Die Standbescherung

Vom Christkindlmarkt auf dem Wiener Rathausplatz profitieren trotz angeblicher Transparenzoffensive ein paar Auserwählte besonders: Organisator Akan Keskin, seine Tochter und Parteifreunde. Sie betreiben lukrative Gastro-Stände an den besten Plätzen.

Text: Julia Herrnböck und Florian Skrabal

Aktuelles12.12.2019, aktualisiert: 14.12.2019

*Erratum: In einer früheren Version haben wir Alexander Hengl fälschlicherweise als Leiter des Wiener Marktamts angeführt. Hengl ist der Leiter Koordination und Pressesprecher. Direktor des Marktamts ist seit 2018 Andreas Kutheil. Wir bitten um Entschuldigung.

Der Stand mit der Nummer 150 ist ein wahres Wiener Weihnachtswunder – hier gibt es die Bescherung nicht nur an einem Tag, sondern sechs Wochen lang. Von Mitte November bis 26. Dezember fließt der Punsch in Strömen. Vier Euro kostet die Tasse, nochmal so viel blättert man als Pfand für das Häferl hin. Nicht wenig, doch auch wenig verwunderlich, schließlich berappt man den Preis an allen Punschständen auf dem größten und prominentesten Adventmarkt des Landes, dem Christkindlmarkt auf dem Wiener Rathausplatz. Es sind die Lage des Standes 150, dessen Betreiber und die Art der Vergabe, die die Hütte so besonders machen.

Das Häuschen steht ein wenig abseits vom Trubel, dafür umso exklusiver genau zwischen dem Kleinen Wiener Eistraum und dem eigentlichen Christkindlmarkt. Wer in der Adventzeit vor dem Rathaus Schlittschuh läuft und davor oder danach einen Punsch trinken will, kommt hier, am Stand 150, vorbei. Das freut einen besonders: Akan Keskin. Dass seine Firma  just diesen Standort ergattert hat, ist wohl kein Zufall. Keskin ist nicht bloß ein einfacher Punschstandbetreiber, im Advent ist er der mächtigste Mann auf dem Rathausplatz. 

Über den Verein zur Förderung des Marktgewerbes organisiert Keskin seit vierzehn Jahren den Weihnachtsmarkt; und entscheidet als Vereinsobmann gewichtig mit, wer welchen Stand bekommt – dabei gehen weder er noch seine Familienmitglieder oder Parteifreunde leer aus. Im Gegenteil. Sie erhalten Stände an den besten Plätzen; noch dazu jene, die für den meisten Umsatz sorgen: Gastro-Stände.

Cashcow Gastro-Stand

Auch wenn Organisatoren wie Standbetreiber nicht gerne öffentlich über Umsatzzahlen sprechen, eines steht fest: Adventmärkte sind ein Riesengeschäft. Laut einer Prognose des Beratungsunternehmens Regioplan Consulting setzte der Christkindlmarkt auf dem Wiener Rathausplatz im Jahr 2018 mindestens 60 Millionen Euro in sechs Wochen um, wie etwa orf.at berichtete.

Zwei Drittel davon soll die Gastronomie erwirtschaften. 2019 wartet der Christkindlmarkt mit insgesamt 152 Ständen auf, darunter 18 Gastro-Stände. Diese Hütten mit Langos, Speckbroten, Punsch und Glühwein setzen demnach mindestens 40 Millionen Euro um. Macht pro Stand rund 2,2 Millionen Euro Umsatz. 

Entsprechend groß ist das Gerangel: Nach Angaben von Organisator Keskin hätten sich 400 bis 450 Bewerber um einen Stand bemüht, die Hälfte davon um eine Gastro-Lizenz. Mehr als 200 Betreiber bewarben sich also um 18 Lizenzen. Und wer erhielt den Zuschlag für die lukrativen Hütten?

