragen (...) keine Auskünfte erteilt und den Sachverhalt erhellende Unterlagen vorgelegt werden.«

Verdacht der Insolvenzverschleppung

Die Staatsanwälte prüften die Sachverhaltsdarstellung des Masseverwalters und sehen einen begründeten Anfangsverdacht, dass eine Insolvenz verschleppt worden sein könnte. Dass die Red Snapper Butter GmbH schon seit 2020 in einer finanziellen Krise steckt, wird durch DOSSIER-Recherchen im Firmenbuch gestützt. Die Gesellschaft weist in den Jahresabschlüssen 2020 beziehungsweise 2021 ein negatives Eigenkapital von rund 321.000 Euro beziehungsweise rund 304.000 Euro aus. 

Im Jahresabschluss 2020 führte Martin Ho als Geschäftsführer zur Frage, ob eine Überschuldung im Sinne des Insolvenzrechtes vorliegt, aus: »Eine Überschuldung im Sinne des Insolvenzrechtes besteht nicht, weil eine positive Fortbestehensprognose besteht.« 

Ein Jahr später verhinderten die Gesellschafter mit einer Art Zusicherung eine Insolvenz. Zitat aus dem Jahresabschluss 2021: »Die Gesellschafter haben verbindlich erklärt, die Finanzierung der Gesellschaft zu sichern und in Höhe der jeweils bestehenden Überschuldung mit Forderungen an die Gesellschaft, die zum Bilanzstichtag in Höhe von 508.408,73 Euro bestanden, hinter die Ansprüche aller anderen Gläubiger zurückzutreten.« Laut Jahresabschluss 2021 hatte die Firma rund 1,77 Millionen Euro an Verbindlichkeiten. 

Gastrofirma um 10 Euro

Trotz der schlechten Bilanz fand sich damals ein Käufer für die desolate Firma – wenn auch für einen symbolischen Preis: Im November 2022 wurde die Chin Chin Gastronomie GmbH laut Sachverhaltsdarstellung des Masseverwalters »um einen symbolischen Betrag von zehn Euro« an den Privatmann Tarik E. verkauft. Der Freund von Martin Ho änderte kurze Zeit später den Firmennamen in Red Snapper Butter GmbH, wie DOSSIER im Jänner 2023 berichtete. 

Was veranlasste  Tarik E. dazu, den defizitären Gastrobetrieb mit der miserablen Bilanz zu übernehmen? Tarik E.s Antwort warf für den Masseverwalter weitere Fragen auf: »Konfrontiert mit den näheren Hintergründen für den Erwerb (der Chin-Chin-Anteile, Anm.), gab er an, grundsätzlich keine Erfahrungen in der Gastronomie zu haben, bislang habe er hauptsächlich Autos vermietet«, heißt es in der Sachverhaltsdarstellung. »Er selbst sei auch mehrere Tage geschäftlich in Polen und konnte sich daher um die Geschäfte der Schuldnerin nicht selbst kümmern. Über den Verbleib der Buchhaltung konnte er keine Angaben machen.«

Der Masseverwalter hatte eine Vermutung und brachte diese zur Anzeige: »Es verdichtet sich zunehmend der Verdacht, dass die Übertragung der Gesellschaftsanteile lediglich zu dem Zweck erfolgt ist, die Dots-Gruppe nicht mit einer Insolvenz in Verbindung zu bringen«, heißt es in der Sachverhaltsdarstellung. »Die Überprüfungen haben nämlich ergeben, dass die Schuldnerin (Chin Chin bzw. Red Snapper, Anm.) offenkundig zum Zeitpunkt der Übertragung der Gesellschaftsanteile und Übernahme der Geschäftsführung durch Tarik E. längst materiell insolvent gewesen ist.« Nun ermittelt die Staatsanwaltschaft.

Verfahrenseinstellung zu Weihnachten

Die Staatsanwaltschaft Wien hatte Martin Ho bereits in jüngerer Vergangenheit im Visier: Im März 2022 berichtete DOSSIER über den Betrugsverdacht gegen Martin Ho und im August 2022 über gefälschte Unterschriften bei Corona-Kurzarbeits-Anträgen.

