Aufmacherfoto: Daniel Scharinger / picturedesk.com
Trotz eisiger Temperaturen sind an die 200 Menschen zum Begräbnis gekommen. Schwarz gekleidete junge Männer erweisen dem Verstorbenen musikalisch die letzte Ehre, drei Priester wechseln sich in monotonen Sprechgesängen ab. Als Männer den Sarg inmitten der Trauernden abstellen, beginnt eine Frau laut zu schluchzen.
Die Beerdigung findet außerhalb des Ortszentrums von Telciu im nordrumänischen Bezirk Bistrița-Năsăud statt. Als Angehöriger der orthodoxen Kirche wird Ionel C. im Garten seines Elternhauses begraben. Neben dutzenden Einheimischen parken auf den Schotterstraßen um das Haus noch eine Handvoll Autos mit österreichischen Kennzeichen: weiße Pick-ups mit der Aufschrift Klade Group.
Sie gehören zur Holz Klade GmbH, einem Kärntner Forstbetrieb, der nach eigenen Angaben 433 Mitarbeiter·innen beschäftigt und zu den »führenden Unternehmen« in den Bereichen Forstpflege und Holzernte zählt. 2020 erwirtschaftete Klade in Österreich und im benachbarten Ausland, etwa in Deutschland, rund 89 Millionen Euro Umsatz. Dafür greift man auf billige Saisonarbeitskräfte zurück. Ein Großteil stammt aus Rumänien.
Laufende Ermittlungen
Auch der 22-jährige Ionel C. war bei Klade beschäftigt – bis er am Nachmittag des 14. Februar 2022 bei Waldarbeiten an einem steilen Hang am Rande der nordrhein-westfälischen Gemeinde Gummersbach verunglückte.
Die rumänischen Arbeiter hatten versucht, Baumstämme mit einem am Bagger befestigten Stahlseil abzutransportieren, wie der Westfälische Anzeiger berichtete. Was dann genau passierte, ist bisher nicht eindeutig rekonstruierbar. Die am Unfallort eingetroffenen Sanitäter hätten eine regungslose Person vorgefunden, »ohne Herz-Kreislauf-Aktion«, berichtet ein Rot-Kreuz-Sprecher DOSSIER.
Laut der zuständigen Staatsanwaltschaft Köln gehe aus der Obduktion »ein stumpfes Trauma im Bereich des Oberkörpers einhergehend mit inneren Blutungen« als Todesursache hervor – mehr lässt sich derzeit nicht sagen, die Ermittlungen laufen noch.
Von Klade heißt es indes auf DOSSIER-Anfrage, dass Fremdverschulden »ausgeschlossen werden« könne. Trotzdem evaluiere man »Sicherheits- und Gesundheitsschutzmaßnahmen« und erarbeite weitere »Sensibilisierungsmaßnahmen«.
Ausbeutung und Lebensgefahr
Obwohl die Frage nach der Verantwortung in diesem Fall noch ungeklärt ist, wirft das Unglück abermals den Blick auf die Verhältnisse in Österreichs und Deutschlands Wäldern.
Wie Erntehelfer·innen auf Feldern oder Arbeiter·innen in Schlachthöfen arbeiten auch im Forst Menschen unter prekären Bedingungen: Meist stammen sie aus dem Ausland, meist schuften sie bei schlechter Bezahlung unter widrigen Umständen.
Wie DOSSIER-Recherchen zeigen, sind ausländische Forstarbeiter in Österreich zudem Repressalien ausgesetzt. Dagegen können sie sich schwer zur Wehr setzen, weil sie weder Sprache noch ihre Rechte kennen. Es ist ein System, in dem Gewinne und Risiken ungleich verteilt sind.
So sieht der Kollektivvertrag für Hilfsarbeiter in der österreichischen Forstbranche einen Stundenlohn von 10,35 Euro brutto vor. Der Mindestlohn für eine 40-Stunden-Woche liegt derzeit bei das 1.792,96 Euro brutto.
Was nicht einkalkuliert ist: Arbeit im Forst heißt oft Arbeit unter Lebensgefahr.
»Auffällig viele« Unfälle
Hunderte junge Männer aus den waldreichen Regionen im Norden Rumäniens, vor allem aus den Bezirken Bistrița-Năsăud und Maramureș, verdienen ihr Geld in deutschen oder österreichischen Forsten. Jedes Jahr nimmt jemand einen Bruder, einen Cousin oder Bekannten mit. Manche kehren wie Ionel C. in einem Sarg zurück.
Für Deutschland liegen keine nach Nationalität aufgeschlüsselten Zahlen vor, anders in Österreich: Von 2018 bis Ende 2021 verunfallten laut Allgemeiner Unfallversicherungsanstalt (AUVA) 441 rumänische Staatsbürger im österreichischen Forst. Österreichs Arbeitsinspektion zufolge starben 13 von ihnen.
