Voll daneben

Seit Wochen steht ORF-Landesdirektor Robert Ziegler in der öffentlichen Kritik. Jahrelang soll er die Berichterstattung zugunsten der ÖVP Niederösterreich beeinflusst haben. DOSSIER-Recherchen zeigen nun eine neue Facette des Problems: Zieglers Nebenbeschäftigungen.

Von Florian Skrabal

Aktuelles27.1.2023 

Aufmacherbild: ORF/Hans Leitner

»Wenn Worte fehlen, können Blumen trösten« – unter diesem sanftmütigen Motto ging vor siebeneinhalb Jahren im Stift Melk eine eher unscheinbare Ausstellung über die Bühne. Mitte Oktober 2015 stellte die Landesinnung der Gärtner und Floristen der Wirtschaftskammer Niederösterreich (WK NÖ) drei Tage lang alles Mögliche rund um das »Kunsthandwerk der Trauerfloristik« aus, vom Urnenschmuck bis zum Trauerkranz.

Auch eine Podiumsdiskussion hatte man mit im Programm: »Blumen trösten – erinnern – geben Hoffnung«. Um durch den Abend zu führen, engagierte die Kammer einen Profi, einen regelrechten Shootingstar: den damals frisch bestellten Chefredakteur des ORF-Landesstudios Niederösterreich, Robert Ziegler.

Wenige Wochen zuvor hatte Norbert Gollinger, bis 2021 Landesdirektor des ORF Niederösterreich, Ziegler die journalistische Verantwortung für das Landesstudio übertragen und diesen mit dem Sanctus von ORF-Generaldirektor Alexander Wrabetz zum Chef gemacht – schon moderierte Ziegler eine Veranstaltung einer Interessenvertretung, der WK NÖ.

Wie heikel solche Nebenjobs sind, wurde jüngst an zwei prominenten Beispielen deutlich: als ORF-Talkmasterin Vera Russwurm den Wahlkampfauftakt der ÖVP Niederösterreich moderierte; oder als bekannt wurde, dass Claudia Reiterer, Moderatorin der ORF-Sendung Im Zentrum, für einen Firmenevent in den Räumen der Wirtschaftskammer Österreich (WKO) gebucht worden war. In beiden Fällen ließ die Kritik nicht lange auf sich warten.

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Befangenheit, oder auch nur der Eindruck davon, ist im Journalismus ein rotes Tuch. In vielen Medienunternehmen gelten daher Compliance-Richtlinien, in denen unter anderem der Umgang mit Nebenjobs geregelt ist. So auch im ORF. Warum kommt es dann dennoch immer wieder zu fragwürdigen Auftritten von ORF-Stars?

Das liegt daran, dass diese wie etwa im Fall von Vera Russwurm, die keine fest angestellte ORF-Mitarbeiterin ist, nicht in den Anwendungsbereich des Verhaltenskodex fallen. Oder aber es liegt daran, dass die eigenen Richtlinien schlichtweg nicht angewandt werden, wie DOSSIER-Recherchen im Fall von Robert Ziegler nahelegen.

Der vielgebuchte Chefredakteur

Wahrscheinlich war die Podiumsdiskussion, die Ziegler einst im Stift Melk im Auftrag der WK NÖ leitete, nicht der erste Nebenjob in dessen beruflicher Laufbahn. Und dennoch war ab dieser Moderation etwas anders: Seit September 2015 konnte Ziegler Kraft seiner Funktion als Chefredakteur die Berichterstattung im ORF Niederösterreich, also im Radio, im Fernsehen und online, stärker mitgestalten als zuvor.  