Schon damals geriet auch die Gastrofirma Chin Chin in den Fokus. Zeitnah zu den DOSSIER-Berichten trat Martin Ho als Geschäftsführer der Dots Beteiligung GmbH und der Chin Chin Gastronomie GmbH (heute Red Snapper) zurück. Verkauft wurde der Rücktritt damals als »innerbetriebliche Strukturoptimierungen« (Khaelss-Khaelssberg).

Das Strafverfahren aus dem Jahr 2022 wurde von der Staatsanwaltschaft Wien zu Weihnachten eingestellt. Betrügerische Handlungen konnten Martin Ho und Co nicht nachgewiesen werden, wie aus der Einstellungsbegründung vom 6. Februar 2024 hervorgeht. 

Bei den neuen Ermittlungen geht es nun um die mutmaßliche Verletzung von Gläubiger·inneninteressen – insbesondere um die Frage, ob durch das Absaugen von Geld aus dem Unternehmen die Gläubiger·innen bzw. das Arbeitsmarktservice (AMS) Wien übervorteilt wurden.

Verschwundenes Vermögen  

Im Insolvenzverfahren haben 16 Gläubiger·innen Forderungen in der Höhe von 1,3 Millionen Euro angemeldet. »Zum Zeitpunkt der Eröffnung des Konkursverfahrens war die Schuldnerin (...) völlig vermögenslos«, schreibt der Masseverwalter. Im Jahr 2021 verfügte die Red Snapper noch über rund 452.000 Euro Anlagevermögen.

»Insbesondere wurden in die beiden von der Schuldnerin offenbar betriebenen Geschäftslokale ›One of One‹ und ›404 Don’t ask why?‹ bauliche Investitionen in Höhe von 127.318,58 Euro getätigt. Hinzu kommen Betriebs- und Geschäftsausstattung«, so der Masseverwalter. Die sonstigen Forderungen beziffert er mit rund 452.000 Euro. Mittlerweile sei die Firma laut Sachverhaltsdarstellung jedoch ohne Vermögen.  

»Somit begründet sich anhand der Bilanz der (...) massive Verdacht, dass es hier zu Vermögensverschiebungen zulasten der Schuldnerin auf Gesellschaften der Dots-Gruppe gekommen ist«, schreibt der Masseverwalter. »Es wurde offenbar das gesamte Anlagevermögen übernommen.« Wurde die Gesellschaft vor dem Konkurs leergeräumt?

AMS meldet Verstöße gegen Förderbestimmungen

Zu den Gläubiger·innen von Red Snapper zählt auch das AMS Wien. Aus einer Meldung an den Masseverwalter geht hervor, dass »massive Verstöße gegen die Förderbestimmungen geltend gemacht werden und aus diesem Grund die gewährte Kurzarbeitshilfe über insgesamt 605.261,76 Euro« zurückgefordert werde. Die Finanzprokuratur hat die Forderungen für das AMS Wien im Insolvenzverfahren geltend gemacht.

»Auch aus dieser Rückforderung wird ersichtlich, dass die Red Snapper Butter GmbH, vormals Chin Chin Gastronomie GmbH, im Jahr 2022 längst zahlungsunfähig und insolvenzrechtlich überschuldet gewesen sein muss«, schreibt der Masseverwalter. »All dies bekräftigt den Verdacht, dass unzulässige Vermögensverschiebungen stattgefunden haben und letztlich der Verkauf der Gesellschaftsanteile an Tarik E. lediglich mit dem Motiv erfolgte, die Insolvenz zu verschleppen.« Tarik E. war für eine Stellungnahme gegenüber DOSSIER nicht erreichbar.

Der Masseverwalter hat sich als Vertreter der Red Snapper Butter GmbH dem Strafverfahren als Privatbeteiligter angeschlossen. Vorerst wurde ein Schaden von 650.000 Euro zuzüglich Zinsen geltend gemacht. Eine Ausdehnung der Privatbeteiligtenansprüche behält er sich ausdrücklich vor. Immerhin haben die Ermittlungen erst begonnen.