Rumänen machen somit knapp ein Fünftel der Betroffenen aller forstwirtschaftlichen Arbeitsunfälle in Österreich aus. Im Vergleich zur Grundgesamtheit von 2.261 Unfällen im selben Zeitraum heißt es vom Arbeitsinspektorat, dies sei »auffällig viel«, weshalb man seit Monaten schwerpunktmäßig kontrolliere. Alle Betroffenen arbeiteten für heimische Forstunternehmen.
Bis Ende März 2022 seien »328 Kontrollen in Betrieben von gewerblichen Forstunternehmern und auf auswärtigen Arbeitsstellen (Holzschlag)« durchgeführt worden. Bei etwa 50 Prozent dieser Kontrollen seien Mängel festgestellt worden. Genauere Angaben könne man jedoch erst nach Beendigung der Kontrollen bekanntgeben.
Rumänien besorgt
Die Häufung an Unfällen führte bereits zu diplomatischen Verstimmungen zwischen Rumänien und Österreich, wie ein DOSSIER vorliegendes Schreiben des rumänischen Außenministeriums vom November 2021 zeigt.
Darin drückt die rumänische Botschaft in Österreich ihre Besorgnis über »die Situation im Forstbereich« aus, der sie seit 2019 »dauernd« Ausdruck verliehen habe.
Von der Republik Österreich werde die Botschaft nur unzureichend mit Informationen versorgt. »Ein solches Problem haben wir in keinem anderen europäischen Land«, so das rumänische Außenministerium.
Dabei dürfte es den einen Grund für die hohe Anzahl (tödlicher) Unfälle nicht geben. Forstarbeiter, -unternehmer und Expert·innen, mit denen DOSSIER gesprochen hat, nennen eine Vielzahl an Ursachen. Zunächst ist die Arbeit im Forst an sich extrem gefährlich. Bei vielen Unfällen kann weder Eigen- noch Fremdverschulden festgestellt werden.
In anderen Fällen wurden Sicherheitsvorschriften missachtet oder Personal nicht oder nur unzureichend eingeschult. Teilweise wurden Teams von vier auf drei Arbeiter verkleinert – was Personalkosten spart, aber ein Risiko darstellt, weil damit eine Aufsichtsperson fehlt.
»Bedauernswert, aber nichts Außergewöhnliches«
Im rumänischen Telciu ist die Besorgnis einer gewissen Resignation gewichen. »Sehr ruhig und offenherzig« sei er gewesen. lonel C. war der älteste Sohn von insgesamt sechs Kindern in seiner Familie, erzählt eine ehemalige Lehrerin nach dem Begräbnis. Die Schule habe er vorzeitig beendet, um seine Familie finanziell zu unterstützen. Sein Tod sei »bedauernswert, aber nichts Außergewöhnliches«, sagt sie trocken. In den letzten Jahren könne sie sich an fünf oder sechs solcher Unfälle erinnern.
Ein anderer tragischer Unfall zweier junger Männer ereignete sich am 12. September 2019 in einem Waldstück bei Großkirchheim im Kärntner Bezirk Spittal an der Drau. Nach Feierabend fuhren die beiden Rumänen Ioan V., Jahrgang 1989, und Nicolae C., Jahrgang 1997, mit einem Laufwagen den Berg hinauf.
»Verbotenerweise«, wie es in einem Schreiben der Staatsanwaltschaft Klagenfurt heißt, das DOSSIER vorliegt. Denn dieser dürfe nur zum Holz-, nicht aber zum Personentransport verwendet werden. Kurz vor Erreichen der Bergstation riss das Seil, der Wagen »raste ungebremst talwärts«. Beide Forstarbeiter wurden auf der Stelle getötet.
Der Arbeitgeber der Verstorbenen war in diesem Fall die Lau Forstservice GmbH – neben Klade einer der Großen in der Branche. Lau hat eigenen Angaben zufolge rund 300 Beschäftigte in vier Ländern, übernimmt Aufträge von den Österreichischen Bundesforsten und listet etwa die bayerischen und die baden-württembergischen Staatsforste in seinen Referenzen auf.
Vorwürfe gegen Forstunternehmen
In Rennweg am Katschberg befindet sich eine firmeneigene Unterkunft für rumänische Forstarbeiter, etwas abseits am Waldrand gelegen. Mit Journalist·innen spricht man ungern, man fürchte Repressionen vom Chef, heißt es.
Die wenigen ehemaligen und aktiven Mitarbeiter der Firma, insgesamt fünf, mit denen DOSSIER sprechen konnte, beschreiben Arbeitsverhältnisse, die nach Ausbeutung klingen. Sie berichten von Stundenlisten, die sie im Vorhinein »blanko« unterschreiben mussten; von Überstunden und 13. wie 14. Monatsgehältern, die nicht ausbezahlt wurden, und von nicht eingelösten Gehaltsversprechen.