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Gute Freunde, gute Stände

Sieben der 18 Stände gingen an Organisator Keskin, seine Familie beziehungsweise an Keskins Parteifreunde. Dazu muss man wissen: Akan Keskin ist im roten Wien bestens vernetzt. Der Marktfahrer ist SPÖ-Mitglied, war von 2001 bis 2010 Bezirksrat in Wien-Margareten und ist heute als Vizepräsident des Sozialdemokratischen Wirtschaftsverbandes Wien (SWV) und Obmannstellvertreter der Sparte Handel in der Wirtschaftskammer Österreich (WKO) tätig. 

Drei Stände (Nummer 9, 68, 100) betreiben Frau, Tochter und Sohn von Friedrich Strobl. Strobl ist Wiener Gemeinderat, Wirtschaftssprecher der SPÖ, Präsident des Sozialdemokratischen Wirtschaftsverbandes Wien und somit Keskins Chef im SWV. 

Stand 26 erhielt Michael Pavusek, der in der SPÖ ebenfalls gut vernetzt ist. Einst Geschäftsführer der Pro Event Team für Wien GmbH, die für die SPÖ das Donauinselfest organisiert, ist er heute Chef der VSW Sport Gmbh, einer Sportagentur der Gemeindebediensteten-Gewerkschaft. 

Gleich zwei Stände fielen Keskins Tochter zu, sie haben die Nummern 79 und 152. Keskin selbst ist dieses Jahr mit der Hütte Nummer 150 am Start. Auffällig dabei sind die Standorte der Hütten. Sie liegen ideal, Keskins Hütte gleich neben dem Kleinen Wiener Eistraum, der Stand 152 seiner Tochter unter dem berühmten Herzerlbaum.

Intransparenz trotz Transparenzoffensive

Die Vergabe der Hütten sorgte in den vergangenen Jahren zunehmend für Kritik; vor allem, weil eine anonyme Jury über die Standvergabe entschieden hatte – ohne Angabe von Gründen. 2018 reagierte die Stadtverwaltung und erließ eine neue Marktordnung, die Organisatoren von sogenannten Anlassmärkten zu mehr Transparenz verpflichten soll. Auch beim Verein, der den Christkindlmarkt ausrichtet, kündigte man Verbesserungen an. 

Dass Auswahlkriterien und Jury-Mitglieder für den Rathausplatz zuvor gar nicht offengelegt wurden, sei ein Fehler gewesen, räumte Akan Keskin gegenüber dem Kurier ein. Der Verein führte ein Punktesystem ein: Standbetreiber, die in ihrer Bewerbung etwa traditionelle Produkte ankündigen, die Hütte weihnachtlich dekorieren oder fair gehandelte Ware anbieten, haben nun angeblich bessere Chancen. 

Die Entscheidung über die Vergabe treffen die heute auf der Website namentlich genannten fünf Vorstandsmitglieder, an der Spitze Obmann Keskin. Er erteilt somit nicht nur seiner Tochter den Zuschlag, sondern überzeugt sich quasi auch selbst mit seinem Konzept. Für ein Interview stand er nicht zur Verfügung, er schreibt an DOSSIER:

Ich bin seit 30 Jahren Standler und werde nicht aufhören, meinem Beruf nachzugehen, nur weil ich mich für unsere Branche engagiere. Für meine Tochter und mich gelten die gleichen Regeln wie für alle anderen Standler auch.

Obwohl laut Genehmigung der Stadt bis zu einem Drittel aller Stände Gastro-Stände sein dürften, also rund 50 Hütten, lässt der Verein nicht mehr als 18 zu: Der Christkindlmarkt soll „in einem weihnachtlichen Erscheinungsbild und mit einem vielfältigen Angebot präsentiert werden“, schreibt Keskin. Dass man nicht mehr Gastro-Stände zulässt, hat aber noch einen Effekt: Die Konkurrenz wird kleingehalten. 

Wer indes mit seiner Bewerbung abgelehnt wird, erfährt nach wie vor nicht, warum. So hieß es jüngst noch auf der Website des Vereins:  

Zusagen und Absagen werden ausschließlich per E-Mail mitgeteilt. Im Falle der Standzuweisung wird der diesbezügliche Vertrag ebenso per E-Mail übermittelt. Über das Vergabeverfahren sowie die Entscheidungsgründe wird keine Korrespondenz geführt.