Dass er hierbei mitunter wie der verlängerte Arm der Pressestelle der ÖVP Niederösterreich vorgegangen sein soll, wird derzeit ORF-intern von einer Kommission untersucht. Dabei könnte sich auch ein Blick auf dessen Nebenbeschäftigungen lohnen. Ziegler erhielt jahrelang Aufträge von ÖVP-nahen Interessengruppen. Hier eine Auswahl:

Anders als Vera Russwurm ist Robert Ziegler seit Jahrzehnten beim ORF fest angestellt; und anders als im Fall von Claudia Reiterer, die ihrer Nebentätigkeit zwar im Gebäude der WKO nachging, aber nicht von dieser bezahlt wurde, war Ziegler von der WK NÖ und vom ÖVP-geführten Land Niederösterreich mit Moderationen beauftragt worden.

Auf DOSSIER-Anfrage legen heute weder Robert Ziegler noch der ORF offen, wie vielen und welchen Nebenbeschäftigungen dieser seit 2015 nachgegangen ist. Auch die Höhe der für die jeweiligen Moderationen bezahlten Honorare will Ziegler nicht verraten. Dass er für seine Zeit und seine Bekanntheit entlohnt wurde, stellt er jedoch nicht in Abrede. Je nach Dauer und Art des Events sind mehrere tausend Euro für eine Moderation üblich.

Alles genehmigt!

Die Nebenbeschäftigungen hätten »den gültigen ORF-Regulativen entsprochen« und seien      deswegen auch genehmigt worden, schreibt Ziegler. Und aus der Pressestelle des Öffentlichen-Rechtlichen heißt es dazu:

Die von Ihnen angeführten Nebenbeschäftigungen von Robert Ziegler wurden vom damals zuständigen Landesdirektor Norbert Gollinger freigegeben. Grundsätzlich liegt bei Nebenbeschäftigungen kein Verstoß gegen den Verhaltenskodex vor, wenn die Unabhängigkeit der Berichterstattung nicht gefährdet ist und der Eindruck von Befangenheit ausgeschlossen werden kann. Die Nebenbeschäftigungen wurden unter der Bedingung genehmigt, dass Robert Ziegler weder über die fraglichen Veranstaltungen berichtet noch über deren Berichterstattung entscheidet.

Natürlich berichtete Robert Ziegler nicht selbst über Veranstaltungen, die er moderierte. Ein Blick ins Archiv zeigt aber, dass Redakteur·innen des ORF-Landesstudios Niederösterreich immer wieder vor Ort waren, wenn ihr Chef bei einem dieser Events antanzte. »Für uns war es auffällig, dass wir oft über Veranstaltungen berichteten, die Robert Ziegler moderierte«, sagt ein Redaktionsmitglied des Landesstudios zu DOSSIER.

Insbesondere die Wirtschaftskammer Niederösterreich zählte nicht bloß zu den treuen Auftraggeber·innen, die Robert Ziegler neben seinem Gehalt als Chefredakteur (rund 10.000 Euro brutto) zu einem Zubrot verhalfen.

Die Interessenvertretung war in der Berichterstattung des Landesstudios so präsent, dass man redaktionsintern witzelte, schon wieder über »die Wirtschaftszwillinge zu berichten«. Gemeint waren damit: Wirtschaftslandesrat Jochen Danninger (ÖVP) und WK-NÖ-Präsident Wolfgang Ecker beziehungsweise dessen Vorgängerin Sonja Zwazl.

Genau dafür hat man im ORF-Verhaltenskodex vorgesorgt. Dort heißt es: »Der Eindruck von Befangenheit, Parteilichkeit – also mangelnder Unabhängigkeit – entsteht insbesondere, wenn ein Auftraggeber (Firma, Institution, Partei, Verein oder Person) regelmäßig Gegenstand der ORF-Berichterstattung ist.« Wenn jetzt die Worte fehlen: Blumen trösten!

Dieser Text ist ein Vorgeschmack auf das neue DOSSIER-Magazin rund um den ORF. Seit Monaten blicken wir hinter die Kulissen des Öffentlich-Rechtlichen. Was wir noch an Unvereinbarkeiten und anderen Problemen gefunden haben, lesen Sie ab März 2023.