E-Cards würden vom Arbeitgeber einbehalten werden. Ein Mitarbeiter, der seit vielen Jahren bei Lau beschäftigt ist, erzählt von Arbeitsverträgen, die alle paar Monate erneuert würden; während seines Urlaubs würde er weder bezahlt noch sei er versichert.
Andere berichten von auf Deutsch formulierten Verträgen, die sie unterzeichneten, ohne deren Inhalt zu verstehen.
»Unwahre Tatsachenbehauptungen«
Mit den Vorwürfen konfrontiert, heißt es von der Lau Forstservice GmbH schriftlich, sämtliche Behauptungen seien »unrichtig« und stellten »unwahre Tatsachenbehauptungen« dar. Man werde »zu derartig obskuren und unrichtigen Behauptungen« keine Stellungnahme abgeben. Außerdem behalte man sich vor, sich »im Rahmen des Medienrechtes, des Strafrechtes und des Zivilrechtes entsprechend zur Wehr zu setzen«.
»Diese Arbeitsbedingungen machen mich zornig«, sagt Walter Gagawczuk, Jurist und Experte für Kollektivarbeitsrecht der Arbeiterkammer Wien, angesichts einer Liste mit den beschriebenen Vorwürfen. »Ein Vertrag, der unterschrieben ist, ist jedoch grundsätzlich gültig. Vor Gericht kann der Arbeitgeber immer behaupten, es sei den Arbeitern klar gewesen, was sie unterschreiben. Besser wäre es, die Verträge würden abgeschlossen, bevor die Arbeiter nach Österreich kommen. Das ist aber natürlich leichter gesagt, als getan.«
Die mutmaßliche Einbehaltung der E-Cards hält Gagawczuk für »besonders fies«. Rechtlich gesehen haben Arbeitnehmer·innen ein Anrecht auf ihre E-Card. »Wie das in der Praxis ausschaut, ist aber dann wieder eine ganz andere Frage.«
»Er muss sich sicher gefühlt haben«
Nicht alle Forstarbeiter aus Rumänien arbeiten für Großunternehmen wie Klade oder Lau. Manche landen bei kleinen Betrieben wie der Gebirgsholzernte Weirer GmbH in der niederösterreichischen Marktgemeinde Schwarzau im Gebirge.
Der Betrieb zählt bis zu 14 Angestellte, derzeit neun davon aus Rumänien, erzählt Firmenchef Peter Weirer DOSSIER. Ausländische Mitarbeiter habe es in der Branche schon immer gegeben. Früher Bosnier, seit dem EU-Beitritt seien es vor allem Rumänen und Slowaken. »Österreicher, die den Job machen wollen, findet man keine«, sagt Weirer.
Generell sei der Druck, nicht nur, aber vor allem auf »die Kleinen« in den vergangenen Jahren gestiegen. Alles müsse schneller und billiger erledigt werden. Von den hohen Marktpreisen für Holz komme bei ihm nichts an, so der Unternehmer. Gleichzeitig würden die Kosten steigen: Betriebsstoffe, Steuern, Sozialversicherung.
Weirer ist seit 14 Jahren als Forstunternehmer tätig. In der Zeit gab es unter seiner Regie keinen tödlichen Unfall. Bis zum 22. November 2021, als ein 38-jähriger rumänischer Arbeiter von einem Baumstamm niedergestreckt wurde.
Den Auftrag führte Weirer laut eigenen Angaben für die Österreichischen Bundesforste aus. Der Verunfallte hatte viel Erfahrung im Forst. Es hätte sein letztes Jahr in Österreich werden sollen, bevor es endgültig zurück nach Rumänien gegangen wäre.
Hinweis
Die Recherche wurde gefördert und unterstützt von Netzwerk Recherche, Stiftung MUNDA und Gewerkschaftlicher Linksblock.
Laut Weirer stand der Mitarbeiter wohl zur falschen Zeit am falschen Ort. »Er hat bergab geseilt, also das Holz von oben angezogen. Dabei ist er unterm Berg gestanden – wahrscheinlich zu nahe am Gefahrenbereich. Beim Anziehen hat ihn ein nebenstehender umstürzender Baum erschlagen«, beschreibt Weirer den Unfall.
»Er muss sich sicher gefühlt haben«, fügt er nachdenklich hinzu. Man stelle natürlich alles infrage, wenn ein Mitarbeiter tödlich verunglückt, gibt er zu. Wie Klade für Ionel C., übernahm Peter Weirer die Kosten für die Überführung des Leichnams nach Rumänien.
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