Zur rechten Zeit am rechten Ort

Zweimal war Akan Keskin in der Vergangenheit zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Als die Stadt Wien einst aufgrund eines Urteils des Verfassungsgerichtshofes die Organisationen des Christkindlmarkts nicht mehr selbst durchführen wollte, kam Keskin zum Zug. Nur zwei Monate vor Beginn des Weihnachtsmarktes gründete er den Verein zur Förderung des Marktgewerbes. Als einziger Bewerber erhielt er 2005 den Zuschlag für die private Organisation des Christkindlmarkts. Eine Ausschreibung gab es nicht, auch im Gemeinderat wurde die Vergabe nicht behandelt. 

Das zweite Mal beweist Keskin 2014 seinen Riecher. Bis dahin waren die Hütten des Christkindlmarktes Eigentum der Wirtschaftskammer, genauer gesagt des Wiener Landesgremiums für Markt-, Straßen- und Wanderhandel. Der Verein kauft 2014 die 194 Hütten, Verteilerkästen für Strom und weitere Elektrokomponenten um 473.000 Euro. Vorsitzender des Landesgremiums war damals Akan Keskin. Und Obmann des Vereins? Ebenfalls Akan Keskin. Er war letztlich also Verkäufer und Käufer. Einen Interessenkonflikt sieht man in der Wirtschaftskammer auf DOSSIER-Anfrage nicht. 

Da es sich um einen Ver- und keinen Einkauf gehandelt habe, sei keine Ausschreibung nach dem Vergaberecht notwendig gewesen, schreibt ein Pressesprecher. Auf Nachfrage heißt es, Keskin habe für den Verkaufsprozess den Vorsitz des Landesgremiums an eine Stellvertreterin abgegeben und das Sitzungszimmer verlassen.

Minus für die Steuerzahler

Seit 2005 ist der Christkindlmarkt auf dem Wiener Rathausplatz somit eine private Veranstaltung auf öffentlichem Grund. Der Verein bekommt als Veranstalter den Platz von der Stadt Wien für eine Gebühr von 5,99 Euro pro Stand und Tag – und hebt selbst ein Vielfaches für Standmieten ein. Wie viel tatsächlich eingenommen wird, bleibt unklar. 

Weil der Verein privatrechtlich organisiert ist, unterliegt er keiner Kontrolle durch den Gemeinderat. Keskin predigt seit Jahren, dass der Verein mit der Veranstaltung auf dem Rathausplatz keinen Gewinn mache, es sei ein „Nullsummenspiel“. Was seine Firma und schließlich er mit dem Stand verdient, wird nicht verraten – auch aus dem Firmenbuch geht das nicht hervor.

Wer verliert, ist die Öffentlichkeit. Die Standgebühr von 5,99 Euro verrechnete die Stadt bisher noch nicht einmal über den gesamten Zeitraum. Für die Tage, an denen die Hütten auf- beziehungsweise abgebaut wurden, waren keine Gebühren fällig, wie der Stadtrechnungshof in einer Prüfung feststellte. Bei durchschnittlich 28 Tagen pro Jahr entgingen dem Steuerzahler nach DOSSIER-Rechnung rund 350.000 Euro, seit Akan Keskin 2005 die Organisation des Marktes übernommen hat. 

Eine Begründung, warum sich die Stadt Wien das Geld entgehen ließ, gibt es auf Anfrage nicht. Allerdings schreibt der Pressesprecher* des Marktamts, Alexander Hengl, dass „zukünftig auch der Auf- und Abbau eines Anlassmarktes mittels Marktgebühren nach der Marktordnung kostenpflichtig sein wird“.


Am 12. Dezember 2019 widmete sich Peter Klien in der Sendung Gute Nacht Österreich den dubiosen Geschäften am Wiener Christkindlmarkt. In 15 ebenso packenden wie lustigen Minuten erklärt er aufbauend auf unseren Recherchen, was am Rathausplatz falsch läuft und warum sich Wiens Bürgermeister wieder einmal ein Herz nehmen sollte. Viel Vergnügen.